Rede zum Gesetzentwurf der FDP zur Änderung des Gentechnikgesetztes (DS 16/4143) und Anträgen von Bündnis 90/Die Grünen "Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten" und "Bei gentechnisch veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen" (DS 16/4556 und 16/4574)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die vorliegenden Drucksachen zu dieser Debatte weisen mit einer Ausnahme auf das eigentliche zentrale Problem der Agrogentechnik hin, nämlich dass gesundheitlichen und ökologischen Risiken ein sehr strittiger Nutzen gegenübersteht. Nur der Gesetzentwurf von der FDP blendet diese Tatsache aus und setzt auf grenzenlosen Fortschritt. Aber das kennen wir. Daher möchte ich mich mit dem Minister auseinandersetzen Herr Paziorek, da müssen Sie jetzt einmal durch.Es hat schon etwas tragikomisches, liebe Kolleginnen und Kollegen: Da bin ich als Linke einmal in meinem Leben ausnahmsweise der gleichen Meinung wie der CSU-Generalsekretär, wie eine Bevölkerungsmehrheit in Bayern und wie die katholische Kirche ich habe zwar andere Gründe für die Ablehnung der Gentechnik, aber immerhin , und ausgerechnet dann verweigert der zuständige Minister die Gefolgschaft und lässt in der vergangenen Woche das Eckpunktepapier zur Agrogentechnikförderung, von dem schon die Rede war, im Kabinett absegnen.
Um die Tragik noch zuzuspitzen: Die SPD-Ministerinnen und -Minister lassen bei dieser Gelegenheit auch noch ihre eigene Fraktion im Stich. Dabei wäre das Positionspapier der SPD-Fraktion vom Januar 2007 allemal besser gewesen als das seehofersche Lobbypapier.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ulrich Kelber (SPD): Der zweite Teil der Aussage stimmt!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie werden heldenhaften Widerstand aufbringen müssen, aber Sie haben die Chance, Ihre Vertrauenswürdigkeit wiederherzustellen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber machen wir doch einmal einen Glaubwürdigkeitscheck beim Minister: Er betont immer wieder, dass die sogenannte Koexistenz zwischen Anwendern und Nichtanwendern der Agrogentechnik selbstverständlich garantiert werden müsse, als Anwendungsvoraussetzung geradezu. Es lohnt sich also ein prüfender Blick.
Bei der so genannten Koexistenz geht es zum Beispiel darum, mit welchen Maßnahmen man die Auskreuzungen in das Erntegut des Nachbarn verhindern kann. Ich denke zwar, dass es beim Mais andere, wichtigere Verschleppungswege gibt, wie Resterntegut auf dem Acker, Transport- und Verarbeitungswege usw. Aber zu diesen Hauptrisiken sagt das Eckpunktepapier gar nichts; bleiben wir deswegen bei den Auskreuzungsgefahren. Wir hatten im Oktober 2006 zu diesem Thema eine Anhörung im Bundestagsausschuss. Einer der Experten war Dr. Rühl von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft; das ist die Agrarressortforschungseinrichtung, die die Politikberatung der Bundesregierung bei diesem Thema leistet. Er stellte klar, dass für eine Festlegung des Sicherheitsabstands zwischen Feldern, auf denen gentechnisch veränderter Mais angebaut wird, und solchen, auf denen konventioneller Mais angebaut wird, aus seiner Sicht zurzeit noch keine ausreichende Datenbasis verfügbar ist.
(Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hört! Hört!)
Ich persönlich würde ohnehin auf internationale Erfahrungen verweisen, die dagegen sprechen, dass es so etwas wie eine dauerhafte Koexistenz geben kann. Aber ich will jetzt Dr. Rühl wortwörtlich zitieren:
Dafür brauchen wir mehrjährige Feldversuche. Aus ein- oder zweijährigen Versuchen lässt sich ... relativ schlecht etwas Abgesichertes ableiten.
Das sagt also die fachlich zuständige Bundesforschungsanstalt zu den Voraussetzungen von politischen Entscheidungen, die der Herr Minister jetzt kühn fällt. Die gerade begonnene FAL-Studie ist auf fünf Jahre angelegt; wir werden die Ergebnisse also erst 2010 vorliegen haben. Die einzig logische Konsequenz müsste dann doch darin bestehen, im Sinne des Vorsorgeprinzips ein Moratorium zu verhängen, die Feldversuche zeitweilig auszusetzen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Stattdessen übt sich der Minister kühn im Abschätzen: Er nimmt den fiktiven Wert von 100 Metern Abstand, bei dem angrenzender Mais „nur noch ein bisschen“ verunreinigt werde. Anstatt die technische Nachweisgrenze von 5 auf 100 000 Körner zum Maßstab zu machen, legt er fest, dass 9 von 1 000 Körnern in konventionellem Mais gentechnisch verändert sein dürfen, ohne dass dafür jemand haftbar gemacht werden könnte. Großzügig legt er seinerseits einen Sicherheitsabstand von 50 Metern oben drauf, sodass er auf 150 Meter Abstand kommt. Diese ministerielle Herleitung hat mindestens einen Haken: Sie widerspricht schlicht den Expertenempfehlungen. Ich zitiere wieder, was Dr. Rühl von der FAL in der Anhörung gesagt hat:
150 Meter beim Mais ist definitiv keine Garantie dafür, dass ab diesem Punkt urplötzlich das Ganze bei Null ist.
(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ganz genau!)
Die EU schreibt ausdrücklich vor, dass Auskreuzungen nur dann zulässig sind, wenn sie technisch unvermeidbar oder zufällig sind. Aber wie kann etwas zufällig sein, wenn die Bundesforschungsanstalt klar sagt, dass auch jenseits der 150 Meter mit Auskreuzungen gerechnet werden muss?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Außerdem baut man nicht zufällig an!)
Um einen weiteren Beleg für die Willkürlichkeit der seehoferschen Abstandsregelung zu nennen: Der Sicherheitsabstand soll erstens nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden, darf aber zweitens die Nutzung der Agrogentechnik ausdrücklich nicht verhindern. Eine so dreiste politische Vorgabe für wissenschaftliche Untersuchungen habe ich noch nicht erlebt
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aus meiner Sicht wird die seehofersche Koexistenzgarantie damit schleichend zu einer Kontaminationsgarantie.
Der Super-GAU, den wir 2006 hatten - dass gentechnisch veränderter Reis aus einem kleinen Versuchsanbau in den USA weltweit Kontaminationen verursacht hat -, muss doch jede Illusion von einer Kontrollierbarkeit der Agrogentechnik zunichte gemacht haben. Die Behauptung, Koexistenz sei auf Dauer möglich, ist daher Etikettenschwindel und Wählertäuschung.
(Beifall bei der LINKEN)
Die SPD-Fraktion hat angesichts dieser Situation einen vernünftigen Vorschlag gemacht, den wir unterstützen: Die Bundesregierung soll sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass es möglich wird, gentechnikfreie Zonen, Regionen bzw. Länder einzurichten. Unsere Ratspräsidentschaft bietet dazu eine gute Gelegenheit. Damit gäbe man zumindest den Menschen, die diese Risikotechnologie nicht wollen, eine Chance, sich zur Wehr zu setzen. Eine Alternative wäre, dass der Minister endlich im Sinne der Mehrheit Politik macht. Aber da bin ich wenig hoffnungsvoll.
Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)