Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Trauerspiel Verbraucherinformationsgesetz geht in die nächste Runde - fast könnte man inzwischen von einer „never ending story“ sprechen. Falls die Planungen der Bundesregierung diesmal aufgehen, dann tritt die Neuauflage des Gesetzes nach fünf Jahren Diskussion frühestens Anfang 2008 in Kraft.
Nun ließe sich erwidern: Halb so schlimm, denn: "Was lange währt, wird endlich gut!", doch bedauerlicherweise trifft dieser Spruch beim Verbraucherinformationsgesetz nicht zu:
Die Regierungskoalition hätte die notwendig gewordenen Neuberatungen für eine Verbesserung des Entwurfes nutzen können, doch er blieb inhaltlich unverändert.
Minister Seehofer hätte seinen ersten gescheiterten Versuch als Chance begreifen können, doch er hat nur die von Bundespräsident Köhler beanstandeten Formalien überarbeitet.
Anstatt die vielfältige Kritik von Verbänden und Verbraucherschutzorganisationen ernst zu nehmen und deren konstruktive Anregungen zu berücksichtigen, liegt uns nun ein Verbraucherinformationsgesetz vor, das diesen Namen nicht verdient. Herr Seehofer nennt es zwar „effektiv“ und praktikabel“, doch glaubt er offensichtlich seiner eigenen Propaganda nicht so recht, wenn er im gleichen Atemzug eventuell notwendige „Nachbesserungen“ in zwei Jahren ankündigt.
Im Gegensatz zur Bundesregierung halten wir es nicht für sinnvoll, noch weitere zwei Jahre zu warten - zwei Jahre, in denen wie schon in der Vergangenheit Lebensmittelskandale und Gammelfleischfunde bei den VerbraucherInnen ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins erzeugen. Denn trotz ausufernder Informationsflut existieren gerade in verbraucherrelevanten Fragen teilweise erhebliche Informationsdefizite.
Wenn BürgerInnen aber ein aktives und verantwortungsbewusstes Markt-Verhalten an den Tag legen möchten und sollen, das über eine reine Reaktion auf Skandale und Gefahrenabwehr hinausgeht, dann benötigen sie umfassende Informationen über die Produktion und Qualität der am Markt angebotenen Produkte. Gerade Herr Seehofer, der so gerne das Leitbild des mündigen Verbrauchers bemüht, müsste das wissen!
DIE LINKE. fordert eine grundlegende Neugestaltung des Verbraucherinformationsgesetzes. Darin muss das Recht der VerbraucherInnen auf umfassende Information und Transparenz verankert sein. Es muss die Interessen der VerbraucherInnen gegenüber der Wirtschaft stärken und die Schwächeren gegenüber den Stärkeren schützen. Die BürgerInnen müssen die Wahl haben und sich frei entscheiden können.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, brauchen wir ein Gesetz, dessen Geltungsbereich sich über das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch hinaus auf alle Produkte und Dienstleistungen erstreckt.
Und insbesondere muss es einen individuellen Auskunftsanspruch der BürgerInnen gegenüber privaten Unternehmen beinhalten. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese über weit mehr Informationen verfügen als die Behörden.
An dieser Stelle geht es uns ausdrücklich um Transparenz für alle objektiven Verbraucherinteressen, also auch konsumrelevante Entscheidungsfaktoren der BürgerInnen. Denn ein verantwortungsbewusstes Verhalten, das beispielsweise auf ökologische oder soziale Standards in der Produktion und der Zulieferkette achtet, ist ohne die entsprechenden Informationen nicht möglich.
Auch wegen der zunehmenden Zahl von Allergien und Unverträglichkeiten muss zudem ein Informationsanspruch über Bestandteile und Substanzen unterhalb von Grenzwerten und Gefahrennachweisen bestehen. Vor allem bei Lebensmitteln und Kleidung sollen die BürgerInnen alle Inhaltsstoffe und Verunreinigungen erfahren können.
Es gibt nicht „den Standardverbraucher“ - im Gegenteil: VerbraucherInnen stellen eine sehr differenzierte und heterogene Gruppe dar. Ein gutes Verbraucherinformationsgesetz sollte dies berücksichtigen.
Nicht zuletzt werden durch eine offene und transparente Informationspolitik auch die korrekt arbeitenden Unternehmen belohnt: Indem sie sich an den Interessen ihrer KundInnen orientieren, schaffen sie Vertrauen für ihre Produkte und können von dem einsetzenden „Wettbewerb um Qualität“ profitieren.
Leider zeigen die Unternehmen bisher wenig Bereitschaft, von sich aus aktiv zu werden und auch nur ansatzweise eine ausreichende Informationspolitik zu betreiben.
Der Verweis auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“ im Gesetzentwurf der Koalition stellt daher eine Steilvorlage für Auskunftsverweigerung der Unternehmen dar. Gegen die gerne praktizierte Geheimniskrämerei ist es unsers Erachtens unerlässlich, die Ausnahmen vom Informationsanspruch auf den notwendigen Kernbereich zu reduzieren und den Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses gesetzlich genau zu definieren.
Auch die Behörden sollten mehr zur Verbraucherinformation beitragen als bisher von Herrn Seehofer geplant:
Wir wollen sie zur Hilfeleistung bei der Informationsbeschaffung und zur aktiven Information der Öffentlichkeit verpflichten. Letztere muss beispielsweise schon dann erfolgen, wenn hinreichende Anhaltpunkte vorliegen, dass von einem Produkt Risiken für die Gesundheit oder die Sicherheit ausgehen oder schützenswerte Verbraucherinteressen gefährdet werden.
Weiterhin halten wir es in diesem Zusammenhang für unerlässlich, den Zugang zu Verbraucherinformationen für die BürgerInnen einfach und grundsätzlich kostenfrei zu gestalten, damit ihre Nutzung nicht vom sozialen Status abhängig ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere Vorschläge für eine grundlegende Neugestaltung und Verbesserung des Rechtes auf Verbraucherinformation liegen auf dem Tisch und das nicht erst seit gestern.
Sollte der Gesetzesentwurf der Regierungskoalition in dieser Form in Kraft treten, ist er ein weiterer Ausdruck für die Halbherzigkeit der aktuellen Verbraucherpolitik.
Um den Verbraucherschutz nach vorn zu bringen, sind - statt rhetorischem Getöse und hektischer aber folgenloser Betriebsamkeit nach den regelmäßig auftretenden Lebensmittelskandalen - deutliche und manchmal auch unkonventionelle Schritte nach vorn vonnöten.
In diesem Sinn ist auch unser Vorschlag zum Bund-Länder-Staatsvertrag für ein Qualitätsmanagement der Lebensmittelqualität zu verstehen.
Packen wir`s an und vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

Für ein Verbraucherinformationsgesetz, das diesen Namen auch verdient hat!
Rede
von
Karin Binder,