Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, ich bin Ihnen zunächst dankbar, dass Sie die Tributzahlungen an die Mineralölkonzerne anlässlich hoher christlicher Feste kritisieren. Das sollte an sich nicht sein. Vielleicht sollte man eher weltliche Feste zum Anlass nehmen und die christlichen davon ausnehmen.
Damit ist aber auch schon klar, was mit Entflechtung bewirkt werden kann. Wenn die Kosten durch technischen Fortschritt gesenkt werden, dann kann bei vielen Anbietern am Markt durchaus erreicht werden, dass die Preise den Kosten entsprechen. Dann besteht über Entflechtung und Wettbewerb die Möglichkeit, auf die Einkommensverteilung einzuwirken. Allerdings fördert Entflechtung nicht notwendigerweise technische Innovationen. Ebenso können wir nicht behaupten, dass Konzentration Innovationen verhindert. Denn immer dann, wenn kostensenkende Innovationen möglich sind, wird ein Unternehmen, auch wenn es eine Monopolstellung einnimmt und gut verdient, die Möglichkeit zur Steigerung der Gewinne nutzen. Denn es gibt bei einem Unternehmen niemals eine Obergrenze der Gewinne.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist aber auf einige ungelöste Fragen hinsichtlich der Entflechtung hinzuweisen. Durch Entflechtung allein erzielen wir keinen technischen Fortschritt in der Umwelt. Ich erinnere an die Rußpartikelfilter oder die Entwicklung von Kraftfahrzeugen mit geringem Kraftstoffverbrauch. Einen solchen Fortschritt erreichen wir dann nicht, wenn jener technische Fortschritt keinen ordentlichen Gewinnschub verspricht. Ähnliches können wir da und dort in der Forschung der Pharmaindustrie verzeichnen, wenn es um Medikamente geht, die in den Überlegungen nicht den ersten Rang einnehmen.
Ein weiterer Punkt. Wir können durch Entflechtung nicht erreichen, dass der technische Fortschritt der Humanisierung der Arbeitswelt dient. Ob mit oder ohne Entflechtung: Technischer Fortschritt wird in diesem Bereich immer nur das betreffen, was den größten Gewinn bringt. Wenn der Gewinn mit mehr Stress erkauft wird, dann wird natürlich auch dem entsprochen. Mit Entflechtung ist also nicht alles zu erreichen.
Nun zu einigen administrativen Fragen, wie Ihre Idee durchzusetzen ist. Als Kriterium für Entflechtung nennt die FDP - ich zitiere -:
Der kausale Zusammenhang zwischen der verursachenden Markt- bzw. Unternehmensstruktur einerseits und der durch sie verursachten missbräuchlichen Verhaltensweise muss eindeutig sein.
Die Eingriffskriterien sollen „extrem hoch angesetzt werden“.
Nun kann man notfalls noch den Marktanteil, bei dem Missbrauch entsteht, nachweisen. Wenn aber aus dem Antrag ein Gesetz wird, dann böte dies vielen Juristen und Gutachtern eine Beschäftigung gegen gutes Honorar. Denn Marktanteile usw. lassen sich noch nachweisen. Aber bezüglich eines kausalen Zusammenhangs, wie ihn die FDP in ihrem Antrag formuliert, bin ich skeptisch. Es gibt genug verkorkste Wirtschaftstheorie und Fachgutachter, die reichlich verwirrende Überlegungen dazu anstellen werden. Ich vermute, dass solche Rechtszüge lange dauern und kein Ergebnis bringen.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse)
Ein wesentlicher Grund für Entflechtung und Maßnahmen, die darüber hinausgehen, wird im FDP-Antrag nicht genannt: Das ist der kausale Zusammenhang - so Ihr Terminus - zwischen Marktmacht und politischer Macht. Vor allen Dingen deswegen, so meine ich, brauchen wir Entflechtung. Denn im Rahmen der Konzentration bestimmen
die Großunternehmen … nicht nur entscheidend die Entwicklung der Wirtschaft …, sie verändern auch die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft … Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht …
gewinnt die Großwirtschaft
einen Einfluß auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie usurpiert Staatsgewalt.
Wirtschaftliche Macht wird zu politischer Macht. Diese Entwicklung ist eine Herausforderung an alle, für die Freiheit und Menschenwürde, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft sind. …
Das zentrale Problem heißt heute: Wirtschaftliche Macht. Wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht gewährleistet werden kann, ist Gemeineigentum zweckmäßig und notwendig.
- Also auch die Methode einer eigentumsrechtlichen Entflechtung.
Nun, der emphatische Charakter der letzten Sätze lässt erraten: Es handelt sich um Zitate aus einem Parteiprogramm, nämlich aus dem Godesberger Programm der SPD von 1959. Diese Passagen sind aktueller denn je. An die FDP richtet sich dieses Zitat sicherlich nicht; denn als Rechtsstaatspartei weiß die FDP ohnehin, dass wirtschaftliche Macht oft genug Bürger- und Menschenrechte beschränkt hat. Ich bin gespannt, ob die SPD die Kurve zu den Vorstellungen des Godesberger Programms kriegt oder ob sie der neuen Tradition nachgibt, dass das alles nicht mehr zeitgemäß ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

Entflechtung ist kein Allheilmittel
Rede
von
Herbert Schui,