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Eine sozial-ökologische Transformation muss soziale Gerechtigkeit mit ökologischer Erneuerung und umfassender Demokratisierung verbinden.

Rede von Ulla Lötzer,

Rede zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität

 Frau Präsidentin! Kolleginnen! Kollegen! Nach wie vor stehen wir vor der Situation, dass die globale Krise andauert: die globale und europäische Finanzkrise, die soziale Krise mit wachsender Ungleichheit, die Umweltkrise mit ihren Katastrophenfolgen. Insofern war die Einrichtung der Enquete-Kommission sicherlich sehr wichtig. Umso schlimmer finde ich das, Kollege Nüßlein, was Sie hier wieder bieten; denn Sie und die FDP-Kollegen insgesamt haben in dieser Enquete-Kommission gemeinsame Schlussfolgerungen und Lösungsansätze bei wesentlichen Fragen tatsächlich blockiert.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was? Nichts haben wir blockiert!)

Für Sie – das haben Sie gerade sehr deutlich gemacht –ist diese Krise einfach ein Betriebsunfall einer ansonsten gut funktionierenden Politik. Sie meinen tatsächlich, Bekenntnisse zur sozialen Marktwirtschaft würden ausreichen, sich den Problemen zu stellen und dafür Lösungen zu finden. Das ist keine demokratische Antwort. Das will ich Ihnen noch einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Krise ist auch ein Ergebnis einer Politik, die die Interessen von Menschen den kurzfristigen Renditezielen der Finanzmärkte, der großen Konzerne, der Banken und der Spekulanten untergeordnet hat. Für diese Politik sind Sie verantwortlich. Insofern wäre es umso bedeutender gewesen, wenn Sie sich dieser Verantwortung gestellt hätten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die demokratische Antwort auf diese Krise ist, Herr Nüßlein, ein grundlegender Politikwechsel und keine Beschwörung, keine Bekenntnisse, keine Rädchen. Eine sozial-ökologische Transformation

 

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die DDR hatten wir doch schon!)

muss soziale Gerechtigkeit mit ökologischer Erneuerung und einer umfassenden Demokratisierung dieser Gesellschaft verbinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Da helfen alle Schreckgespenste nicht.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wie in der DDR!)

– Das ist sicherlich nicht das, was ich gerade dargestellt habe.

Diese Differenzen spiegeln sich natürlich auch in der Auseinandersetzung um die Wachstumsfrage wider. Ich bin ja erstaunt: Nach vielen Auseinandersetzungen haben Sie alle – auch die Vertreter der FDP und der CDU/CSU – in der Enquete-Kommission erklärt, Wachstum sei auch Ihrer Auffassung nach kein Ziel von Politik. Das hat sich eben ganz anders angehört.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wie?)

An jeder Stelle im Bericht – und auch heute wieder – sagen Sie, Wachstum sei aber Voraussetzung für die Lösung der Probleme. Dabei berücksichtigen Sie immer noch nicht, dass Wachstum an einen steigenden Ressourcenverbrauch gekoppelt ist und dass Wachstum schon lange nicht mehr Wohlstand und Lebensqualität für alle garantiert.

Trotzdem noch einmal, heute zum letzten Mal: Wir ersetzen nicht die Schrumpfung der Wirtschaft durch das Verfolgen von Wachstumszielen, sondern wir haben in dem Bericht eindeutig erklärt: Wir wollen, dass soziale Entwicklungsziele – die Bekämpfung von Armut zum Beispiel –, ökologische Entwicklungsziele – die Senkung des Ressourcenverbrauchs – und nicht das Starren auf Wachstum zum Gegenstand der Politik werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben auch festgestellt – das lässt sich überall empirisch nachweisen –, dass wir es in den Industrieländern aus vielfachen Gründen schon lange mit sinkenden Wachstumsraten zu tun haben. Bei sinkenden Wachstumsraten, so sagen Sie, muss der Sozialstaat geschleift werden, muss die Arbeitszeit verlängert werden, müssen die Löhne gesenkt und muss die Prekarisierung von Arbeit vorangetrieben werden. Das ist ja auch leider Ihre Politik hier und in Europa.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Dummes Zeug ist das!)

Wir dagegen haben uns diesem Problem im Sondervotum der Opposition gestellt, haben Lösungen vorgestellt, wie auch bei sinkenden Wachstumsraten der Sozialstaat erhalten bleiben kann, wie Maßnahmen für gute Arbeit, Umverteilung, Zeitwohlstand und Sicherung des Sozialstaats, zum Beispiel mit einer Bürgerversicherung, aussehen können. Dazu gehört auch ein neues Verständnis von Arbeit und Leben in der Gesellschaft. Sorgearbeit und ehrenamtliches Engagement müssen eine ganz andere Rolle in der Debatte um die Zukunft der Arbeit spielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehört auch die Debatte um Lebensweise und nachhaltigen Konsum. In dem Bericht gibt es viele sinnvolle Vorschläge dazu. Herr Bernschneider, Sie bezeichnen das immer als Freiheitsberaubung und haben es eben auch wieder getan. Wenn Sie jeglichen staatlichen Eingriff, jegliche staatliche Rahmensetzung als Freiheitsberaubung darstellen, vertreten Sie nicht den mündigen Bürger in dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN – Florian Bernschneider [FDP]: Das ist ein direkter Angriff, den Sie da machen! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Darauf komme ich gleich zurück! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Tatsache ist: Sie fordern den mündigen Bürger immer nur als Ersatz für staatliches Handeln. Wo sind die Maßnahmen zur Demokratisierung, zur Wirtschaftsdemokratisierung? Diese lehnen Sie ab – das haben Sie eben auch wieder deutlich gemacht –,

(Zuruf des Abg. Florian Bernschneider [FDP])

genauso wie eine Stärkung der Rechte der Verbraucher oder der Bürger und Bürgerinnen im Bereich der Wirtschaft. Nicht Ihre Position, sondern unsere Position hat etwas mit mündigen Bürgern zu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Dass sich die Linken bei uns nicht schämen!)

Mündige Bürger ersetzen nicht staatliches Handeln. Im Gegenteil: Sie setzen einen mündigen Staat voraus und nicht den Nachtwächterstaat, wie Sie ihn in Ihrer Politik vertreten.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: In der DDR musste man die mündigen Bürger einmauern, damit sie nicht abhauen!)

– Hören Sie doch auf, nach so vielen Jahren auf die DDR anzuspielen!

Einige gemeinsame Fortschritte wurden allerdings erzielt, so in der Finanzmarktregulierung – das ist erfreulich – und in der Finanzpolitik. Die Feststellung, dass eine zukunftsfähige Finanzpolitik nicht nur ausgeglichene Haushalte im Blick haben darf, sondern sich an öffentlicher Daseinsvorsorge, hochwertiger Bildung und daran orientieren muss, Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, ist ein guter Teil dieses gemeinsamen Berichts. Wir werden Sie an den Konsequenzen messen; denn diese bedeuten auch eine andere Politik als Ihr Spardiktat in Europa.

Große Fortschritte hat es in der Ressourcenfrage gegeben, die Anerkennung der planetarischen Grenzen zum Beispiel, die Anerkennung der Tatsache, dass eine absolute Senkung des Ressourcenverbrauchs notwendig ist. Dass sich allerdings die Koalition hier wieder Handlungsempfehlungen verweigert hat, ist wirklich ein Problem.

(Judith Skudelny [FDP]: Das erkläre ich Ihnen nachher!)

Zu den Indikatoren komme ich jetzt leider nicht mehr. Ich kann nur sagen: Wir sehen – das gilt auch für den Entschließungsantrag von SPD und Grünen – das Problem, dass das Verhältnis der verschiedenen Berichte zueinander und der entsprechend zugeordneten Beiräte nicht geklärt ist. Das gilt für den Nachhaltigkeitsbericht, den Armuts- und Reichtumsbericht, den neuen Wohlstandsbericht. Deshalb haben wir das Problem, dass das BIP der zentrale Indikator bleibt und alles andere nur schmückendes Beiwerk ist. Dieses Problem ist unserer Auffassung nach also nicht gelöst.

(Beifall bei der LINKEN)

Ganz zum Schluss möchte auch ich mich bei allen bedanken: bei den Sachverständigen aller Fraktionen, aber auch bei den Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft, der Verbände, der Initiativen, der NGOs, die in vielen Debatten dazu beigetragen haben, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats, den Kolleginnen und Kollegen die Arbeit zu erleichtern. Diese Arbeit war es wert. Es finden sich trotz der Differenzen viele Schätze in dem Bericht.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)