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Die Umwelt ist viel mehr als ein Wirtschaftsgut

Rede von Herbert Schui,

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Die Fraktion der Grünen verlangt in ihrem Antrag, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Wirtschaftsforschungsinstitute zukünftig auch die Umweltbelastung analysieren und prognostizieren. Dieser Forderung stimmt Die Linke zu. Die Wirtschaftspolitik muss grundlegend geändert werden, weil wir die Umweltzerstörung aufhalten müssen. Dafür ist wissenschaftlicher Rat hilfreich. Man darf allerdings nicht überschätzen, was damit gewonnen wäre. Zunächst einmal kann nicht alles, was uns am Herzen liegt, in Euro bewertet werden. Das gilt auch für saubere Luft und schöne Landschaften. Man kann deshalb nicht einfach vom Bruttoinlandsprodukt die Umweltzerstörung in Euro abziehen und dadurch ein objektives Ökoinlandsprodukt berechnen, das es zu maximieren gilt. Das Statistische Bundesamt verzichtet zu Recht in seiner Umweltökonomischen Gesamtrechnung auf die Bewertung von Umweltzustand und Umweltbelastung in Geldeinheiten. Es geht also nicht um eine Korrektur der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, sondern um eine Ergänzung.
Die Vorstellung, Umweltzerstörung in Geld ausdrücken zu können, reduziert die Umwelt auf ein Wirtschaftsgut. Auch das Statistische Bundesamt ist davon nicht frei. Im Bericht zu den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen 2008 ist zu lesen, dass Ökosysteme wie die Atmosphäre, so wörtlich, Dienstleistungen für wirtschaftliche Aktivitäten zur Verfügung stellen. Das Verhältnis von Mensch und Natur wird also als Beziehung zwischen Dienstleister und Kunden gedacht. Das ist blanker Ökonomismus.
Wenn man Schäden für Mensch und Natur nicht erschöpfend in Geld bewerten kann, dann bleibt die Abwägung eine Frage der Politik. Darüber muss öffentlich diskutiert und entschieden werden. Sie kann nicht an ein Expertengremium delegiert werden. Sie kann auch nicht an den Markt delegiert werden. Anhänger einer grünen Marktwirtschaft argumentieren, dass der Markt zum richtigen Ergebnis führt, wenn alle Kosten in den Preisen berücksichtigt werden. Sie folgen damit der Theorie von Milton Friedman, einem der Begründer des Neoliberalismus, demzufolge der Markt eine demokratische Institution ist. Der Ansatz scheitert jedoch daran, dass nicht alle Schäden auf geldwerte Kosten reduziert werden können, ganz abgesehen von der Unsicherheit, was zukünftige Schäden betrifft. Dazu kommt der Verteilungseffekt dieses Ansatzes: In einer grünen Marktwirtschaft kann man sich Umweltverschmutzung leisten, wenn man nur genügend Geld hat.
Die Alternative dazu sind politische Entscheidungen, bestimmte Produktionstechniken vorzuschreiben oder zu verbieten oder verpflichtende Grenzwerte zu setzen. Es kann nicht schaden, wenn sich der Sachverständigenrat oder die Wirtschaftsforschungsinstitute mit diesen Fragen beschäftigen und die Öffentlichkeit beraten. Solange sie jedoch an ihrer Marktgläubigkeit festhalten, werden ihre umweltpolitischen Empfehlungen kaum besser sein als ihre Wachstumsprognosen in jüngster Vergangenheit.