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Stromkosten in der Grundsicherung

Positionspapier von Jessica Tatti,

Arbeitskreis I - Arbeit, Soziales und Gesundheit
verantwortlich: Jessica Tatti, AG Arbeit und Soziales
4. Juli 2023 

Stromkosten in der Grundsicherung

Die explodierenden Preise für Strom machen vielen Menschen in Deutschland das Leben immer schwerer. Bereits 2021 waren ca. 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Energiearmut betroffen; im Jahr 2022 waren es schon 25 Prozent.[1] Deshalb fordert DIE LINKE im Bundestag ein Energiegrundkontingent für alle Bürgerinnen und Bürger zu günstigen und stabilen Preisen. Besonders drastisch betrifft Energiearmut gerade auch Menschen, die Bürgergeld, Sozialhilfe oder Altersgrundsicherung beziehen. Die gestiegenen Strompreise können sie kaum stemmen, weil dafür völlig unzureichende Pauschalen im Regelsatz vorgesehen sind.

Deshalb sind Änderungen im Sozialgesetzbuch II (Bürgergeld) und im Sozialgesetzbuch XII (Sozialhilfe sowie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) dringend notwendig:

Stromkosten müssen aus dem Regelsatz herausgenommen werden. Bis zu einer bestimmten Grenze soll der tatsächliche Verbrauch übernommen werden. Wird diese Grenze überschritten, soll geprüft werden, ob das von den Betroffenen beeinflusst werden kann oder nicht – in letzterem Fall sind die vollen Kosten zu übernehmen.

Das Leben am Existenzminimum bedeutet ohnehin einen sparsamen Lebensstil. Arme Menschen verursachen keine Luxusemissionen wie die Reichen, die für den Löwenanteil an Energieverschwendung verantwortlich sind. Wir orientieren uns an der gesellschaftlichen Mitte, schauen aber auch auf den Einzelfall. Außerdem soll es 100-Prozent-Zuschüsse für neu anzuschaffende weiße Ware sowie einen Anspruch auf Energieberatung geben.

Situation und Probleme bei den Stromkosten

Gegenwärtig müssen die Stromkosten aus dem Regelsatz bezahlt werden. Das gefährdet das Existenzminimum, da die Stromkosten selbst bei einem unterdurchschnittlichen Verbrauch deutlich höher sind als der Betrag, der dafür im Regelsatz vorgesehen ist. Das Preis-Vergleichsportal „Check24“ beziffert diese Lücke mit 130 Euro pro Jahr.[2] Auch der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat bereits 2019 – also vor dem krassen Anstieg der Strompreise – kritisiert, dass die Datengrundlage für die Stromkosten im Regelsatz systematische Untererfassungen enthält.[3] Das liegt u.a. daran, dass von vielen Haushalten statistisch gar keine Stromkosten in die Berechnung miteinfließen, weil sie z.B. zur Untermiete wohnen und den Strom mit der Miete bezahlen.

Die Probleme durch die Unterdeckung der Stromkosten zeigen sich täglich: So berichten 94 Prozent der Caritas-Berater:innen, dass ihre Ratsuchenden aus der Grundsicherung Stromschulden haben.[4] Wer Stromschulden hat, muss auf sein Verhandlungsgeschick und ein Entgegenkommen des Stromanbieters setzen - oder beim Amt mühsam ein Darlehen erkämpfen. Kein Wunder also, dass es regelmäßig zu Stromsperren kommt. 234.926 Stromsperren gab es alleine im Jahr 2021.[5]

Ohne Strom keine Kühlung von Lebensmitteln, kein Licht, keine Heizung, kein Warmwasser, keine Bewerbung am Computer. Strom ist unverzichtbar; er gehört zum Existenzminimum. Viele Verbände fordern deshalb seit Jahren, die Stromkosten aus der pauschalierten Berechnung des Regelbedarfs herauszunehmen, wie es bei Miete und Heizkosten jetzt schon der Fall ist. U.a. der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Sozialverband VdK und der Deutsche Gewerkschaftsbund teilen diese Forderung.

Die Bundesregierung leugnet jedoch jeglichen Handlungsbedarf und stellt sich taub: „Die Einführung eines neuen und zusätzlichen Bedarfs für Haushaltsstrom bei gleichzeitiger Herausrechnung der in den Regelbedarfen enthaltenen durchschnittlichen Verbrauchsausgaben für Haushaltsstrom wird von der Bundesregierung derzeit nicht in Betracht gezogen.“[6]

Forderungen der Fraktion DIE LINKE zu Stromkosten in der Grundsicherung

Wir fordern, dass im Bürgergeld, in der Sozialhilfe und der Altersgrundsicherung die Stromkostenbis zu einer Nicht-Prüfungsgrenze in voller Höhe übernommen werden. Die bisherigen Pauschalen werden im Gegenzug aus den Regelsätzen herausgenommen.

Nur wenn Haushalte mit ihrem Stromverbrauch einen Richtwert überschreiten, wird der Einzelfall geprüft. Die Nicht-Prüfungsgrenze entspricht einem Stromverbrauch der Stufen A – E des Stromspiegels,[7] also den unteren 70 Prozent aller Haushalte. Damit soll der durchschnittliche Verbrauch von Haushalten in der Grundsicherung[8] verlässlich abgedeckt werden. So wird zudem ein unangemessener Aufwand für Betroffene und Behörden vermieden.

Bei einer Überschreitung des Richtwerts soll geprüft werden, ob der Verbrauch von den Betroffenen beeinflusst werden kann oder nicht. Dafür wird ein Anspruch auf eine unabhängige Energieberatung eingeführt. Liegt die Überschreitung an alten Geräten oder ist sie aus anderen Gründen nicht beeinflussbar, werden die Kosten auch oberhalb des Richtwerts übernommen. Die Behörden sollen unter Abwägung mit einem nachhaltigen Ressourcenverbrauch auch den kostenfreien Austausch alter stromfressender Geräte anbieten. Wenn Betroffene einen besonders teuren Stromtarif haben, sollen sie zu einem Wechsel aufgefordert werden. Falls niedrige Strompreise von seriösen Anbietern nicht verfügbar sind, müssen auch die teureren Tarife der Grundversorger anerkannt werden.

Um Stromsperren zu vermeiden, müssen Stromschulden stets auf Darlehensbasis übernommen werden. In diesen Fällen muss schnell eine Schuldnerberatung angeboten werden. Auch bei früherem unwirtschaftlichem Verhalten ist es mit dem Ziel der Existenzsicherung nicht vereinbar, dass Menschen, vor allem Kinder, ohne Strom leben müssen. Im Übrigen befürwortet DIE LINKE im Bundestag ein Verbot von Stromsperren bei allen Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Neben Strom sollen auch „weiße Ware“ – also etwa Kühlschränke und Waschmaschinen – aus dem Regelsatz herausgenommen werden. Stattdessen wird ein 100-Prozent-Zuschuss eingeführt, mit dem kaputte Altgeräte durch energiesparende durch energiesparende Neuanschaffungen ersetzt werden können.


[1] Henger/Stockhausen: Gefahr der Energiearmut wächst, IW-Kurzbericht 55/2022.

[2] Strompreis 2023: Neues Bürgergeld reicht nicht für Stromkosten, check24.de

[3] Problemanzeige des Deutschen Vereins zur Bemessung des Bedarfs an Haushaltsenergie und des Mehrbedarfs bei dezentraler Warmwasserbereitung in Haushalten der Grundsicherung und Sozialhilfe – Lösungsperspektiven, 20.03.2019.

[4] Deutscher Caritasverband e.V.: Stellungnahme zum »Entwurf eines Gesetzes zur Gewährung eines einmaligen Heizkostenzuschusses aufgrund stark gestiegener Energiekosten« (BT-Drs. 20/689) und zum Antrag der Fraktion DIE LINKE »Warme Wohnung statt soziale Kälte« (BT-Drs. 20/25), 25.02.2022.

[5] Bundesnetzagentur/Bundeskartellamt: Monitoring-Bericht 2022 (Marktbeobachtung Monitoring-Energie), 01.02.2023.

[6]Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Fragen in der Woche vom 23. Januar 2023, BT-Drs. 20/5426, Nr. 83, S. 60f.

[7] Der Stromspiegel für Deutschland liefert Vergleichswerte für den Stromverbrauch von Privathaushalten und berücksichtigt dabei, ob Warmwasser mit oder ohne Strom erzeugt wird (zur Methodik: Link).

[8] Heindl. u.a.: Zum Stromkonsum von Haushalten in Grundsicherung: Eine empirische Analyse für Deutschland, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4/17.