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Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission: Die Zukunft der EU-Budgethilfe an Drittstaaten

Positionspapier von Heike Hänsel,

Zentral für die Vergabe von Budgethilfe sind eigenständige Entwicklungsstrategien der Partnerländer. Eigenständige Strategien haben aber nur dann eine realistische Chance auf Erfolg, wenn sie nicht durch unrealistische Anforderungen hinsichtlich „Good Governance“ oder durch wirtschaftliche oder rohstofforientierte Interessen der Geber konterkariert werden.

Arbeitskreis VII
Internationale Politik
verantwortlich: Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin
 

  1. Jahrhunderte lange koloniale Ausbeutung und die gegenwärtige neoliberale, post-koloniale Weltwirtschaftsordnung sind ursächlich für die Entwicklungsunterschiede zwischen den Ländern des Nordens und den Ländern des Südens. Der um ein Vielfaches größere Energie- und Rohstoffverbrauch in den Industriestaaten, verbunden mit einem Vielfachen an Emissionen, hat zu einer ökologischen Schuld des Nordens gegenüber dem Süden geführt. Deshalb sprechen zunehmend mehr Regierungen in den Ländern des Südens von dem Anspruch auf „Kompensation“. Die Länder des Südens  haben Anspruch auf unsere Unterstützung. Daraus leitet sich wiederum ab, dass die sogenannten Geberstaaten keinen selbstverständlichen Anspruch darauf haben, die Verwendung finanzieller Unterstützung nach ihren Maßstäben zu kontrollieren. Diese Unterstützung darf nicht für wirtschaftliche, sicherheitspolitische und geostrategische Interessen missbraucht werden.
  2. Über Jahrzehnte wurden Entwicklungsstrategien, die in den Geberländern erarbeitet worden waren, in den Ländern des Südens implementiert. Diese Strategien haben vielfach Entwicklung verhindert und zur wachsenden Abhängigkeit beigetragen. Budgethilfe kann hier einen Ausweg aufzeigen, insofern sie die Entwicklungsstrategien der Partnerländer und den Aufbau der zu ihrer Umsetzung notwendigen Strukturen unterstützt.
  3. Um die Armut in der Welt nachhaltig zu überwinden, ist die Erreichung des 0,7-Prozentziels unabdingbar. Die Umsetzung der Gelder der öffentlichen Entwicklungshilfe der OECD-Staaten, die durch die Aufstockung auf das international vereinbarte Ziel  von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und langfristig durch eine weitergehende Erhöhung zur Verfügung stehen,  kann nicht allein über Projekte erfolgen. Budgethilfe, die zum Ausbau der staatlichen Kapazitäten in den Partnerländern führt, eröffnet die Möglichkeit, mehr Mittel in die nachhaltige Entwicklung der Partnerländer zu investieren.
  4. Mit der Budgethilfe, also mit direkten Transfers in die Staatshaushalte der Partnerländer, wird die Eigenverantwortlichkeit der Regierungen gestärkt. Auf der Grundlage der im Zuge der Erklärung von Paris und des Aktionsplans von Accra eingeleiteten Maßnahmen und gemäß der Grundsätze Eigenverantwortung, Harmonisierung, Partnerausrichtung, ergebnisorientiertes Management und gegenseitige Rechenschaftspflicht wurden bereits wichtige Fortschritte in den Partnerländern erzielt, die ihre Kapazitäten zur selbständigen Umsetzung von Mitteln erhöht haben. Im Rahmen der Budgethilfe können und müssen die Geberländer diese Bemühungen noch weitgehender unterstützen, anstatt durch einen Rückfall in die herkömmliche Projektarbeit Parallelstrukturen, die sich der öffentlichen Kontrolle in den Partnerländern entziehen, weiter aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus müssen die Geberstaaten ihren Teil der Zielvorgaben erreichen – etwa dass die Geber zwei Drittel der Hilfe als Budgethilfe oder andere programmgebundene Gemeinschaftsfinanzierungen leisten. Die Geber müssen die Arbeitsteilung untereinander (harmonisation) und zugleich mit den Empfängerländern besser abstimmen (mutual accountability).
  5. Zentral für die Vergabe von Budgethilfe sind eigenständige Entwicklungsstrategien der Partnerländer. Eigenständige Strategien haben aber nur dann eine realistische Chance auf Erfolg, wenn sie nicht durch unrealistische Anforderungen hinsichtlich „Good Governance“ oder durch wirtschaftliche oder rohstofforientierte Interessen der Geber konterkariert werden. Entscheidende Vergabekriterien müssen die parlamentarische Kontrolle des Haushalts in den Partnerländern sowie die breite Beteiligung von Parlamenten und Zivilgesellschaften der Partnerländer an den politischen Debatten über die Verwendung der Budgethilfemittel sein.
  6. Die Vergabe von Budgethilfe fördert die Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe, insofern gegenseitige Rechenschaftslegung, Vorhersehbarkeit in der Zusammenarbeit und Geberharmonisierung ebenso gestärkt werden wie Transparenz und parlamentarische Kontrolle. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hält daher die Budgethilfe für ein sinnvolles entwicklungspolitisches Instrument und befürwortet die Vergabe von allgemeiner und sektoraler Budgethilfe sowohl im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union als auch der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit.
  7. Die Fraktion DIE LINKE begrüßt, dass die Europäische Union in den letzten Jahren in wachsendem Umfang Budgethilfe vergeben hat. Zugleich begrüßt die Fraktion den aktuellen Konsultationsprozess und erhofft sich davon die Überprüfung und Verbesserung der Vergabepraxis im Sinne der Steigerung der Wirksamkeit.  In diesem Zusammenhang bedauert es die Bundestagsfraktion DIE LINKE, dass die deutsche Bundesregierung ihre bilaterale Budgethilfe zurückfährt und sich auch innerhalb der Europäischen Union für eine restriktivere Vergabepraxis, die an strengere Kriterien geknüpft ist,  einsetzt.
  8. Kennzeichen vieler Partnerländer im Süden ist ihre schwach ausgebaute öffentliche Infrastruktur, die geringe Ausstattung, Leistungsfähigkeit und Reichweite staatlicher Institutionen und die geringe Kapazität, staatliche Einnahmen zu erzielen, z.B. durch Steuern. Vielerorts hat die Schwäche und finanzielle Abhängigkeit staatlicher Institutionen und Funktionsträger von Patronage-Zahlungen politischer und wirtschaftlicher Eliten zur Verfestigung von korrupten Netzwerken bzw. von informellen Parallelstrukturen geführt. Budgethilfen können und müssen den Aufbau staatlicher Strukturen ermöglichen. Die Staatsapparate müssen in die Lage versetzt werden, unabhängig von den Eliten zu funktionieren – dies ist durch Unterstützung im Rahmen von Budgethilfe möglich.
  9. Nach dem Ownership-Prinzip sollen die Partnerländer mit Unterstützung der Geber eigene Strategien für Entwicklung und Armutsbekämpfung ausarbeiten und bei der Umsetzung und Koordination von Hilfe die Führungsrolle übernehmen. Im Vordergrund der Budgetförderung muss daher der Aufbau transparenter und leistungsfähiger staatlicher Institutionen stehen, Budgetförderung muss dazu beitragen, dass der Leistungskatalog der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeweitet und staatliche Kapazitäten der wirtschaftlichen und sozialen Steuerung erhöht werden. Unter diesen Voraussetzungen können und müssen gerade „schwache Staaten“ in die Budgetförderung aufgenommen werden.
  10. Die Bindung von örtlichen Mitteln und Personal durch das Entstehen von „Hilfsbürokratien“ sowie das „Abzweigen“ von EZ-Transfers durch politische Eliten in den Empfängerstaaten, von der Bundesregierung als Argument gegen Budgethilfe ins Feld geführt, sind nicht auf Budgethilfen beschränkt, sondern ein allgemeines, strukturelles Problem der Entwicklungszusammenarbeit. Selbstverständlich besteht hier Handlungsbedarf und die Bundestagsfraktion DIE LINKE befürwortet ausdrücklich die Aufnahme dieser Fragestellung in den Konsultationsprozess. Zugleich verweist die Bundestagsfraktion DIE LINKE auf die erheblich niedrigeren Transferkosten, die bei der Vergabe von Budgethilfe im Vergleich zur Projekthilfe entstehen.  
  11. Die Wirksamkeit der entwicklungspolitischen Maßnahmen in den jeweiligen Partnerländern muss anhand lokaler Kriterien überprüft werden. In den Geberstaaten entwickelte Maßstäbe und Standards greifen hier zu kurz. Stattdessen müssen im Rahmen des begleitenden Dialogs gemeinsame Entwicklungsindikatoren erarbeitet werden, deren Erfüllung im Rahmen der durch die Budgethilfe unterstützten Maßnahmen angestrebt wird. Die Entwicklungsindikatoren sollten überprüfbar und transparent sein und müssen laufend an die sich verändernden Bedingungen vor Ort angepasst werden.
  12. Budgethilfe kann genauso wenig wie andere entwicklungspolitische Instrumente positive Wirkung entfalten, solange auf anderen Politikfeldern entwicklungsfeindliche Konzepte verfolgt werden. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE fordert deshalb eine entwicklungsförderliche Neuausrichtung der Handelspolitik der Europäischen Union, insbesondere eine Neuformulierung der Mandate für die Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschafts-, Assoziierungs- und andere bi-regionale Abkommen.