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Starke soziale Rechte überall, für alle! Positionspapier zur „europäischen Säule sozialer Rechte“

Positionspapier,

Bereits im September 2015 hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine „europäische Säule sozialer Rechte“ angekündigt. Dafür ist es höchste Zeit, bislang hat die EU sich kaum um die soziale Dimension und das in den Europäischen Verträgen genannte und auf Sonntagsreden gern zitierte Ziel des sozialen Fortschritts gekümmert, die entsprechenden Passagen in den Verträgen haben faktisch keine Bedeutung.

 

AK Außenpolitik und internationale Beziehungen

AK Soziales, Gesundheit und Rente

Juni 2017

Bereits im September 2015 hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine „europäische Säule sozialer Rechte“ angekündigt. Dafür ist es höchste Zeit, bislang hat die EU sich kaum um die soziale Dimension und das in den Europäischen Verträgen genannte und auf Sonntagsreden gern zitierte Ziel des sozialen Fortschritts gekümmert, die entsprechenden Passagen in den Verträgen haben faktisch keine Bedeutung.

Stattdessen sind vor allem in den Krisenländern die Armutsquoten massiv gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit hat in vielen Mitgliedsstaaten eklatant zugenommen, und eine viel zu hohe Zahl von Menschen hat keinen zureichenden Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen. Soziale Rechte müssen in der EU endlich geschützt und besser durchgesetzt werden.

Seit Junckers Ankündigung wird viel diskutiert und konsultiert. Die anti-sozialen Kürzungsprogramme der Troika gehen derweil ungebremst weiter, ebenso die über Europäisches Semester, Defizit- und Ungleichgewichte-Verfahren etc. erzwungenen Privatisierungs- und Liberalisierungsprogramme. Die Europäische Zentralbank (EZB) verknüpft die geldpolitische Unterstützung einzelner Staaten mit neoliberalen und unsozialen Maßnahmen und vergibt weiterhin großzügig Gelder an Privatbanken und Großkonzerne: Anstatt Geld vor allem in Bankenrettungsprogramme und militärische Aufrüstung zu stecken, müsste in Armutsbekämpfung, Arbeit und regionale Entwicklung investiert werden.

All das passiert vor dem Hintergrund der neoliberalen EU-Vertragsgrundlagen, die Wettbewerb in den Mittelpunkt stellen und von den verschiedenen Bundesregierungen maßgeblich mitgeprägt wurden: Im herrschenden Verständnis der Mitgliedstaaten und EU-Institutionen bedeutet der Binnenmarkt-Ansatz eine Angleichung nach unten durch den Abbau der bestehenden Regeln in Bereichen wie Verbraucher- oder Arbeitnehmerschutz, die Verschuldungsregeln des Maastricht-Vertrages einen ständigen Kürzungsdruck und das Beihilfeverbot die Verhinderung gestaltender Eingriffe in den Markt zur Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen. Die Statuten der EZB und die fehlende demokratische Kontrolle verhindern, dass die Geldpolitik zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit genutzt wird. In diesem Rahmen sind die Spielräume für eine Politik sozialer Gerechtigkeit sehr klein.

Mit zahlreichen Pakten und Paketen vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) über das so genannte Economic Governance Package (6-Pack, 2-Pack) bis zum Fiskalpakt wurde dieser Rahmen im Windschatten der großen Wirtschafts- und Finanzkrise in erster Linie auf deutschen Druck hin weiter gestrafft. Zur Verteidigung sozialer Rechte braucht es einen Neustart der EU.

Die Vorschläge der Kommission: Lippenbekenntnisse und neoliberales "Weiter So"

Statt nun mit mutigen Schritten nach vorn zu gehen und eine Diskussion über tatsächlichen sozialen Fortschritt in der EU anzustoßen, legt die Europäische Kommission mit ihrem Konzept zur Sozialen Säule wenig Fortschrittliches vor. Abgesehen von der Überschrift ist im Konzept für die Soziale Säule der EU von sozialen Rechten keine Rede: Die Kommission will mehr Flexicurity – was erfahrungsgemäß vor allem mehr Flexibility (Flexibilität) durch Abbau von Kündigungsschutz etc. bedeutet, während die Security (Sicherheit) für die Beschäftigten hinten runterfällt. Sie will die „Leistungsfähigkeit nationaler Wohlfahrtssysteme“ prüfen und die „Effizienz öffentlicher Ausgaben“ steigern – die Erfahrung zeigt, dass dies in erster Linie auf Ausgabenkürzungen hinausläuft. Sie will der „zunehmenden Alterung der Bevölkerung“ Rechnung tragen – also Renten kürzen und das Eintrittsalter erhöhen. Mit sozialen Rechten hat all das nichts zu tun. Im Gegenteil. Zurecht äußern daher auch Gewerkschaftsverbände wie DGB und EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund) in ihren Stellungnahmen deutliche Kritik.

Ohnehin ist die EU-Kommission als Vorreiterin zur Verteidigung des Sozialen nicht sonderlich glaubwürdig. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unterstützt sie die juristische Attacke gegen die deutsche Arbeitnehmermitbestimmung und als Teil der Troika die Kahlschlagprogramme in Südeuropa und ignoriert zugleich, dass die EU-Mitgliedstaaten sich zur Gewährleistung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte - kurz Sozialer Menschenrechte - verpflichtet haben. Gegen den breiten Widerstand aus der Bevölkerung versucht sie Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP und CETA durchzusetzen. All das ohne demokratisches Mandat und bei weit geöffneten Türen für Lobbyisten der großen Konzerne und Banken.

Letztlich läuft die soziale Säule vor allem auf neue Indikatoren und Lippenbekenntnisse hinaus. Man redet, koordiniert, vergleicht und misst. Man ändert aber wenig. Verbindliche, harte und sanktionsbewehrte Regeln bleiben der Wirtschafts- und Finanzpolitik vorbehalten. Die Überordnung ökonomischer über soziale Interessen bleibt somit unangetastet. Ganz offenkundig geht es in erster Linie darum, der neoliberalen EU-Politik einen sozialen Anstrich zu geben.

Zur Verteidigung und Etablierung sozialer Rechte braucht es einen Neustart der EU!

Für DIE LINKE stehen echte soziale Rechte für alle im Vordergrund. Wir streiten für die Verankerung sozialer Rechte auf allen Ebene: kommunal, national, europäisch und global. Ein wichtiger Schritt hierzu ist die Ratifizierung und Umsetzung der revidierten Sozialcharta des Europarates inklusive des Zusatzprotokolls über Kollektivbeschwerden in Deutschland sowie die Unterzeichnung des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt, mit dem ein Individualbeschwerdeverfahren eingeführt wird. Es geht um ein gutes Leben für alle Menschen, um ein Leben in Würde, ohne Armutsrisiko und Existenzangst, mit allgemeinem Zugang zu guter Bildung und mit umfassender Gesundheitsversorgung und Pflege für jene, die die Hilfe der Gesellschaft brauchen. Wir stehen für eine solidarische Gesellschaft. Auf europäischer Ebene ist das heutige Institutionengefüge der EU diesem Anspruch hinderlich. Die neoliberale EU-Politik steht dabei im Widerspruch zu den Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), die den neoliberalen Vertragsgrundlagen als gleichrangiges Recht gegenüberstehen, und insbesondere in Kapitel VI „Solidarität“ eine Vielzahl Sozialer Menschenrechte beinhaltet,. Dazu gehören unter anderem gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen, der Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit und zu sozialen Diensten sowie der Zugang zur Gesundheitsvorsorge und -versorgung.

Die Debatte um die Zukunft der EU wurde mit dem Weißbuch der Kommission jetzt neu eröffnet. Dass die Kommission gleich fünf Szenarien nebeneinanderstellt, entlarvt ihre Planlosigkeit. Dass kein einziges der fünf Szenarien auf starke europäisch verankerte soziale Rechte hinausläuft, zeigt, welch nebensächliche Rolle das Soziale für die Kommission spielt. Das Ergebnis der von den Regierungen der wirtschaftlich starken Mitgliedstaaten dominierte Zukunftsdebatte dürfte bereits jetzt an zwei Punkten unverändert absehbar sein: Nationale Parlamente und das EU-Parlament werden weiter an Einfluss verlieren und soziale Rechte und Sicherungssysteme werden weiter unter Druck gesetzt werden. Die soziale Säule ist vor diesem Hintergrund ein durchschaubarer Versuch, die Realität zu verwischen.

Wir fordern, dass soziale Rechte zur Top-Priorität gemacht werden. Wir wollen einen Neustart der EU: Eine soziale Fortschrittsklausel soll in den Verträgen verankert werden, damit soziale Rechte Vorfahrt bekommen vor Profitinteressen. Die Rettung keiner Bank und keiner Währung darf mehr als Ausrede für weiteren Sozialabbau herhalten. Die gegenwärtige Verarmungs- und Rezessionspolitik der EU rettet die europäische Einigung nicht, sondern zerstört sie.

Alle politischen Ebenen müssen grundlegend demokratisiert werden. Das bedeutet für die EU-Ebene u.a. eine deutliche Aufwertung des Parlamentes gegenüber der Kommission und eine Demokratisierung der Geldpolitik.

Kurzum: Wir fordern einen neuen politischen Rahmen, der die Abkehr vom zerstörerischen Kurs des Neoliberalismus erlaubt und jene Maßnahmen ermöglicht, die zur Überwindung der Krise gebraucht werden: Eine strenge Finanzmarktregulierung, eine europaweit koordinierte Vermögenssteuer, breit angelegte öffentliche Investitionen in zukunftsfähige und ökologische Wirtschaftszweige und ein Rettungsprogramm für Menschen und kleine und mittlere Unternehmen statt für Großbanken.