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Schwarz-Gelb trägt sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit in keiner Weise Rechnung

Positionspapier,

Die Fraktion DIE LINKE nahm das „Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ 2010 zum Anlass, mittels einer Großen Anfrage die Auffassungen und den Kenntnisstand der Bundesregierung zum Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit öffentlich zu machen.

AK V
Arbeitskreis Gesundheit, Pflege und Behindertenpolitik
verantwortlich: Martina Bunge, Leiterin des Arbeitskreises und gesundheitspolitische Sprecherin

Die Fraktion DIE LINKE nahm das „Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ 2010 zum Anlass, mittels einer Großen Anfrage die Auffassungen und den Kenntnisstand der Bundesregierung zum Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit öffentlich zu machen.

Antwort der Bundesregierung (PDF)


Von der UNO und der Weltgesundheitsorganisation über die Europäische Kommission bis hin zum deutschen Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen wird betont, dass die Bekämpfung von gesundheitlicher Ungleichheit nur durch die Absenkung der sozialen Ungleichheit gelingen kann. Dass Männer mit niedrigem Einkommen immer noch eine um zehn Jahre geringere Lebenserwartung haben als Männer mit hohem Einkommen, kann auch die beste Gesundheitsversorgung und Prävention nicht ausgleichen. Beides  kann aber einen Beitrag zur Verringerung sozial bedingter Ungleichheit leisten.

In über zweihundert Fragen sollte nicht nur geklärt werden, inwieweit Armut und Gesundheit zusammenhängen, sondern auch wie sich Reichtum und Einkommen insgesamt verteilen und welche Entwicklungen hier zu verzeichnen sind. Und natürlich sollte die Bundesregierung die Ziele ihrer Gesundheitspolitik offen legen.

Die Bundesregierung konnte nicht umhin, in vielen Bereichen soziale Ungleichheit und die Auswirkungen auf die Gesundheit zuzugeben. Leider zieht sie daraus nicht die richtigen Schlüsse, häufig sogar gar keine. Die Antworten sind vielfach sehr vage gehalten. Offensichtlich fehlen Daten und Studien zur gesundheitlichen Ungleichheit. Die Bundesregierung konnte 59 von insgesamt 209 Fragen nur völlig unzureichend beantworten. Vor allem, wenn konkrete Daten zur ungleichen Verteilung von sozialen oder Gesundheitschancen abgefragt werden, heißt es meist, dazu lägen keine Erkenntnisse vor.

Einige Antworten werfen weitere Fragen auf: Warum hat die Koalition in der im November verabschiedeten Finanzierungsreform die Ausweitung der Zusatzbeiträge beschlossen, wenn die Verteilungswirkungen dieser Arbeitnehmerbeiträge vollkommen unklar sind? Kann die Bundesregierung eigentlich das Existenzminimum bei ALG II-BezieherInnen garantieren, wenn die Gesundheitsausgaben dieser Gruppe unbekannt sind und für die Berechnung der Regelsätze wohlhabendere, also durchschnittlich gesündere Menschen herangezogen werden? Wieso kann die Bundesregierung eigentlich nicht feststellen oder zumindest abschätzen, in wie weit ein Mindestlohn oder die Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze zur Bekämpfung von Armut beitragen können?

Häufig belässt es die Bundesregierung bei Absichtserklärungen, ohne sich jedoch auf konkrete Zielgrößen und Zeithorizonte festzulegen. So heißt es bei Projekten zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Alleinerziehenden: „Messbare Zielgrößen hat sich die Bundesregierung bei der Umsetzung der geschilderten Maßnahmen nicht vorgegeben“.

Die Bundesregierung bestätigt einerseits die gesundheitlichen Belastungen durch Schichtarbeit wie schwere körperliche Belastungen und andererseits die geringen Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Arbeitnehmer. Sie erkennt an, dass die gesundheitliche Belastungen um größer sind, je weiter unten Der- oder Diejenige in der Betriebshierarchie arbeitet. So würden Männer ohne Berufsausbildung im Vergleich zu Männern mit Hochschulabschluss ein 2,8-fach höheres Frühberentungsrisiko aufweisen. Den gesundheitlichen Belastungen will die Bundesregierung vor allem mit Beratungen zur Arbeitszeit, Präventionsansätzen zur Reduktion von Muskel-Skelett Belastungen, Unfallverhütung etc. begegnen. Knapp 40 Mio. Euro fließen jährlich in die betriebliche Gesundheitsförderung, das sind nur ca. 0,023% der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen insgesamt.

Die Verringerung sozial bedingter Gesundheitsunterschiede nimmt in der Gesundheitspolitik der Bundesregierung nach eigenem Bekunden einen hohen Stellenwert ein. Doch diese Verringerung ist weder in den bestehenden Gesundheitszielen explizit benannt noch sieht die Bundesregierung einen Anlass, ein eigenes Gesundheitsziel zur sozialen Ungleichheit zu formulieren.

Migrantinnen und Migranten sind doppelt so häufig armutsgefährdet wie der Bevölkerungsdurchschnitt. Menschen mit Migrationshintergrund „haben überdurchschnittlich häufig einen niedrigen sozioökonomischen Status, gehen einer die Gesundheit gefährdenden beruflichen Tätigkeit nach oder sind arbeitslos oder leben in einer ungünstigen Wohnsituation.“ Konsequenzen daraus werden jedoch nicht abgeleitet.

53 Prozent der Frauen mit hohem beruflichem Status weisen laut eigener Aussage einen sehr guten oder guten Gesundheitszustand auf. Bei Frauen mit niedrigem beruflichem Status sagen das nur 39 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, eine Adipositas zu entwickeln, ist für Frauen mit niedrigem Sozialstatus 3,2 Mal so hoch wie für Frauen mit hohem Sozialstatus.

Fazit:

Die Bundesregierung hat im europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung nicht das kleinste Zeichen gesetzt, geschweige denn einen Paradigmenwechsel hin zu einer sozialen Gesundheitspolitik herbeigeführt. Gesundheitsminister Rösler hat zu vielen Themen gesprochen – zu Ärztehonoraren, Arbeitgeberbeiträgen oder zum Gesundheitsmarkt. Zu Gesundheit und sozialer Ungleichheit ist kein einziges Zitat bekannt. Das zeigt das Desinteresse des Ministers und der Bundesregierung an diesem Thema.

Die Gesundheitspolitik von Schwarz-Gelb trägt der sozial bedingten gesundheitlichen Ungleichheit in keiner Weise Rechnung. So wird das Gesundheitssystem aufgrund der derzeitigen Gesundheitspolitik zunehmend selbst zur Ursache von sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit, statt zu deren Reduzierung beizutragen. Denn Kopfpauschale, Zuzahlungen, Praxisgebühren und Festzuschüsse benachteiligen Menschen mit geringem Einkommen und chronischen Krankheiten.

Die Bundesregierung setzt in weiten Teilen auf individuelles Gesundheitsverhalten. Jährlich fließen viele Millionen Euro in Informations- und Aufklärungskampagnen. Eine Evaluation deren Wirksamkeit erfolgt nach eigener Aussage nicht. Ob derartige Kampagnen aber wirksam sein können, ist zweifelhaft. So erklärt das Gesundheitsverhalten die gesundheitlichen Unterschiede von gut gebildeten Frauen zu bildungsfernen Frauen nur zu 29 Prozent. Das Gesundheitsverhalten selbst ist zudem nach Aussagen der Bundesregierung wiederum eng mit dem Sozialstatus verknüpft. Auch wenn die Bundesregierung erkennt, dass das Gesundheitsverhalten eng mit dem Sozialstatus verknüpft ist, zieht sie keinesfalls den Schluss, an den unterschiedlichen Verhältnissen etwas ändern zu müssen, sondern überlässt die am meisten Betroffenen dieser Situation.