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Gegen den Krieg in Libyen

Positionspapier von Christine Buchholz,

Argumente aus der Debatte im Arbeitskreis Internationale Politik / Fragen und Antworten

Argumente aus der Debatte im Arbeitskreis Internationale Politik / Fragen und Antworten

AK VII
Arbeitskreis Internationale Politik
verantwortlich: Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Fraktion

 

Wird in Libyen ein Krieg für Demokratie und Menschenrechte geführt?

Frankreich, Großbritannien und die USA begannen am 19. März mit Luftangriffen den Krieg in Libyen. Von Beginn an positionierten sich die USA und die EU-Staaten im libyschen Bürgerkrieg gegen einen Waffenstillstand und gegen eine Verhandlungslösung. Inzwischen hat die NATO das Kommando für den Kriegseinsatz in Libyen vollständig übernommen.

Die NATO führt einen Krieg, der wahrscheinlich katastrophale Folgen haben und die Zahl der zivilen Opfer dramatisch erhöhen wird. Die Zahl der Kriegsflüchtlinge wird weiter ansteigen, die EU-Staaten wollen sie jedoch nicht aufnehmen. Besonders hart trifft es hunderttausende Subsahara-Afrikanerinnen und -afrikaner. Sie können nicht einmal in ihre Herkunftsländer fliehen, weil dort ebenfalls bewaffnete Konflikte toben oder diktatorische Regimes herrschen, wie etwa im Tschad oder in Somalia.

Als ein zentrales Element der Begründung für das Eingreifen der Koalition der Willigen diente die Argumentation, in Bengasi drohe ein Massaker. Selbst der UN-Sicherheitsrat zieht aber in der Resolution 1973, mit der die Intervention in Libyen von der UN abgesichert wurde, nur „in Erwägung“, dass die „stattfindenden ausgedehnten und systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen“. Die libysche Armee hatte bei den Kämpfen bis dahin mehrere Städte erobert, verloren und zurückerobert – ohne dass es Berichte über Massaker an der Zivilbevölkerung gegeben hätte.

Bedeutet die Ablehnung der Intervention, dass wir auf der Seite Gaddafis stehen?

Nur weil wir gegen den Krieg sind, sind wir nicht für Gaddafi. Wir lassen uns nicht vor die Wahl stellen: Diktatur oder NATO-Intervention. Zwar galt Gaddafi lange Zeit als Gegenspieler der großen Kolonialmächte in Nordafrika. Aber seine Revolution war die eines bürgerlichen panarabischen Nationalisten, und er hat in Libyen einen Staatskapitalismus installiert. Das Regime ist korrupt und hat immer unnachsichtig jeden Protest unterdrückt.

Die Macht teilt sich unter den Familienmitgliedern Gaddafis auf – Söhne und Cousins wurden mit Posten versorgt. Es wurden keine politischen Parteien zugelassen. Es gab keine freien Wahlen, aber politische Repression gegen Andersdenkende. Das Gaddafi-Regime regiert mit ebenso despotischen Mitteln wie die inzwischen entmachteten Diktatoren in Tunesien und Ägypten oder die Herrscher in Saudi-Arabien und Bahrain.

Wir stehen auf der Seite der Demokratiebewegung. Aber die NATO ist Teil des Problems und nicht der Lösung.

Hilft der Krieg der Demokratiebewegung in Libyen?

Bomben bringen keine Demokratie – auch nicht in Libyen. Demokratie ist das Ergebnis von sozialen und politischen Bewegungen. Der sich immer länger hinziehende Krieg in Libyen verhindert einen demokratischen offenen Prozess.

In Tunesien und Ägypten hatten Massenbewegungen mit Hunderttausenden auf den Straßen und im Streik die Stimmung in der Armee zugunsten der Bewegung gekippt und eine gewaltsame Unterdrückung der Proteste verhindert. Davon ist die Bewegung in Libyen weit entfernt. Das ermöglichte es der libyschen Regierung, die Armee einzusetzen. Das Ergebnis ist ein Bürgerkrieg.
Diese politische Schwäche der Bewegung kann nicht durch NATO-Bomben aufgehoben werden. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher, da durch die koloniale Vergangenheit das Eingreifen der NATO Gaddafi politisch stärken könnte – mit jedem bei den Luftangriffen getöteten Zivilisten in zunehmendem Maße.

Ist der Krieg in Libyen die Verteidigung des „Arabischen Frühlings“?

Manche behaupten, mit dem Krieg in Libyen weder die Demokratiebewegung in der gesamten Region unterstützt. Das ist falsch.

Der NATO-Krieg wird unter anderem mit infrastruktureller Unterstützung von Saudi-Arabien und Katar geführt. Diese Staaten unterdrücken ihre eigene Bevölkerung brutal und skrupellos. Und sie schicken Waffen und Soldaten in die Nachbarländer Bahrain und Jemen, um den dortigen Regimes bei der Niederschlagung der Bewegungen zu helfen. Der Krieg in Libyen stärkt die Rolle Saudi-Arabiens in der Region und seine Fähigkeit, militärisch einzugreifen.

Warum sind wir gegen Waffenlieferungen an die Aufständischen?

Waffenlieferungen an die Aufständischen würden den Krieg nur weiter eskalieren. Diese Form der einseitigen Parteinahme ist nicht durch die Resolution des UN-Sicherheitsrates gedeckt. Unser Ziel ist ein sofortiger Waffenstillstand und umgehende Friedensverhandlungen zwischen den Kriegsparteien.

Steht die NATO auf Seiten der Opposition und worum streiten die NATO Mitglieder?

Heute stehen die NATO und der Westen gegen Gaddafi. Allerdings standen sie noch vor wenigen Monaten hinter ihm. Es gab eine enge Zusammenarbeit bei den Handelsbeziehungen. Rüstung wurde nach Libyen exportiert. Und in der Flüchtlingsabwehr war Gaddafis Libyen ein zentraler Vorposten der EU.

Der Westen sucht nach einem Weg, der einerseits seinen Einfluss sichert, ihn aber nicht zum Feind der Reformer im arabischen Raum werden lässt. Dafür scheint sich der Krieg gegen Gaddafi, der sich in Afrika nicht nur Freunde gemacht hat, besonders gut zu eignen.
Die intervenierenden Staaten haben ihre eigene Agenda und haben ein nur funktionales instrumentelles Verhältnis zur Opposition.

Libyen verfügt über die größten Öl-Reserven Afrikas. 70 %  seiner Öl- und Gasexporte gehen in die EU, davon 40 % nach Italien, 13 % nach Deutschland, 8 % nach Frankreich und 7 % nach Spanien.  Im Bürgerkrieg mit den Rebellen ist der Ölexport jedoch zusammengebrochen.

Seit 2004 wurden wieder ausländische Investoren ins Land gelassen und milliardenschwere Abkommen mit westlichen Öl- und Energiekonzernen abgeschlossen. Zu ihnen gehören die britisch-niederländische BP, der französische Mineralölkonzern TOTAL, der italienische Energiekonzern ENI und die Öl- und Gastöchter von RWE und BASF aus Deutschland.
Die USA sind in den Krieg eingetreten, um ihre Vormachtstellung in der NATO zu zementieren und Frankreich keine freie Hand in Nordafrika zu überlassen. Ihr strategisches Interesse speziell an Libyen ist recht gering. Frankreich stellte sich bereits sehr früh gegen Gaddafi – drohte Sarkozy doch weiterer Akzeptanzverlust, weil Frankreich als letztes Land an Despoten wie Ben Ali festgehalten hatte.

Warum hat sich die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat enthalten?

Die deutsche Wirtschaft hatte kein besonderes Interesse an Veränderungen in Libyen, dafür aber Argwohn gegenüber den französischen Motiven in Afrika insgesamt. Es gibt seit langem Konflikte zwischen Paris und Berlin über die Afrika-Politik.

Im Nachhinein nutzt die Bundesregierung ihre Enthaltung bei der Resolution 1973 innenpolitisch, um sich als „Friedensmacht“ darzustellen. Die Empörung von SPD und Grünen über die Enthaltung im Sicherheitsrat hilft der Regierung bei der Ausweitung der Kriegsbeteiligung in Afghanistan.

Ist die Bundesregierung gegen den Krieg?

Nur weil die Bundesregierung nicht für den Krieg war, heißt nicht, dass sie nun, da er begonnen hat, gegen den Krieg ist. Sie will auf jeden Fall eine Schwächung der NATO vermeiden.
Deswegen wird die Regierung, wie beim Irak-Krieg, den Verbündeten bei dem Krieg indirekt helfen. Politische Rückendeckung für die NATO leistete Bundeskanzlerin Merkel in den letzten Wochen, indem sie betonte, dass sie sich zwar nicht am Krieg beteilige, ihn aber richtig finde.
Weil es ein NATO-Krieg ist, ist Deutschland vielfach involviert. Die Bomber nutzen deutschen Luftraum. Anfänglich lag das Operationskommando bei der Africom in Stuttgart. Deutsche Soldaten und Einrichtungen werden für die allgemeine Infrastruktur des Krieges genutzt. Die Bundesregierung hat mit der Entsendung von AWACS-Besatzungen nach Afghanistan die NATO-Partner für ihren Einsatz in Libyen entlastet.

Wenn sich die Regierung gegen den Krieg hätte stellen wollen, hätte sie viele Möglichkeiten gehabt. Sie hätte gegen die Resolution stimmen können. Sie hätte den deutschen Luftraum sperren können, wie es der damalige Kanzler Helmut Kohl 1986 bei der US-Intervention gegen Libyen tat. Die NATO hat das Kommando für den gesamten Kriegseinsatz in Libyen übernommen. Das hätte Deutschland mit einem Nein verhindern können.

Warum ist es falsch, jetzt deutsche Soldaten zur "humanitären Hilfe" nach Libyen zu schicken?

Der EU-Rat hat beschlossen, „einen Beitrag zum sicheren Transport und zur Evakuierung von Vertriebenen zu leisten“, falls dies von der UN angefordert wird. Zu diesem Zweck wurden die EU-Battlegroups - die sofort verfügbaren Bodenkampfeinheiten der EU - auserkoren. Dies sind Infanterieeinheiten mit „hoher Schlagkraft“, wie es im Militärjargon heißt. Zu den jeweils rund 2 000 Soldaten gehören momentan über 900 Angehörige der Bundeswehr. Die Entsendung dieser Battlegroups wäre eine unmittelbare Beteiligung an dem Krieg mit Bodentruppen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, merkte dazu an, dass man, wenn man erst „in einem Land sei, in der Regel nicht so schnell wieder hinaus“ komme.

Inwiefern ein solcher Einsatz Flüchtlingen helfen kann, ist völlig unklar. Wenn es darum ginge, müsste die EU sicherstellen, dass die Flüchtlinge, die es auf Boote geschafft haben, sicher nach Lampedusa gebracht und von dort auf die EU-Staaten verteilt werden.

Statt Soldaten zu schicken, wären Verhandlungen über eine Feuerpause und die Schaffung eines humanitären Korridors für zivile Hilfe nötig. Die libysche Regierung hat bereits angekündigt, dem Roten Kreuz und Roten Halbmond Zugang gewähren zu wollen.

Was kommt nach dem Krieg?

US-Außenministerin Clinton sagt, der Krieg werde solange weitergehen, bis Gaddafi zurückgetreten sei. Luftangriffe werden dieses Ziel nicht erreichen, die Aufständischen sind militärisch und politisch zu schwach. Das bedeutet, dass die Debatte über den Einsatz von Bodentruppen wieder aufkommen wird – was zu einer Besatzung Libyens führen würde.
Weil die Besatzung eines weiteren Landes außen- und innenpolitisch schwer durchzusetzen wäre, könnte die NATO sich auch mit einer Teilung Libyens zufrieden geben. Am Ende könnte dann eine Teilung des Landes stehen - mit Gaddafi als Diktator im Westen und einem pro-NATO Diktator im ölreichen Osten.

Was geschieht mit dem Völkerrecht?

Darüber, ob die UN-Resolution 1973 völkerrechtskonform ist, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Auf jeden Fall stellt sie einen Präzedenzfall dar. Zum ersten Mal werden Staaten aufgefordert, in innerstaatliche Konflikte einzugreifen, „um Zivilisten zu schützen“. Das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht (Genfer Konventionen, Zusatzprotokoll II, Art.3, 13), wonach weder mittelbar noch unmittelbar in einen innerstaatlichen Konflikt eingegriffen werden, geschweige denn Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen.

Wenn sich dies etabliert, müsste der Sicherheitsrat auch für zahlreiche andere Länder auf dem Globus ein Mandat zu Militärinterventionen erteilen. Das gibt den militärisch und wirtschaftlich starken Staaten die Legitimierung, überall einzugreifen, wo es ihren Interessen entspricht.
Punkt Vier der Resolution 1973 ist eine Generalvollmacht zur fast unbegrenzten Kriegsführung. Darin „ermächtigt“ der Sicherheitsrat die kriegswilligen Staaten, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die von Angriffen bedrohten Zivilpersonen und von ihnen bewohnte Gebiete in Libyen zu schützen“, mit der einzigen Einschränkung, dass „ausländische Besatzungstruppen jeder Art“ damit nicht autorisiert sind. Das schließt aber einen zeitlich begrenzten Einsatz von Bodentruppen keineswegs aus.

Was wünschen wir uns für Libyen?

Es bräuchte eine wirkliche demokratische Bewegung, um das Gaddafi-Regime zu ersetzen und soziale Gerechtigkeit herzustellen. Auf jeden Fall verdienen die Libyerinnen und Libyer keine militärische Aggression. Unsere erste Aufgabe liegt darin, westliche Einmischung zu unterbinden -  vor allem die militärische.

Gegenwärtige Initiativen für einen Waffenstillstand und Verhandlungen sollten in jedem Fall unsere Unterstützung finden.

Deutschland muss sich dazu bereit erklären, sich an der Aufnahme der vom UNHCR in Libyen registrierten Flüchtlinge in Deutschland zu beteiligen, hierfür mit Organisationen wie der Save-me-Kampagne gegenüber der deutschen Bevölkerung zu werben und gegenüber seinen Partnern in der EU ebenfalls für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Libyen einzutreten.
Zudem sollen im Falle der Flucht einer hohen Zahl von libyschen Staatsangehörigen, die die afrikanischen Nachbarstaaten überfordert, selbst Kapazitäten für die Aufnahme dieser Flüchtlinge bereit gestellt werden.