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Ein Arbeit in blauer Latzhose und mit gelbem Helm in der Hand läuft durch eine Werkhalle © iStock/gilaxia

Für einen aktiven und wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz

Positionspapier,

Mangelhafter betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz kann dramatische Konsequenzen haben, das hat die Corona-Pandemie schonungslos offengelegt. Die Arbeitsschutzgesetzgebung ist in Deutschland recht weitgehend. Allerdings hapert es massiv bei der Umsetzung in den Betrieben. Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag fasst in einem aktuellen Positionspapier zusammen, welche Maßnahmen für besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz notwendig sind.

Arbeitskreis I

Arbeit, Soziales und Gesundheit
verantwortlich: Jutta Krellmann, AG Arbeit
17. November 2020

Einleitung

Mangelhafter betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz kann dramatische Konsequenzen haben, das hat die Corona-Pandemie schonungslos offengelegt. Die Arbeitsschutzgesetzgebung ist in Deutschland recht weitgehend. Allerdings hapert es massiv bei der Umsetzung in den Betrieben. Unkenntnis, Kostendruck und schlichter Unwille sorgen dafür, dass es viele Arbeitgeber mit dem Arbeitsschutz nicht so genau nehmen. Positive Beispiele von engagierten und beteiligungsorientierten Maßnahmen finden sich fast ausschließlich in Betrieben mit Betriebsrat und starker gewerkschaftlicher Organisation. Dabei wäre ein guter Arbeitsschutz heute wichtiger denn je, denn die Arbeitswelt wandelt sich. Beschleunigte Digitalisierung, prekäre Beschäftigung und eine immer höhere Arbeitsintensität sind die Stichworte. Die Zahl der Krankentage hat sich in den letzten zehn Jahren um 70 Prozent erhöht. Besonders psychische Erkrankungen sind seit Jahren deutlich auf dem Vormarsch – immer mehr Beschäftigte brennen regelrecht aus. Doch Arbeit darf nicht krank machen!

Deshalb gibt es dringenden Handlungsbedarf beim Arbeit- und Gesundheitsschutz. Bisher haben wir ein liberales Arbeitsschutzsystem - inwiefern Arbeitsschutz stattfindet wird allein den Arbeitgebern überlassen. Viel besser wäre es, wenn Beschäftigte und ihre Vertretungen mehr mitgestalten und der Staat besser kontrolliert. Doch kaputtgesparte Kontrollbehörden und eine schwindende betriebliche Mitbestimmung erschweren einen wirksamen Arbeitsschutz. Hier wollen wir als Fraktion DIE LINKE. im Bundestag ansetzen. Die von der Bundesregierung als Reaktion auf die Corona-Krise geplanten Maßnahmen sind nicht ausreichend. Es braucht grundsätzliche Veränderungen in vier Bereichen, die ineinandergreifen müssen, um in allen Branchen einen wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu ermöglichen: 


Auf einen Blick: 

  1. Die Schutzgesetze gilt es zu erweitern. Eine regelmäßige Arbeitsschutzerklärung gegenüber den Aufsichtsbehörden muss für Arbeitgeber verpflichtend werden. Außerdem brauchen wir eine Anti-Stress-Verordnung und eine Arbeitszeitoffensive.
  2. Die betriebliche Mitbestimmung ist der beste Arbeitsschutz und muss ausgeweitet werden. Die Rolle von Gewerkschaften ist durch ein Verbandsklagerecht zu stärken. 
  3. Wir brauchen häufigere und bessere Arbeitsschutzkontrollen. Dass geht nur mit deutlich mehr Personal und einer besseren Zusammenarbeit der Arbeitsschutzakteure.
  4. Wirksame und abschreckende Strafen bei Verstößen gegen den Arbeitsschutz müssen her.

1. Schutzgesetze erweitern

Am besten ist es, wenn Arbeit so gestaltet ist, dass sie gar nicht erst krank macht. Deshalb sind heute schon Arbeitgeber durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Doch um Sicherheit und Gesundheit in einer Arbeitswelt im Wandel zu gewährleisten, müssen die bestehenden Schutzgesetze erweitert werden. 

1.1 Regelmäßige Arbeitsschutzerklärung gegenüber den Aufsichtsbehörden

Das Herzstück des betrieblichen Arbeitsschutzes ist die Gefährdungsbeurteilung. Sie ist Scharnier zwischen der abstrakten Arbeitsschutzgesetzgebung und den konkreten Maßnahmen im Betrieb. Ohne sie ist ein effektiver betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz undenkbar. Dennoch erstellen viele Arbeitgeber keine Gefährdungsbeurteilung, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet sind. Bestehende Gefährdungsbeurteilungen sind oft fehlerhaft und psychische Belastungen werden nur in jedem vierten Fall berücksichtigt. Das ist ein eklatantes Problem, an dem das gesamte Arbeitsschutzsystem scheitern muss. 

Um bei dieser und anderen Pflichten für mehr Verbindlichkeit bei den Arbeitgebern zu sorgen, fordern wir: eine regelmäßige Arbeitsschutzerklärung der Arbeitgeber gegenüber den Aufsichtsbehörden muss verpflichtend werden. Ähnlich der Steuererklärung haben Arbeitgeber vom Stand des betrieblichen Arbeitsschutzes und den unternommenen Maßnahmen zu berichten. Die Arbeitsschutzerklärung soll insbesondere Informationen aus der regelmäßigen Gefährdungsbeurteilung beinhalten und digital erfolgen. Dadurch kann eine automatisierte Plausibilitätskontrolle stattfinden, der bürokratische Aufwand wird minimiert. Die Aufsichtsbehörden können die Informationen für ihre Kontroll- und Beratungspraxis nutzen. Das Ausbleiben einer Erklärung muss sanktioniert werden.

Vor Umstrukturierungen oder der Implementierung neuer Technologien sollte eine Einbeziehung der Arbeitsschutzbehörden bereits in der Planungsphase verpflichtend sein. Außerdem muss festgeschrieben werden, dass die Gefährdungsbeurteilung partizipativ vorgenommen wird: Nicht nur der Betriebsrat, der bei der Gefährdungsbeurteilung ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht hat, sondern auch die Belegschaft ist aktiv an dem Prozess zu beteiligen.

1.2 Anti-Stress-Verordnung 

Negative psychische Belastungen bei der Arbeit nehmen seit Jahren zu. Überdeutlich macht dies die steigende Zahl an Fehltagen, die sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat. Jede Fünfte Krankschreibung geht inzwischen auf Erkrankungen der Psyche zurück. In den Betrieben wird nach wie vor viel zu wenig gegen diese Entwicklung unternommen, obwohl es das Arbeitsschutzgesetz vorsieht. Was fehlt, ist eine Verordnung, die Arbeitgebern klar vorschreibt, wie Beschäftigte vor Stress, dauerhafter Ermüdung und Monotonie zu schützen sind. Im Gegensatz zu den anderen fünf explizit genannten Tatbeständen von Gefährdungen aus § 5 Abs. 2 ArbSchG existiert allein für die psychischen Belastungen keine weitergehende Verordnung. mit der Anti-Stress-Verordnung werden keine neuen Verpflichtungen für den Arbeitgeber geschaffen. Die Verpflichtungen aus dem ArbSchG werden aber konkretisiert. Damit müssen alle Aspekte von Arbeit – wie Arbeitsaufgaben, Arbeitsorganisation, und Arbeitszeiten – so gestaltet werden, dass sie nicht mehr krank machen. Die Anti-Stress-Verordnung wäre damit eine wichtige Hilfe für Unternehmen, betriebliche Interessenvertretungen und Aufsichtsbehörden. Die bereits aus dem Jahr 2013 stammende Bundesratsvorlage für eine Anti-Stress-Verordnung (Bundesrat-Drs. 315/13) muss endlich umgesetzt werden. Unter dem Eindruck des Wandels der Arbeitswelt ist sie in folgenden Punkten zu aktualisieren:

  • Die Folgen der Digitalisierung müssen stärker berücksichtigt werden. Dazu zählen die Bedingungen bei mobiler Arbeit und im Home-Office, steigender Überwachungs- und Kontrolldruck und die Gefahren ausufernder Erreichbarkeit. 
  • Die Gesundheitsfolgen einer steigenden Arbeitsintensität sowie neuer Führungsformen wie indirekter Steuerung brauchen ein besonderes Augenmerk.
  • Es braucht einen besonderen Schutz für atypische Beschäftigte - in Teilzeit, geringfügiger Beschäftigung, Befristungen sowie in Leih- und Werkvertragsarbeit. Denn Stress wird nicht nur durch den Inhalt, sondern auch durch die Bedingungen der Arbeit ausgelöst. 
  • Bei der Beteiligung mehrerer Arbeitgeber oder Konstellationen wie Werkvertragsbeschäftigung, Leiharbeit und Crowdwork, die zu „gemischten Belegschaften“ führen, ist die Zuständigkeit für den Arbeitsschutz eindeutig zu klären.

1.3 Arbeitszeitoffensive

Überlange Arbeitszeiten, mangelnde Ruhezeiten oder ständige Erreichbarkeit können krank machen. Es ist deshalb unabdingbar, Arbeitszeiten zu dokumentieren. Die digitale Erfassung von Arbeitszeiten muss verpflichtend gemacht werden, insbesondere bei flexiblen Arbeitszeitmodellen oder im Homeoffice. Die Arbeitszeiterfassung muss objektiv, verlässlich und zugänglich erfolgen. Die Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14.05.2019 (C-55/18) hat unverzüglich zu erfolgen. 

Darüber hinaus steht eine Reduzierung der Arbeitszeit auch aus Gründen des Gesundheitsschutzes auf der Tagesordnung. Eine 4-Tage Woche mit 30 Wochenarbeitsstunden bei vollem Lohnausgleich würde Beschäftigte spürbar entlasten. Außerdem brauchen wir eine verbindliche Personalbemessung nicht nur in der Pflege. Natürlich müssen sich Menschen auf ihre Arbeitszeiten verlassen können. Überstunden, Arbeit auf Abruf oder das Tauschen von Schichten gilt es auf ein Minimum zu reduzieren. Damit diese Regeln eingehalten werden, sind nicht nur flächendeckende Kontrollen, sondern auch eine starke betriebliche Mitbestimmung unerlässlich, die sich auch auf die Personalbemessung bezieht.

2. Mitbestimmung und gewerkschaftliche Interessenvertretung ausweiten

Die wichtigste Institution des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind Betriebs- und Personalräte. Sie sind verpflichtet, sich vor Ort für die Durchführung der Vorschriften über den Arbeitsschutz einzusetzen, und verfügen über entsprechende Mitbestimmungsrechte. In mitbestimmten Betrieben werden häufiger Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt. Auch in anderen Fragen führen Betriebsräte nachweislich zu gesünderen und sicheren Arbeitsbedingungen. 

2.1 Mitbestimmung ausweiten heißt Arbeits- und Gesundheitsschutz ausweiten

Maßnahmen zur Förderung der Mitbestimmung sind damit auch gleichzeitig Maßnahmen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Heute gibt es nur noch in jedem zehnten Betrieb einen Betriebsrat - das ist viel zu wenig. Deshalb müssen Betriebsratswahlen erleichtert werden, vor allem bei der erstmaligen Wahl eines Gremiums. Außerdem brauchen wir einen besseren Schutz der Betriebsräte vor Behinderung ihrer Arbeit. 

2.2 Ausbau der Mitbestimmungsrechte

Wir brauchen eine Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung. Sie ist die richtige Antwort auf die steigende Intensivierung der Arbeit, zu der der Wandel der Arbeitswelt in nahezu allen Branchen geführt hat. Der Betriebsrat muss bei der Personalbemessung, der Arbeitsorganisation, den Zielvorgaben und der betrieblichen Weiterbildung zwingend mitbestimmen. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG muss dahingehend präzisiert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die übertragenen Aufgaben mit den Ressourcen der Beschäftigten vereinbar sind. 

Zentrales Element der Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz ist die Gefährdungsbeurteilung und der Maßnahmenplan. Hier hat der Betriebsrat weitgehende Mitbestimmungsrechte. Die Durchsetzung dieser Rechte ist jedoch oft sehr schwierig und muss beschleunigt werden. Der Betriebsrat muss die Gefährdungsbeurteilung gemeinsam mit den erforderlichen Maßnahmen verhandeln und in einer Einigungsstelle durchsetzen können. Im Zweifelsfall muss auch die Einigungsstelle Gefährdungen feststellen und dafür externen Sachverstand hinzuziehen können. Für akute Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes braucht es ein Schnellverfahren. Bei offensichtlichen Verstößen gegen geltende Verordnungen muss der Betriebsrat direkt Abhilfemaßnahmen durchsetzen können. Erst im Nachhinein sind diese im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu prüfen. Die Vorgaben der Anti-Stress-Verordnung wären zum Beispiel Anlass für akute Maßnahmen.  

2.3 Die Rechte der einzelnen Beschäftigten müssen gestärkt werden

In Betrieben ohne Betriebsrat muss es einzelnen Beschäftigten leichter gemacht werden, ihren Anspruch auf einen gesundheitsgerechten Arbeitsplatz geltend zu machen. Dies kann erreicht werden, indem das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB bei mangelnder Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz erleichtert wird. Außerdem muss es Beschäftigten erleichtert werden, bei externen Stellen auf Missstände und Fehlverhalten aufmerksam zu machen (Whistleblowing).

2.4 Die Rolle der Gewerkschaften beim Arbeits- und Gesundheitsschutz stärken

Ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften beim Arbeits- und Gesundheitsschutz erleichtert die Rechtsdurchsetzung für einzelne Beschäftigte erheblich. Um dieses Klagerecht auch ausüben zu können, brauchen die Gewerkschaften ein Zugangsrecht zum Betrieb, um selbstständig die Arbeitsbedingungen zu kontrollieren. Die regelmäßige Arbeitsschutzerklärung des Arbeitgebers ist selbstverständlich vom Betriebsrat mitzubestimmen und auch den Gewerkschaften zugänglich zu machen. Sie kann damit nicht nur den Aufsichtsbehörden, sondern auch den betrieblichen Interessenvertretungen und den Gewerkschaften als Informationsgrundlage dienen.

3. Kontrollen ausbauen

Die Arbeitsschutzaufsicht in Deutschland ist in einem besorgniserregenden Zustand. Immer weniger Personal führt immer weniger Kontrollen in immer mehr Betrieben durch. Die Zahl der Arbeitsschutzkontrollen ist in den letzten zehn Jahren um knapp die Hälfte zurückgegangen. Im Durchschnitt wird jeder Betrieb nur alle 25 Jahre kontrolliert. Die zuständigen Kontrollbehörden sind im internationalen Vergleich nicht angemessen ausgestattet und die Aufsicht auf verschiedene Institutionen verteilt. Es ist höchste Zeit gegenzusteuern. 

3.1 Bessere Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren beim Arbeitsschutz muss deutlich verbessert werden. Hierzulande gibt es, anders als in anderen europäischen Ländern, keine einheitlichen Arbeitsinspektionen. Stattdessen gibt es ein Nebeneinander zwischen den Arbeitsschutzaufsichten der Länder, den Arbeitsinspektionen der gesetzlichen Unfallversicherung und Bundesbehörden wie dem Zoll. Diese Institutionen kontrollieren parallel zueinander Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitszeitgesetz und weitere Schutzbestimmungen. Trotz einer Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) kommt es regelmäßig zu Unklarheiten, Doppelzuständigkeiten und Reibungsverlusten. Hier brauchen wir dringend eine bessere Abstimmung und einheitliche Richtlinien. Insbesondere für Problembranchen sind einheitliche Stellen zu schaffen. 

3.2 Quantität steigern

Die Bundesregierung will im Arbeitsschutzkontrollgesetz gesetzlich verankern, dass bis zum Jahr 2026 eine Mindestkontrollquote von fünf Prozent gilt. Fünf Jahre soll sich also nichts ändern und dann wird jeder Betrieb nur alle 20 Jahre kontrolliert. Wir brauchen deutlich ambitioniertere Vorgaben. Einer Arbeitswelt im Wandel angemessen wäre eine Kontrollquote von mindestens zehn Prozent, die zeitnah erreicht wird. Viel wichtiger als Kontrollen nach dem Gießkannenprinzip ist jedoch, dass risikoorientiert kontrolliert wird. Deshalb brauchen wir eine höhere Kontrolldichte in Risikobranchen wie der Fleischindustrie, bei der ständige und massive Verstöße bekannt sind. Hier muss eine höhere Quote veranschlagt werden. Die digitalen Arbeitsschutzerklärungen sollen den Aufsichtsbehörden als wichtige Hilfestellung dienen, um diese Risikobewertung kalkuliert vorzunehmen und die Ressourcen effektiv einsetzen zu können.

3.3 Qualität verbessern

Eine Kontrollquote allein ist nicht zielführend und könnte sogar dazu führen, dass nur noch "auf Quote" kontrolliert wird und die Kontrollen oberflächlicher als bisher ausfallen. Deshalb muss auch die Qualität der Kontrollen erhöht werden. Dafür brauchen wir bundeseinheitliche Standards. Folgende Punkte sind hier besonders wichtig: 

  • Kontrollen dürfen nicht nur nach Aktenlage, sondern müssen auch im Betrieb erfolgen. Umfassende Systemkontrollen mit Stichproben vor Ort sind die wirksamste Form der Aufsicht. Die Kontrolltätigkeit muss klar von Beratungstätigkeiten abgegrenzt werden.  
  • Wir brauchen Kontrollschwerpunkte insbesondere in Branchen mit atypischer Beschäftigung, niedrigem gewerkschaftlichem Organisationsgrad und schwacher betrieblicher Mitbestimmung. In mitbestimmten Betrieben muss noch stärker der Austausch mit der betrieblichen Interessenvertretung gesucht werden, zum Beispiel über die Arbeits- und Gesundheitsausschüsse. 
  • Wir brauchen einen Digitalisierungsschub beim Arbeitsschutz, der selbstverständlich datenschutzkonform erfolgen muss. Einerseits brauchen wir digitale Dokumentationspflichten für Arbeitgeber, nicht nur bei der Arbeitszeit. Die entsprechenden Daten müssen alle Kontrollinstanzen über entsprechende Schnittstellen überprüfen können. Andererseits müssen die Kontrollbehörden digital besser ausgerüstet werden. Dazu gehören mobile Endgeräte, passgenaue Software und der verantwortungsvolle Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Identifizierung von Kontrollschwerpunkten. 
  • Mit dem Wandel der Arbeitswelt werden die Aufgaben der Arbeitsschutzkontrolleure immer komplexer. Deshalb müssen insbesondere psychische Belastungen wie hohe Arbeitsintensität noch mehr Aufmerksamkeit bekommen. 
  • Es muss deutlich mehr aktive Arbeitsschutzkontrollen geben. Denn heute erfolgen zwei Drittel der Arbeitsschutzkontrollen nur reaktiv, zum Beispiel wenn schon ein Unfall passiert ist. Dabei wäre es wichtig aktiv - also unangekündigt und regelmäßig - den Arbeitsschutz zu überprüfen, bevor etwas passiert. 
  • Die Beschäftigten der zu kontrollierenden Betriebe sind an den Kontrollen zu beteiligen, etwa über die betrieblichen Interessenvertretungen wie Betriebs- und Personalräte sowie die Schwerbehindertenvertretungen. 

3.4 Personal deutlich aufstocken

Wir brauchen viel mehr Personal in den staatlichen Arbeitsschutzbehörden. Schon heute gibt es zu wenig Kontrolleur*innen, von denen viele bald pensioniert werden. Bisher haben die Arbeitsschutzkontrolleur*innen in der Regel einen technischen Hintergrund. Aber der Wandel der Arbeitswelt erfordert auch Nachwuchs mit gesundheitswissenschaftlicher oder psychologischer Ausbildung. Die Menge an Personal sollte dabei direkt an die zu leistenden Aufgaben, die Menge an Beschäftigten und die Anzahl an Betrieben im Kontrollbereich gebunden sein. Die Arbeit der Kontrollbeamt*innen muss aufgewertet werden, um gegenüber der Privatwirtschaft als Arbeitgeber konkurrenzfähig zu sein. Die Vergütung muss entsprechend erhöht werden. Auch muss die Entscheidungsautonomie der Kontrolleur*innen innerhalb der Behörden gestärkt werden. Die Digitalisierung von Abläufen bietet die Chance, wertvolle Arbeitszeit der Kontrolleur*innen für die Kernaufgaben freizusetzen. 

4. Strafen und Sanktionen verschärfen

Strafen und Sanktionen für Verstöße beim Arbeitsschutz sind kein Selbstzweck, sondern notwendig, um Arbeitgeber an ihre Pflicht zur Prävention zu erinnern. Eine aktuelle Studie der europäischen Union zeigt, dass es der Respekt vor gesetzlichen Verpflichtungen und Sanktionen ist, der Arbeitgeber am ehesten zu Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bewegt. Auch das Nichterstellen der Arbeitsschutzerklärung muss sanktionsbewehrt sein.

Allerdings müssen Bußgelder angemessen, wirksam und abschreckend sein damit sie wirken. Heute sind sie bei 25.000 Euro für einen vorsätzlichen Verstoß gedeckelt und damit viel zu niedrig. Insbesondere große Unternehmen können das aus der Portokasse bezahlen. Im Datenschutzrecht und im Wettbewerbsrecht sind heute schon viel höhere Bußgelder vorgesehen, wenn Unternehmen gegen Gesetze verstoßen. Bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes werden hier als Bußgeld fällig. Gerade wenn es um die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz geht, brauchen wir abschreckende Sanktionen in dieser Größenordnung, um die Arbeitgeber wirklich zum Handeln zu zwingen. Bußgelder werden außerdem viel zu selten verhängt. Besser ausgestattete Arbeitsinspektionen können Arbeitgeber häufiger zur Kasse bitten. 

Schon heute können Arbeitgeber auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie „beharrlich und wiederholt“ gegen behördliche Anordnungen zum Arbeitsschutz verstoßen (§26 ArbSchG). Sie können dafür mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Diese Abschreckung ist richtig und wichtig. Allerdings ist der Begriff „beharrlich“ zu uneindeutig. Deshalb ist im Gesetz klarzustellen, dass es strafbar ist, trotz vorheriger Abmahnung durch die Behörden, weiter die Gesundheit der Beschäftigten zu gefährden.  

Bei eklatanten Mängeln müssen die Arbeitsschutzkontrolleur*innen auch in der Lage sein, einen Betrieb oder einen Betriebsteil vollständig stillzulegen, bis der Mangel behoben ist. Beschäftigten ist nicht zuzumuten unter Gefahr für ihre Gesundheit zu arbeiten.