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Sevim Dagdelen am Rednerpult

Zum Verbotsverfahren der Grauen Wölfe in Deutschland

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen, MBT Hessen,

Ein Interview mit Sevim Dağdelen in der Broschüre Graue Wölfe und türkische Nationalisten [PDF] des MBT Hessen  


Sevim Dağdelen, seit 2005 Mitglied des Bundestages für die Partei DIE LINKE, setzt sich seit einigen Jahren maßgeblich für das Verbot der Ülkücü-Bewegung ein. 2020 stritt sie mit ihrer Fraktion im Bundestag für ein ausnahmsloses Verbot der Verbände der Grauen Wölfe.

Vielen Dank, dass Sie sich bereit erklären, mit uns über das Verbot der „Grauen Wölfe“ zu sprechen. Wie ist es denn aktuell um das Verbotsverfahren in Deutschland bestellt?

Sevim Dağdelen: Nicht sonderlich gut. Im November 2020 hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, ein Verbot der Vereine der Grauen Wölfe zu prüfen. Passiert ist seitdem nichts. Auf meine parlamentarischen Anfragen antwortet die Bundesregierung ausweichend, sie gebe keine Auskünfte über laufende Prüfverfahren. Alles deutet darauf hin, dass ein Verbot von Bundesregierung und besonders Innenminister Horst Seehofer hintertrieben wird. Erst Mitte Mai hat das EU-Parlament die EU und ihre Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Vereinigungen der Grauen Wölfe zu verbieten und zu prüfen, diese auf die EU-Terroristenliste zu setzen. Die Bundesregierung jedoch scheint ihr enges Verhältnis zum Autokraten Erdogan nicht mit einem Graue-Wölfe-Verbot gefährden zu wollen. Denn nur dank deren Mutterpartei, der faschistischen MHP, kann sich die islamistische AKP Erdogans an der Macht halten. Offensichtlich haben diegeopolitischen Interessen der Bundesregierung Vorrang vor der Sicherheit der Aleviten, Armenier, Kurden, Griechen und Juden, der Gewerkschafter und Sozialisten sowie aller Andersdenkender, die von den faschistischen Grauen Wölfen hierzulande bedroht und angegriffen werden. Ein Skandal.

Warum sollte die Ülkücü-Bewegung verboten werden?

Die Grauen Wölfe verbreiten als Teil des Erdogan-Netzwerkes ein Klima der Angst und tragen mit ihrem extremen türkischen Nationalismus wesentlich zur Polarisierung in unserem Land bei. Deren Ideologie zeichnet sich durch Antisemitismus, Rassismus und Hass auf Minderheiten aus. Führerkult, Gewaltakzeptanz und autoritäre Strukturen spielen eine ebenso zentrale Rolle. Als Vertreter der sogenannten „Türkisch-Islamischen Synthese“ vereint die Ülkücü-Bewegung extremen Nationalismus mit einer reaktionären Spielart des Islams. Deren Ziel ist die Errichtung von „Turan“, einem ethnisch homogenen großtürkischen Reich auf islamischer Grundlage vom Balkan bis nach Westchina – eine imperiale Vision, von der auch Staatspräsident Erdogan träumt. Über die Grauen Wölfe sowie die radikal-islamistische Millî Görüş-Bewegung und den von der türkischen Regierung gesteuerten Moscheeverein DITIB nimmt Erdogan massiven Einfluss auf muslimische Gemeinden in Deutschland und macht Werbung für das faschistisch-islamistische AKP-MHP-Regime in Ankara. Und die Bundesregierung schaut zu. Was die Wenigsten wissen: Mit über 18.000 Mitgliedern sind die Grauen Wölfe eine der größten extrem rechten Bewegungen hierzulande. Seit den 1970er-Jahren ist es in Deutschland zu mehreren Morden und Mordversuchen unter anderem an türkischen und kurdischen Aktivisten durch die Grauen Wölfe gekommen. Bedrohungen und Einschüchterungen stehen für Kritiker Erdogans an der Tagesordnung, wie ich aus eigener Erfahrung nur zu gut weiß. Klar ist: Die Ideologie und das Vorgehen der Grauen Wölfe sind mit unseren demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar! Daher braucht es dringend ein Verbot.

Welche Entwicklungen gingen der Abstimmung im Bundestag voraus und weshalb wurde der Antrag letztlich abgelehnt?

Meine Partei und ich fordern seit Jahren ein Verbot der Grauen Wölfe. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren wurden solche Forderungen aus den Reihen der Gewerkschaften und von antifaschistischen Vereinigungen laut. In dieser Zeit pflegten die Grauen Wölfe noch enge Kontakte zur CSU: Bei einem Treffen mit dem Faschistenführer Alparslan Türkes 1978 versprach der damalige CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, den Aufbau der MHP und Grauen Wölfe in Deutschland zu unterstützen. Kaum zu glauben, aber wahr! Vor diesem Hintergrund hat es einen besonders faden Beigeschmack, dass sich Innenminister Seehofer heute in bester CSU-Tradition bei einem Verbot der Grauen Wölfe querstellt. Auch der Verfassungsschutz griff damals den türkischen Faschisten bei der Etablierung des Auslandsverbands der MHP logistisch unter die Arme, um ein Gegengewicht zu linken Strömungen unter den türkischen Migranten zu bilden. Anders als Frankreich, das im November 2020 nach gewalttätigen Ausschreitungen gegen kurdische und armenische Aktivisten durch Anhänger der Grauen Wölfe die Aktivitäten der Grauen Wölfe untersagt und ihre Auflösung angeordnet hat, konnten sich die Koalitionsfraktionen mit Unterstützung von FDP und Grünen gerade einmal zu der Prüfung eines Verbots durchringen. DIE LINKE hingegen hat ein ausnahmsloses Verbot der Verbände der Grauen Wölfe in Deutschland gefordert.

Was würden Sie sich von einem durchgesetzten Verbot gegen die zugehörigen Organisationen versprechen?

Die Grauen Wölfe organisieren sich hierzulande in mehr als 300 Vereinen und Gemeinden. Der größte Dachverband ist die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. Daneben existieren die beiden kleineren Dachorganisationen Türkisch-Islamische Union in Europa (ATIB) sowie der Verband der türkischen Kulturvereine in Europa (ATB). Ein Verbot würde diesen die Gemeinnützigkeit entziehen und die Grauen Wölfe dadurch entscheidend schwächen. Höchste Zeit, finde ich. Denn es ist schon absurd, dass linken Vereinen wie dem Verein der Verfolgten des Naziregimes die Gemeinnützigkeit entzogen wird, während Spenden an die türkischen Faschisten weiterhin steuerlich abgesetzt werden dürfen. Es ist außerdem bemerkenswert, dass die Bundesregierung eine Organisation wie den Zentralrat der Muslime (ZMD) hofiert, obwohl dessen Vizechef langjähriges Vorstandsmitglied der größten ZMD-Mitgliedsorganisation ATIB ist. Diese wird wiederum von der Bundesregierung selbst den extrem rechten Grauen Wölfen zugerechnet. Es kann nicht sein, dass der Zentralrat der Muslime, dem neben den Grauen Wölfen laut Experten auch fundamentalistische Muslimbrüder und selbst Salafisten angehören, weiter Kooperationspartner der Bundesregierung ist, anstelle von Vertretern eines säkularen Islams.

Auch die Symbolik der Anhängerschaft, beispielsweise das bekannte Handzeichen des sogenannten „Wolfsgrußes“ sollte das Verbot umfassen. Wie wäre dies in der Öffentlichkeit durchzusetzen?

DIE LINKE im Bundestag unterstützt die Forderung nach einem Verbot der Verwendung von Kennzeichen der Grauen Wölfe, wozu neben Fahnen und Abzeichen auch der „Wolfsgruß“ zählt. Ein solches Verbot, wie es von der österreichischen Regierung bereits im März 2019 erlassen wurde, hätte eine wichtige symbolische Bedeutung. Denn dieser dient nicht nur als Erkennungszeichen, sondern insbesondere auch der Provokation politischer Gegner. Auch Erdogan zeigte selbst immer wieder den Wolfsgruß. Ein solches Verbot ließe sich im Rahmen des Vereinsgesetzes umsetzen. Wie in Österreich könnte ein Verstoß dagegen mit Geldstrafen belegt werden.

Ein Verbot von rechtsextremen Organisationen beschränkt in erster Linie institutionelle Einrichtungen der jeweiligen Bewegung. Es führt bei Mitgliedern und Anhängern jedoch nicht automatisch zu einer Abkehr von Ideologie. Befürchten Sie im Falle eines Verbots den Aufbau von Ersatzstrukturen? Was braucht es neben dem gesetzlichen Verbot, um die Ülkücü-Bewegung in ihrer Wirkungsmacht zu schwächen?

Ein Verbot kann zweifelsohne nur der erste Schritt und ein Baustein in dem Kampf gegen die türkischen Faschisten und Islamisten sein. Konkret fordert DIE LINKE außerdem, Programme über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und die Bundeszentrale für politische Bildung aufzulegen, um zivilgesellschaftliche Projekte gegen Rechtextremismus ausreichend zu finanzieren. Um das Werben um Unterstützer in Deutschland zu unterbinden und das Rekrutierungs- und Finanzierungsnetzwerk der Grauen Wölfe zu zerschlagen, braucht es außerdem ein Betätigungsverbot gegen die verbandlich in der Türkei organisierten Grauen Wölfe. Grundsätzlich müsste die Bundesregierung sich zuerst selbst an die eigene Nase fassen. Heißt: Kein Schmusekurs mehr gegenüber Erdogan und ein Ende der Zusammenarbeit mit konservativ-reaktionären Islamverbänden! Übrigens: Auch wer sich glaubhaft gegen Antisemitismus einsetzen will, sollte schleunigst ein Verbot der Grauen Wölfe auf den Weg bringen. Diese haben bei antisemitischen Ausschreitungen in den letzten Wochen offensichtlich eine entscheidende Rolle gespielt.

In der Mobilen Beratung setzen wir uns in erster Linie nicht für Regelungen auf gesetzlicher Ebene ein, die Adressatin unserer Arbeit ist die Zivilgesellschaft. Was muss in diesem Feld geschehen, um wirkungsvoll gegen den Einfluss „Grauer Wölfe“ vorzugehen?

Wir brauchen Aufklärung und Sensibilisierung auf allen Ebenen, um die faschistisch-nationalistische Ideologie der Grauen Wölfe zurückzudrängen und für diese zu sensibilisieren. So müssen zum Beispiel mobile Beratungen gegen Rechtextremismus samt ihrer bundesweiten Koordinierungsgremien ausreichend finanziert werden, um die Öffentlichkeit über die Ziele und Methoden der Grauen Wölfe aufzuklären. Ich kann nicht glauben, dass eine der größten extrem rechten Bewegungen in Deutschland bis heute kaum bekannt ist. Wir müssen die Gefahr von rechts durch türkische Faschisten und Islamisten endlich genauso ernst nehmen wie die Gefahr durch deutsche Faschisten. Bei allen Unterschieden gleicht sich deren ideologische Ausrichtung im Kern doch in frappierender Weise.

Herzlichen Dank für das Gespräch und Ihre Einschätzungen zum Thema!

MBT Hessen,