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Zum Frieden gelangen: mit welcher Art Bewegung?

Im Wortlaut,

Ein grundlegender Wandel in den Geschlechterbeziehungen muss Teil von Friedensbemühungen sein

Von Cynthia Cockburn

Neulich habe ich den Spielfilm Avatar gesehen. Bekanntermaßen geht es darin um ein Volk, die Na’vi, die auf dem fremden Planeten Pandora leben. Die Kultur der Na’vi ist von Respekt gegenüber der Natur, von Integrität, Mitgefühl mit allen anderen Lebensformen und davon geprägt, dass es keine Ausbeutung gibt. Unglücklicherweise gibt es auf Pandora jedoch ein Mineral, auf das es die Erdbewohner abgesehen haben. Raumschiffe mit menschlicher Besatzung werden von der Erde ausgesandt, um das freundliche Volk der Na’vi zu vernichten und sich die wertvolle Ressource anzueignen. Der Film hat ein „glückliches“ Ende. Die Na’vi setzen sich gegen die übermächtigen, skrupellosen, hoch technologisierten, militarisierten (und ganz offensichtlich US-amerikanischen) Eindringlinge durch. Dieses glücklich scheinende Ende wird jedoch durch einen Krieg erreicht – einen Krieg mit apokalyptischen Ausmaßen. Warum musste diese Geschichte ihren Höhepunkt im Krieg finden? Es kann nicht sein, dass ein anderer als ein kriegerischer Sieg die Vorstellungskraft der Drehbuchautoren überschritten hätte. Hätten die Na’vi nicht vielleicht die Technologie der Eindringlinge schmelzen lassen können? Oder ihre Herzen und damit auch ihren Verstand für sich gewinnen? Vielleicht hätte die üppige Vegetation Pandoras die Erdlinge still und leise aufnehmen und in fruchtbar machenden Kompost verwandeln können? Aber nein, natürlich musste es Krieg sein. Das ist der Höhepunkt, den jedes Kind, jeder Jugendliche und jeder Erwachsene vom Film erwartet. Ohne Krieg würde sich das Publikum um etwas betrogen fühlen. Ohne Krieg wäre Avatar nicht ein solcher Kassenschlager geworden.

In ihrer dritten Artikelreihe1 fragt Diana Francis: „Was liegt der anhaltenden allgemeinen Bereitschaft zugrunde, Krieg zu akzeptieren?“ Diese Frage ist in meinen Augen eine hilfreiche Herangehensweise an die Wurzeln des Krieges, denn sie eröffnet weitere Fragen zur Gesellschaft, den Menschen, Leuten wie dich und mich, die letztlich diejenigen sind, die Krieg akzeptieren (oder in Frage stellen oder ablehnen). Francis’ Ansatz lädt dazu ein, einen Film wie Avatar kritisch zu hinterfragen, der so typisch für unsere Kultur ist – eine Kultur, die uns handlungsfähig macht, einschränkt und prägt. So erkunden wir das Kontinuum der Gewalt, die Verbindungen zwischen der explosiven Gewalt des tatsächlichen Krieges, der konstanten Gewalt, die unserer militarisierten Situation innewohnt und der alltäglichen Gewalt in unserem Leben und unserer Kultur.

Wenn Mary Kaldor Recht hat mit ihrer These (s. ihren Beitrag „Reconceptualizing War“2), dass sehr viele Kriege nicht geführt werden, weil eine Seite gewinnen will, sondern weil alle kriegsführenden Parteien damit eine Art gemeinsame Unternehmung eingehen, die für jeden Vorteile mit sich bringt, so deutet auch das darauf hin, dass wir unsere Kulturen genauer betrachten müssen. Einige der Vorteile, die kriegsführende Völker und Klassen gewinnen, wenn kriegerische Konflikte andauern, sind sicher ökonomischer Natur. Bei anderen mag es jedoch auch um Vorteile in der Selbstwahrnehmung als Menschen gehen, um Ansehen oder Status in Bezug zu anderen Völkern und Gruppen. Welche Botschaften nehmen wir an, erzählen wir einander, die das Kämpfen, die absichtlichen Verletzungen und das Töten begründet, wünschenswert, ja sogar ruhmreich erscheinen lassen?

Avatar ist nur eines von unzähligen kulturellen Produkten, die gewalttätige Auseinandersetzungen, Militarisierung und Krieg als normal darstellen und verherrlichen. Und diese Kultur, die uns überall umgibt, ist zutiefst geschlechtlich geprägt, wie Diana Francis und auch Shelley Anderson (in ihrem jüngsten Artikel „Vital Peace Constituencies“3) aufzeigen. Geschlechtlich geprägte Denkweisen, Erwartungshaltungen, Verhaltensweisen und Einstellungen werden durch Filme wie diesen ebenso genährt wie durch die Videospiele, Werbung, Modeindustrie und Reality-Fernsehsendungen, mit denen unser Bewusstsein rund um die Uhr bombardiert wird. Männlichkeit und Weiblichkeit werden hier endlos und in idealisierenden, kontrastierenden und komplementären Formen konstituiert, die Parodien wirklichen menschlichen Seins sind. Wir werden als Avatare für eine virtuelle Welt neu erschaffen, in der jedes Geschlecht ein verstümmeltes, unvollständiges menschliches Wesen ist – eine Welt, in der „er“ Gewalt überlebt und ausübt, während „sie“ lockt, verführt und sich unterwirft. Die feministischen Frauen und pro-feministischen Männer, die sich dieser Deformierung widersetzen, sind für die eigentliche Erzählung so unbedeutend, dass sie kaum im Abspann auftauchen. Und dies ist leider keine Kinofantasie, sondern die Welt, in der wir leben.

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit über und mit Friedensbewegungen habe ich festgestellt, dass auch hier ein Geschlechterkonflikt ausgetragen wird. Die meisten dieser Organisationen sind geschlechtlich gemischt. Unter den Mitgliedern sind viele Frauen, wenngleich die führenden Persönlichkeiten und Sprecher oft männlich sind. In den meisten Ländern gibt es jedoch auch eine Handvoll feministischer Antikriegs-, Antimilitarismus- und Friedensorganisationen. Diese unterscheiden sich oft in einer Beziehung von den Mainstream-Friedensbewegungen, zu denen sie gehören und zu denen sie beitragen: Zwar befassen auch sie sich mit den übergeordneten Problemen und Ereignissen, die alle Friedensbewegungen beschäftigen – Massenvernichtungswaffen, die riesigen Verteidigungsbudgets weltweit, das globale Netz US-amerikanischer Militärstützpunkte etc. – aber sie schaffen gleichzeitig auch Aufmerksamkeit für die alltägliche Gewalt und die Einzelschicksale der Betroffenen, für den Schmerz, die Sorge und die Verantwortung.

So beschäftigt sich zum Beispiel die Organisation Okinawan Women Act Against Military Violence (OWAMMV) genau wie die sonstige Friedensbewegung in Japan
mit der großen Last, die die US-amerikanischen Militärstützpunkte darstellen, deren Stacheldrahtzäune über dem gesamten Archipel verlaufen. Aber sie kämpfen auch gegen den Missbrauch, die Vergewaltigungen und Morde an einzelnen Frauen, die in den Rotlichtbezirken im Umkreis dieser Stützpunkte immer wieder geschehen. Sobald die Frauen von OWAAMV von einem neuen Übergriff hören, kümmern sie sich zuallererst um das Opfer, bevor sie einen (weiteren) Massenprotest gegen das System initiieren, das solche Übergriffe zulässt. Ähnlich die Women Making Peace in Südkorea, die innerhalb der Bewegung die Aufmerksamkeit auf eine „Kultur des Friedens“ gelenkt haben, um Leben und Handlungsweisen, angefangen bei den eigenen, zu verändern. Das bedeutet nicht, dass sie nicht an Demonstrationen gegen die Entsendung von Truppen nach Afghanistan teilnehmen oder sich nicht für die Wiedervereinigung Koreas einsetzen. Diese Dinge tun sie auch.

Nachdem ich so viel Zeit mit den Frauen in vielen solcher Organisationen verbracht habe, und als Mitglied der Women in Black und der Women’s International League for Peace and Freedom denke ich, dass wir gemeinsam einen neuen, frischen Gedanken in das Feld internationaler Beziehungen und der Kriegsforschung einbringen. Wir sagen: Wenn die geschlechtlich geprägten Kulturen alltäglicher Gewalt zu einer „allgemeinen Bereitschaft, Krieg zu akzeptieren“ führen, dann müssen die Geschlechterbeziehungen, wie wir sie kennen und leben, als tatsächlich ursächlich für Kriege erkannt werden. Diese Argumentation verfolge ich auch in einem Artikel, der diesen Monat im International Feminist Journal of Politics4 erscheint.

Am offensichtlichsten treten bei Kriegsberichterstattungen und -analysen in den Nachrichten natürlich die wirtschaftlichen Faktoren zutage (Zugang zu Ressourcen und Märkten). Und ja, sicher sind kriegsbereite Regierungen und andere gesellschaftliche Kräfte oft durch kapitalistischen Expansionsdrang und Konzerninteressen motiviert. Noch offensichtlicher in den herkömmlichen Analysen, und vielleicht noch stärker hervorgehoben, sind politische Faktoren. Und tatsächlich geht es in vielen Kriegen um die Kontrolle über oder den Ausschluss bestimmter Gruppen (derer, die auf der falschen Seite einer Grenze leben, derer, die den falschen Gott, die falsche Hautfarbe oder die falsche Nationalität haben). Manchmal werden diese beiden Motivationsklassen unter Oberbegriffen wie „Gier und nationale/ethnische Ressentiments“ oder „Kapitalismus und Nationalismus“ oder „Klasse und Rasse“ zusammengefasst. Doch das männliche Machtsystem (aus Mangel eines treffenderen Namens weithin immer noch „Patriarchat“ genannt) ist als Kriegsursache eng mit den kapitalistischen Produktionsformen und dem Nationalstaatensystem verknüpft. Als Quelle von Kulturen, die Geschlechtertrennungen produzieren – geschlechtlich geprägte Trennungen bei der Arbeit, im Krieg, in der Liebe – bereiten uns geschlechtlich geprägte Machtverhältnisse ständig auf Gewalt vor. Sie eine prädisponierende Ursache.
Auch die bekannte Theoretikerin Raewyn Connell, die sich mit Männlichkeit und geschlechtlich geprägter Macht beschäftigt, vertritt diese Sichtweise. Sie schreibt: „Männlichkeit sind die Formen, in denen sich viele Gewaltdynamiken manifestieren“. Auch wenn die Ursachen für Kriege also zahlreich sind und Faktoren wie „Enteignung, Armut, Gier, Nationalismus, Rassismus und andere Formen der Ungleichheit, Intoleranz und Begierlichkeiten umfassen […] scheinen angesichts der Tatsache, dass Waffen und gewalttätige Praktiken vor allem bei Männern konzentriert sind, die geschlechtlich bedingten Muster strategischer Art zu sein.“5 

Wenn die Geschlechterbeziehungen also tatsächlich einer der ursächlichen Gründe für Kriege sind, folgt daraus, dass ein grundlegender Wandel der Geschlechterbeziehungen Teil von Friedensbemühungen sein muss. Geschlechterarbeit ist Friedensarbeit. Dies öffnet den Männern in der Friedensbewegung die Tür. Um noch einmal Raewyn Connell zu zitieren: „Es ist also offensichtlich, dass Strategien zur Entmilitarisierung und Friedenssicherung auch eine Strategie zur Veränderung von Männlichkeit beinhalten müssen. Dies ist die neue Dimension von Friedensarbeit, die Männlichkeitsstudien nahe legen: die Vorherrschaft von Männlichkeiten zu bekämpfen, bei denen Gewalt, Konfrontation und Herrschaft im Mittelpunkt stehen und sie durch Männlichkeitsmuster zu ersetzen, die durch mehr Verhandlungsbereitschaft, Offenheit für Zusammenarbeit und Gleichbehandlung geprägt sind.“6 Durch diese Tür könnten die Männer in der Friedensbewegung jetzt gehen und sich zu dem bekennen, was wir vor einem Monat auf unser Plakat bei der Frauenblockade der Atomwaffenfabrik Aldermaston geschrieben haben: „Keine Fäuste, keine Messer, keine Gewehre, keine Bomben. Nein zu jeder Form von Gewalt!“ Eine derart einfache Parole verbindet im kühnen Bogen Schlafzimmer und Schlachtfeld, die Gewalt im so genannten Frieden und die im so genannten Krieg zu einem einzigen Kontinuum. Dies ist in meinen Augen eine Sichtweise, die eine eigenständige Bewegung desselben Maßstabs hervorbringen kann.

Die Kultur des Krieges ist in unserer Gesellschaft vorherrschend. Sie stellt den allgemein geteilten Konsens dar. Die Antikriegsbewegung ist im Vergleich dazu uneinheitlich, heterogen und in einigen Punkten sogar uneins. Einige Teile konzentrieren sich auf Nuklearwaffen, andere auf den Waffenhandel, wieder andere auf moderne Kriegsführung. Zu ihren Diskursen zählen verschiedene Formen des Sozialismus, Pazifismus, Feminismus sowie unterschiedliche religiöse Ansätze. Um sich gegen den selbstverständlichen Militarismus der vorherrschenden Kultur durchsetzen zu können, muss die Friedensbewegung meiner Meinung nach dem Beispiel von Organisationen wie OWAAMV, Women Making Peace und ähnlichen Vorbildern in anderen Ländern folgen und eine Kritik der Geschlechterverhältnisse zum Auslöser machen, um die Friedensbewegung selbst, ihre Ziele, Strukturen und ihre eigene Kultur neu zu interpretieren und zu transformieren. Was wir heute als Bewegung gegen den Krieg kennen, kann zu etwas Größerem und Umfassenderen werden, zu einer Bewegung gegen die vorherrschende Kultur, zu einer gewaltfreien Bewegung für eine gewaltfreie Welt.

Die Autorin, Professor Cynthia Cockburn, ist Wissenschaftlerin und Friedensaktivistin. Sie lebt und arbeitet in London.


1) www.opendemocracy.net/5050/diana-francis/war-justifiable-or-simply-catastrophic. (Zitat im Original: „What underlies war’s continuing widespread acceptance?“)
2) www.opendemocracy.net/5050/mary-kaldor/reconceptualising-war
3) www.opendemocracy.net/5050/shelley-anderson/vital-peace-constituencies
4) Cockburn, Cynthia (2010) „Gender Relations as Causal in Militarization and War: A Feminist Standpoint“. International Feminist Journal of Politics, Bd.12, Nr. 2, May 2010.
5) Connell, R.W. (2002) ‘Masculinities, the reduction of violence and the pursuit of peace’ in Cockburn, Cynthia und Dubravka Zarkov (Hg.) The Postwar Moment: Militaries, Masculinities and International Peacekeeping. London: Lawrence and Wishart. S. 33-40. (Zitat im Original: „dispossession, poverty, greed, nationalism, racism, and other forms of inequality, bigotry and desire... Yet given the concentration of weapons and the practices of violence among men, gender patterns appear to be strategic“)
6) Ebda. (Zitat im Original: „ Evidently, then, strategy for demilitarization and peace must include a strategy of change in masculinities. This is the new dimension in peace work which studies of men suggest: contesting the hegemony of masculinities which emphasise violence, confrontation and domination, and replacing them with patterns of masculinity more open to negotiation, cooperation and equality’.“)