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»Zocken auf Kosten der Ärmsten gehört verboten«

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Niema Movassat, Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen und Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Fraktion DIE LINKE, zur gerade veröffentlichen Oxfam-Studie "Mit Essen spielt man nicht! – Die deutsche Finanzbranche und das Geschäft mit dem Hunger"

   

Schon im letzten Jahr legte der Verbraucherschutzverein Foodwatch einen Bericht zur Nahrungsmittelspekulation vor und prangerte unter anderem die Deutsche Bank an. Nun benennt auch Oxfam Akteure wie die Allianz  als Profiteure von Nahrungsmittelspekulationen. Wie bewerten Sie das zunehmende öffentliche Interesse für dieses Thema?

  Niema Movassat: Es ist wichtig, die breite Öffentlichkeit über das Thema Nahrungsmittelspekulation zu informieren. Weltweit hungern eine Milliarde Menschen, alle sechs Sekunden stirbt ein Kind an Hunger. Die Zockerei mit Nahrungsmitteln ist eine der zentralen Ursachen dafür. Wir brauchen mehr öffentliche Aufklärung darüber, wie Finanzspekulanten mit dem weltweiten Hunger Geld verdienen. Oft gibt es ja deswegen so wenige Informationen dazu, weil alles recht nebulös erscheint und der Fachjargon der Finanzwelt abschreckt. Die beiden nun vorliegenden Studien nennen aber Ross und Reiter und tragen dazu bei, den Schleier bei diesem Thema zu lüften.
  Können Sie kurz erklären, wieso die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu Hunger führt?  
An den Warenterminbörsen – dort finden diese Spekulationen statt – wird mit Weizen, Mais, Soja und anderen Grundnahrungsmitteln gehandelt. Das Volumen dieses Handels geht weit über die jährliche Produktion hinaus. Diese Börsen legen den Preis für Nahrungsmittel fest. Und zwar Preise, die mit dem tatsächlichen Bedarf oder der tatsächlich vorhandenen Menge des jeweiligen Nahrungsmittels nichts zu tun haben. Im Ergebnis führt diese Spekulation zu immer höheren Lebensmittelpreisen. So waren Anfang 2011 Nahrungsmittelpreise so teuer wie nie in der Geschichte der Menschheit und auch aktuell sind die globalen Preise wieder fast auf demselben Level wie im Januar 2011. Da Menschen in den ärmeren Ländern dieser Welt bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben – wir in Deutschland geben 10-20 Prozent aus - können sie sich ihr Täglich Brot nicht mehr leisten, wenn der Preis steigt. Deshalb führt das  Zocken an den Warenterminbörsen zu mehr Hunger.
  Aber Warenterminbörsen und selbst die Nahrungsmittelspekulation sind doch keine neuen Phänomene - sie werden schon in Brechts‘ "Johanna der Schlachthöfe" thematisiert. Was hat sich verändert? 
In der Tat gibt es schon lange Warenterminbörsen wie die Chicago Board of Trades. Aber erst die Politik der Deregulierung hat vormals festgesetzte Obergrenzen über die Anzahl fachfremder Akteure am Markt sowie über den Geschäftsumfang aufgeweicht und so ist der Anteil derer, die mit Agrargütern handeln, obwohl sie weder Produzent, Großhändler noch Verarbeiter sind, stark gestiegen. Denn nach dem Platzen der US-Immobilienblase suchten sich Hedgefonds, Investmentfonds und Indexfonds eine neue Spielwiese und endeckten die Zockerei mit Nahrungsmitteln. In dem Wissen, dass die Weltbevölkerung steigt und damit auch der Bedarf an Nahrungsmitteln, können diese Fonds mit sicheren Gewinnen rechnen, wenn sie auf steigende Preise wetten. So sind zwischen 2003 und 2008 die Investitionen in die beiden größten Rohstoff-Indexfonds von 13 auf 317 Milliarden US-Dollar gestiegen. Und die Tendenz ist bis heute steigend. Wenn immer mehr Händler mit  immensen Kapitalmengen verstärkt auf kurzfristige Positionsgewinne setzen, führt dies zu massiven Preisschwankungen und letztlich auch Preissteigerungen. Der ursprünglichen Funktion dieser Börsen, nämlich zu Preisstabilisierung beizutragen und den Fachakteuren Preissicherheit zu geben, läuft dies zuwider.
  Demnach gilt: Losgelöst von den tatsächlichen landwirtschaftlichen Erzeugnissen profitieren Spekulanten wie die Allianz und die Deutsche Bank von hohen Preisen für Grundnahrungsmittel und treiben diese weiter in die Höhe. Was kann man dagegen tun?
  Klar ist, was nicht reicht: Appelle an die Finanzmärkte. Wenn Konzerne wie die Allianz laut dem Oxfam-Bericht mit 6,2 Milliarden Euro im Handel mit Nahrungsrohstoffen einbezogen, dann zeigt dies, dass es ein wichtiges Geschäftsfeld für sie ist. Von politisch-moralischen Appellen werden sie sich nicht beeindrucken lassen. Klar ist für mich auch: Die Zockerei auf Kosten der Ärmsten gehört verboten! Wer Gewinne mit dem Tod von Menschen macht ist nicht schutzwürdig, sondern ihm muss das Handwerkt gelegt werden.
  Wir haben im Bundestag einen Antrag (Bundestagsdrucksache 17/4533) vorgelegt und darin Vorschläge gemacht. Es braucht Maßnahmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Positionsobergrenzen müssen wieder eingeführt und die Zahl fachfremder Händler von Agrarrohstoffen begrenzt werden. Investmentfonds für Agrargüter und Rohstoff-Indexfonds müssten abgeschafft werden. In Europa muss eine Warenterminhandelsaufsicht eingerichtet und ein Händlerregister eingeführt werden. Mittelfristig aber muss die Festlegung von Nahrungsmittelpreisen den Finanzmärkten entzogen werden. Wir brauchen internationale Abkommen und staatlich festgelegte Preiskorridore. Nahrung ist ein Menschenrecht, es darf nicht der Willkür der Finanzmärkte unterworfen sein. 
linksfraktion.de, 10. Mai 2012