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WM-Kommerz ist kein Heilsbringer

Im Wortlaut von Jens Petermann,

Mit der Fußball-Weltmeisterschaft findet zum ersten Mal ein echtes sportliches Großereignis auf dem afrikanischen Kontinent statt. Nirgendwo in Afrika klafft die Schere zwischen arm und reich so weit auseinander wie in Südafrika. Jens Petermann, Mitglied im Sportausschuss des Bundestages, hofft als Sportler und Fussball-Fan, dass dieses Sportereignis einen kleinen Teil dazu beitragen wird, auch die ökonomische Ungleichheit ein wenig zu mildern.

Südafrika hat unter Präsident Nelson Mandela wichtige Sportereignisse ausgerichtet: 1995 die Rugby-Weltmeisterschaft, 1997 den Africa Cup of Nations. Beide Turniere haben die Gastgeber überraschend gewonnen. Beide Turniere haben Südafrika wichtige Impulse gegeben mit Blick auf eine gemeinsame „Nation“.

Mit der Fußball-Weltmeisterschaft findet zum ersten Mal ein echtes sportliches Großereignis auf dem afrikanischen Kontinent statt. Die Südafrikaner haben große Hoffnung in diese Weltmeisterschaft gelegt: Wirtschaftlicher Fortschritt, eine deutlich verbesserte Infrastruktur und - und das vor allem - wieder ein stärkeres Gefühl, zusammenzugehören.

All das wäre dem Land zu wünschen. Noch nie waren die Blicke der Welt so sehr auf diesen Kontinent gerichtet wie jetzt. Aber was sind das für Blicke? Da schwang und schwingt eine Menge Afrika-Pessimismus mit. Es gab und gibt ein Negativ-Bild vom Krisen-, Katastrophen- und Hungerkontinent Afrika - gerade auch hier, in Europa.

Fast 50 Prozent der Menschen in Südafrika leben unterhalb der Armutsgrenze - im dennoch wohlhabendsten Land des afrikanischen Kontinents. Fast alle diese Menschen sind schwarz. Die politische Apartheid mag beendet sein, die ökonomische ist es längst nicht. Nirgendwo in Afrika klafft die Schere zwischen arm und reich so weit auseinander wie im gastgebenden Land der Fußball-WM 2010. Es ist nicht gewollt, dass Townships an den touristischen Verkehrsadern sichtbar sind. Deshalb hat es Umsiedlungen gegeben. In „Tin Can City“ wohnen die Menschen in einfachen Wellblechhütten, ohne sanitäre Versorgung.

Und es ist auch nicht gewollt, dass es Versammlungen in der Nähe der WM-Stadien gibt. Dies betrifft auch die Fußball- und Bolzplätze. Junge, vor allem schwarze Freizeitkicker sind so vier Wochen lang, auf Geheiß der FIFA, ohne sportliche Heimat - eine absurde Maßnahme.

Gerne wird vom „schönen Schein“ gesprochen, wenn die Rede von Südafrika ist. Nicht wenige vermuten, dass nach dem Abpfiff der Weltmeisterschaft zumindest Katerstimmung aufkommt. Einige Anzeichen dafür sind bereits offenkundig: Eine Million Jobs sollte die WM Südafrika bringen. Stattdessen sind anscheinend genauso viele Jobs im vergangenen Jahr verloren gegangen.

Der Zuschlag für Südafrika hat bei Vielen - zu Recht - Begehrlichkeiten auf Teilhabe geweckt. Denn auch zwanzig Jahre nach Ende der politischen Apartheid leben die Südafrikaner in Parallelgesellschaften - viele Schwarze in Blechhüttendörfern irgendwo im „Regenbogenland“. Wie echt ist die Einheit, die wir in den kommenden vier Wochen in Südafrika sehen werden? Ist eine Einheit bei einer derartigen ökonomischen Ungleichheit überhaupt möglich?

Der Rassismus ist zwar offiziell Geschichte, zeigt seine Auswirkungen aber weiterhin in der Schere zwischen arm und reich. Der Sport hat politisch schon einiges bewirken können. In den Jahren der Apartheid haben Sportboykotte die Augen der Weltöffentlichkeit auf Südafrika gelenkt. In den Hochzeiten des Apartheidregimes in den 50er und 60er Jahren war die FIFA in der Frage gespalten: Mal war das Land aus dem Weltverband ausgeschlossen, mal wieder Mitglied. Nach einem neuerlichen Ausschluss 1964 war Südafrika wegen seiner Rassenpolitik fast im gesamten Weltsport isoliert. Das Regime sollte auch mit sportlichen Erfolgen kein positives Image mehr verschaffen.

Der Sport war in den Entwicklungen seit dem Aufstand von Soweto 1976, die langsam aber sicher zum Ende der Rassentrennung führten, nur ein kleines Rädchen, hat aber mitgewirkt am Ende der politischen Apartheid.

Als Sportler und Fußball-Fan bin ich froh, dass die WM zum ersten Mal auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet. Es ist zu hoffen, dass dieses Sportereignis einen kleinen Teil dazu beitragen wird, auch die ökonomische Ungleichheit ein wenig zu mildern. Aber ich warne davor, in einem derart kommerzialisierten Event einen Heilsbringer zu sehen, der es nicht sein kann.

Von Jens Petermann

www.linksfraktion.de, 18. Juni 2010