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»Wir wollen ein soziales Europa von unten«

Interview der Woche von Sabine Zimmermann,

Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, wird Katja Kipping als Vorsitzende im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales ablösen. Im INTERVIEW DER WOCHE sprachen wir mit ihr über ihre neue Rolle, die Folgen des Fiskalpakts für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die dramatisch gestiegene Jugendarbeitslosigkeit in Europa.


Sie werden Katja Kipping als Vorsitzende im Ausschuss für Arbeit und Soziales ablösen. Wie sehen Sie Ihre neue Rolle?

Sabine Zimmermann: Ich möchte natürlich die gute und kooperative Zusammenarbeit mit den Fraktionen weiterführen. Wichtig ist mir aber auch, dass die Arbeit des Ausschusses mit den wichtigen Themen Arbeit und Soziales mehr von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dazu möchte ich mit den Verbänden und Gewerkschaften über brennende Themen wie zum Beispiel Altersarmut diskutieren. Die Ergebnisse können dann in unsere Arbeit einfließen. Wir müssen in der Sache vorwärts kommen, um was zu verändern.

Welche wichtigen Themen stehen derzeit auf der Agenda des Ausschusses?

Wie gesagt, es gibt noch eine Menge Fragen, die mit dem Thema Altersarmut zusammenhängen. Die Stichworte sind Zuschussrente und Erwerbsminderungsrente oder auch die Einbeziehung der Selbstständigen. Zudem hat die Regierung angekündigt, die Minijobs neu zu regeln. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir noch einmal das Thema Mindestlohn und gute Arbeit aufgreifen.

Der Bundestag hat in der vergangenen Woche mit den Stimmen der Regierungskoalition sowie SPD und Grünen den Fiskalpakt auf den Weg gebracht. Die Fraktion DIE LINKE stimmte geschlossen dagegen. Welche Folgen wird der Fiskalpakt für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben?

Der deutsche Sozialstaat kommt noch stärker unter Druck. Der Kurs, den wir mit Hartz IV kennen, könnte sich noch mal verschärfen. Damit soll die breite Masse der Bevölkerung für die Bankenrettung zur Kasse gebeten werden. Eine Alternative wäre es, endlich die Reichen und Finanzspekulanten zu besteuern, wie es DIE LINKE fordert. Kürzlich hat sich das Bündnis "umfairteilen – Reichtum besteuern" gegründet. Sozialverbände, Gewerkschaften, attac, viele Unterstützerinnen und Unterstützer und natürlich DIE LINKE rufen am 29. September zu einem bundesweiten Aktionstag auf.

Wie wird sich der Fiskalpakt auf den Arbeitsmarkt in anderen Ländern Europas auswirken?

Es droht ein weiter Anstieg der Arbeitslosigkeit. Mit dem Kürzungskurs wird die wirtschaftliche Krise in den einzelnen Ländern und letztlich der gesamten EU verschärft. Das kann man schon jetzt beobachten. Abgesehen von Deutschland und Luxemburg steigt in der EU die Arbeitslosigkeit. In manchen Ländern hat sich diese in den vergangenen Jahren sogar verdoppelt. Damit wird auch ein enormer Druck auf die Beschäftigten aufgebaut, die sich noch in Lohn und Brot befinden. Seit 2009 sind in 16 der 27 EU-Länder die Reallöhne gesunken.

Befürchten Sie, dass Arbeitnehmerrechte auf dem Altar der Finanzmärkte geopfert werden?

Wir sind schon mittendrin. Kürzlich hat der Europäische Gewerkschaftsbund eine Studie veröffentlicht, wonach in fast allen Länder der EU seit Ausbruch der Krise der Kündigungsschutz aufgeweicht, prekäre Beschäftigung aufgebaut und Tarifverträge angegriffen wurden. Mut machen die Protestbewegungen und der Widerstand in den einzelnen Ländern. Hier müssen wir aber noch stärker zusammenkommen. Das ist aber eine mittelfristige Aufgabe, die einen längeren Atem braucht.

Europas Jugend gilt schon heute in Ländern wie Spanien, Griechenland oder auch England als eine verlorene Generation. Was sind die Ursachen der stetig steigenden Jugendarbeitslosigkeit in Europa?

Hier gibt es einen klaren Zusammenhang zur Krise. In Spanien und Griechenland ist inzwischen jeder zweite Mensch unter 25 ohne Job. Allerdings lag schon 2008, also zu Beginn der Krise, die Jugendarbeitslosigkeit EU-weit bei 15 Prozent. Zwei Gründe spielen hier eine Rolle. Mangelhafte Bildungssysteme, weshalb zu viele junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen. Und ein geringer Kündigungsschutz beziehungsweise befristete Verträge, weshalb viele Berufsanfänger nach dem Berufsstart wieder auf der Straße landen.

Die herrschende Politik scheint keine Antwort auf die Situation der Jugendlichen zu haben. Was muss getan werden?

Zu allererst die Krise bekämpfen. Davon würde vor allem die junge Generation profitieren. Statt eines Kürzungsdiktats durch den Fiskalpakt brauchen wir Investitionsprogramme. Dafür sind Reiche und Spekulanten zur Kasse zu bitten. Außerdem brauchen wir Reformen im Bildungssystem. Aber mit dem Fiskalpakt werden die Mittel dafür beschnitten. Und es ist die ausufernde befristete Beschäftigung einzudämmen. Es ist gut, dass in Deutschland die IG Metall in der diesjährigen Tarifrunde feste Übernahmeregelungen für die Auszubildenden erreicht hat. Dennoch gibt es politischen Handlungsbedarf.

Merkels Kürzungspolitik könnte zum Ende der Währungsunion führen. Was würde das für den deutschen Arbeitsmarkt bedeuten?

Nach einer Prognose des Finanzministeriums würde die deutsche Wirtschaft sofort um zehn Prozent einbrechen, die Arbeitslosigkeit auf fünf Millionen steigen. Wäre die Bundesregierung unseren Vorschlägen gefolgt und hätte die Finanzmärkte an die Kette genommen, ständen wir heute nicht vor diesem Problem.

Der LINKEN wird manchmal vorgeworfen, sie sei antieuropäisch?

Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind solidarisch mit den Menschen in Griechenland und anderswo, die unter der Krise leiden, aber für diese nicht verantwortlich sind. Wir wollen ein soziales Europa von unten statt Kürzungsdiktate aus Brüssel im Interesse der Finanzindustrie. Wir arbeiten grenzüberschreitend mit Gewerkschaften und sozialen Initiativen zusammen. DIE LINKE muss hier mit klaren Botschaften sichtbar sein, um rechtspopulistischen und nationalistischen Kräften den Raum zu nehmen.

linksfraktion.de, 2. Juli 2012