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"Wir wollen die drittstärkste Partei werden"

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Seit 2005 ist Oskar Lafontaine gemeinsam mit Gysi Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Seine Idee, WASG und PDS sollten gemeinsam gegen Schröders SPD antreten, beflügelte den Wahlerfolg und die Parteifusion. Lafontaine war von 1966 bis 2005 SPD-Mitglied. 1990 war er ihr Kanzlerkandidat, von 1995 bis 1999 ihr Vorsitzender. Unter Schröder wurde er 1998 Finanzminister, 1999 trat er von Parteivorsitz und Ministeramt zurück. Am Freitag wird ihn die WASG für den Vorsitz der neuen Linkspartei nominieren. Am Samstag soll der 63-Jährige neben Bisky zum Vorsitzenden gewählt werden.

Herr Lafontaine, als SPD-Parteivorsitzender haben Sie 1998 Rot-Grün ermöglicht. Was wollen Sie als Vorsitzender der Linkspartei erreichen?

Eine Veränderung der deutschen Politik: angemessenes Lohnwachstum im Rahmen von Produktivität und Preissteigerungen, ein entsprechendes Rentenwachstum - einen Sozialstaat, der diesen Namen verdient. Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist in der nächsten Zeit die Rentenformel. Die OECD-Statistik ist für uns erschütternd: Die deutschen Rentner haben die niedrigste Rente aller Industriestaaten zu erwarten. Das ist ein Skandal.

Als SPD-Vorsitzender haben Sie in den neunziger Jahren jede Frage nach der PDS höhnisch von sich gewiesen ...

Am Anfang gab es Skepsis, aber es ist bekannt, dass ich einer derjenigen gewesen bin, der in der SPD die Öffnung zur PDS durchgesetzt hat. Das galt für die Tolerierung in Sachsen-Anhalt und die Koalition in Mecklenburg-Vorpommern.

Trotzdem setzten Sie durch, dass der Name PDS entfernt werde, während sie zugleich den Vertretern des Alten, etwa Modrow und Wagenknecht, demonstrativ mehr Ehrerbietung entgegenbringen, als diese von den eigenen Leuten spüren. Wie viel SED/PDS-Aroma hat die neue Partei?

Die PDS hat sich stark gewandelt. Und doch wurde sie im Westen immer als Ost-Vertretung wahrgenommen. Wir wollen keine ostdeutsche Regionalpartei sein, sondern eine gesamtdeutsche Partei. Dafür brauchen wir einen Namen, der dokumentiert, dass PDS und WASG zusammengehen. Die neue Partei heißt "die Linke".

Taufe hätte am Samstag sein können. Sie aber haben durchgesetzt, dass der Name PDS schon 2005 verschwand.

Das liegt daran, dass es damals den Wunsch gab, die Parteifusion vor dem Wahltermin zustande zu bringen, was sich aber nicht realisieren ließ.

Im Osten war die PDS fast eine Volkspartei, im Westen war die WASG der parteiliche Arm einiger Gewerkschafter, die PDS war ein Sektiererclub. Was wird "die Linke" sein?

Mitgliedermäßig ist sie jetzt schon die drittstärkste Partei in Deutschland und ist dabei, sich als dritte Kraft zu etablieren. Nach dem Wahlerfolg in Bremen erfahren wir viel Zustimmung. Allein an der Saar hatten wir in einem Monat eine Zuwachsrate von zehn Prozent.

Bei einer Umfrage fürchten 27 Prozent im Osten, die PDS könne aufhören, Interessenvertreterin der Ostler zu sein.

Solche Sorgen sind immer verständlich. Aber allein schon das Führungspersonal der "Linken" mit Lothar Bisky und Gregor Gysi zeigt, dass der Osten in der neuen Partei eine starke Stimme besitzen wird.

In der SPD haben Sie häufig überrascht, 1988 mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei Lohnverzicht. In der Linkspartei agieren Sie als Anwalt einer rückwärtsgewandten Utopie: hin zur Bundesrepublik der siebziger Jahre.

Das ist Propaganda der Neoliberalen. Alle unsere Vorschläge kommen aus der Jetztzeit: Beim Mindestlohn nennen wir europäische Länder, die ihn schon haben. Wenn wir einen inflationsbereinigten Steuertarif vorschlagen, verweisen wir auf Länder, in denen es ihn gibt. Wenn wir vorschlagen, die Energienetze in staatlicher Regie zu halten, können wir Länder nennen, die das so regeln. Wenn wir vorschlagen, die Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen, weisen wir auf entsprechende Diskussionen in Kanada und Frankreich und die Entscheidung Zapateros hin, die spanischen Truppen aus dem Irak abzuziehen - unsere Vorschläge sind keine Rezepte aus den siebziger Jahren, sondern Vorschläge für bessere Lösungen - mit Referenzfällen.

Gegenüber der SPD treten Sie äußerst aggressiv auf, der Führung werfen Sie Nichtswürdigkeit und Verrat vor ...

... von Nichtswürdigkeit war nie die Rede.

Na, wenn PDS-Funktionäre so sprächen, dächte jeder an die Verfolgung des "Sozialdemokratismus" durch die SED. Sie sprechen der SPD ab, legitim sozialdemokratische Positionen zu vertreten. Die SPD wiederum sagt, nur ohne Sie als Vorsitzenden könne sie mit der Linkspartei zusammenarbeiten. Wie lange werden Sie als Person die Verstimmung zwischen SPD und Linkspartei garantieren?

Meine Person kann man nicht von der Politik trennen, für die ich einstehe. Das ist das große Problem der SPD. In der Frage des Sozialstaates, der Wirtschafts- und der Außenpolitik: Durch mich wird die SPD daran erinnert, dass sie ein neues Grundsatzprogramm braucht, weil sie ihre Grundsätze aufgegeben hat.

Abermals gehören Sie zu einer Troika, diesmal aus angeblich ehrgeizlosen älteren Herren. Wie ernst nehmen Sie den Anspruch der jungen Frauen auf wichtige Parteiposten?

Die Fraktion besteht zur Hälfte aus Frauen, und auf der Stellvertreterebene wird die Partei mehrheitlich von Frauen repräsentiert werden, Katja Kipping, Katina Schubert, Ulrike Zerhau. Das Unschöne ist, dass an der Spitze drei Männer sind, das war nicht geplant. Selbstverständlich werden die Frauen in Zukunft auch in der Spitze vertreten sein.

Kann die neue Partei noch scheitern?

Für mich ist der Einzug in die Bremische Bürgerschaft die Zäsur. Seither haben wir einen großen Zulauf. Nachdem die Mitgliedschaft mehrfach das Zusammengehen befürwortet hat und die Verträge notariell besiegelt sind, ist die Sache gelaufen.

Mit Oskar Lafontaine sprach Mechthild Küpper.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juni 2007