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Wir sitzen am Tisch der großen Koalition

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine über das Mitregieren der Linken, Respekt für Merkel - und lockeren Umgang mit der SPD

Sind Sie auch ein Physiker der Macht?
Ein Journalist hat mich mal als solchen beschrieben, als ich noch SPD-Vorsitzender war. Ein Politiker sollte die Gesetze der Macht kennen.

Dann müssen Sie ja Respekt vor Angela Merkel haben.
Ich habe bewundert, wie viel sie in den vergangenen Wochen einstecken konnte. Aber sie hat auch Glück gehabt: Ohne die Spendenaffäre der CDU und ohne die rivalisierenden Ministerpräsidenten, die sich nicht auf einen Kanzlerkandidaten aus ihren Reihen einigen konnten, wäre es schwer für sie geworden, die erste Kanzlerin Deutschlands zu werden.

Von Angela Merkel heißt es, sie denke die Dinge immer vom Ende her. Haben Sie auch vom Ende her gedacht, als es um Gerhard Schröder ging?
Nein. 1998 hatten wir einen Vertrag, das gemeinsame Regierungsprogramm. Kaum an der Macht, hat Schröder diesen Vertrag gebrochen. Damit habe ich nicht gerechnet. Jetzt ist die Linke angetreten, um Schwarz-Gelb zu verhindern und die rot-grüne Koalition zu beenden. Das ist gelungen. Und Schröder berät jetzt den Ringier-Verlag.

Empfinden Sie Genugtuung darüber, dass Schröder jetzt nicht mehr Politik macht?
Ich bin es gewohnt, nun schon über viele Jahre hinweg immer wieder auf Schröder bezogen beurteilt oder gefragt zu werden. Das langweilt allmählich. Wir hatten einen persönlichen Konflikt, aber der liegt Jahre zurück. Bei den Auseinandersetzungen ging es immer um seine Politik. Die führte zur Umverteilung von unten nach oben und zu fünf Millionen Arbeitslosen. Deshalb musste er gehen. Leider hat die schwarz-rote Koalition ein Programm vorgelegt, das die Umverteilung der Schröder-Regierung fortsetzt. 40 Milliarden nimmt man dem Volk, aber nur 1,3 Milliarden den Besserverdienenden, nachdem man ihnen vorher pro Jahr elf Milliarden gegeben hat. Das kann doch alles nicht aufgehen.

Offenbar bleibt der von Ihnen gewünschte Linksschwenk der SPD jetzt aus.
Die Kurskorrektur scheint auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt zu sein. Nicht zuletzt der SPD-Bundesparteitag, bei dem es nur 15 Gegenstimmen gegen den Koalitionsvertrag gab, belegt, dass die Linke, wenn es sie überhaupt noch gibt, kaum noch eine Rolle spielt. Daher ist der Aufbau einer neuen Linken in Deutschland notwendig.

Was ist denn mit Klaus Wowereit? Der müsste Ihnen doch, was die Strategie angeht, nahe sein?
Klaus Wowereit hatte richtigerweise erklärt, dass man sich Optionen nicht verbauen soll. Aber offensichtlich haben viele Sozialdemokraten nichts aus dem Umgang mit den Grünen gelernt. Die wurden anfänglich auch als Aussätzige behandelt. Es hat sehr lange gedauert, bis die SPD ein normales Verhältnis zur Partei der Grünen hatte.

Gefällt Ihnen eigentlich die Politik von Rot-Rot in Berlin?
Die Kritiker des rot-roten Senats müssen wissen, dass es der großen Koalition ohne die Beteiligung von Linkspartei und FDP an Landesregierungen möglich wäre, das Mehrheitswahlrecht einzuführen. Wir säßen dann nicht mit 54, sondern mit drei Abgeordneten im Bundestag. Es ist immer besser, wenn eine linke Kraft auch in schwieriger Zeit mitregiert. Die Linke kann im Interesse der Menschen das eine oder andere verbessern, auch wenn sie genötigt ist, unpopuläre Entscheidungen mit zu tragen. Die Alternative in Berlin wäre ein SPD-CDU-FDP-Senat, der den sozial Schwächeren größere Probleme bringen würde. Wenn sie an einer Landesregierung beteiligt ist, dann muss die Linkspartei eine glaubwürdige Bilanz vorlegen können.

Wäre es gut, wenn auch Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl im März von einer rot-roten Koalition regiert wird?
Ja. Aber über Landesregierungen wird in den jeweiligen Ländern entschieden.

Wird die Finanzpolitik im Bund, die ja keine Abkehr von Schröders Kurs bedeutet, scheitern?
Selbstverständlich, denn der Schröder-Kurs ist ja nicht gescheitert, weil die Wirtschaft etwas gegen den Kanzler hatte. Er ist gescheitert, weil die ökonomischen Gesetze missachtet wurden. Die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer in der deutschen Öffentlichkeit meint, dass die Wirtschaft wächst, also mehr Geld als im Vorjahr ausgegeben wird, wenn Arbeitnehmer und Rentner weniger Geld haben und wenn der Staat weniger Geld ausgibt. Dann, so meinen sie, seien die Unternehmen bereit, mehr Geld auszugeben. Ich habe mich über diese logische Eselei immer nur gewundert.

Hält die große Koalition vier Jahre durch?
Abwarten. Die neue Regierungsmehrheit hat sich ja entschieden, die Torheit nicht gleich im Jahre 2006 auf die Spitze zu treiben. Doch 2007 wird es erhebliche Probleme geben, und das wird wohl auch das Jahr sein, in dem die Konjunktur systematisch abgewürgt wird. Es gibt kein Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte, dass eine Wirtschaft bei sinkenden Löhnen und steigenden Energie- und Verbraucherpreisen wachsen kann.

Pflegen Sie Kontakte zu den SPD-Linken?
Ja, mit denen, die Gespräche mit mir führen wollen.

Mit Matthias Platzeck haben Sie schon mal gesprochen?
Ja. Es gibt jetzt eine Phase des neuen Kennenlernens. Berührungsängste von meiner Seite gibt es nicht.

Und Berührungsängste bei den anderen?
Die anfängliche Verkrampfung weicht einer gewissen Unbefangenheit.

Wie wichtig ist es für die Linkspartei, dass sie in die Landtage von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg einzieht, wo im März gewählt wird?
Wir wollen diese beiden Landtagswahlen erfolgreich bestehen. Aber wir wissen, dass das schwierig ist, weil wir im Westen noch keine starke Parteiorganisation haben. Deswegen ist es unser erstes Ziel, möglichst viele neue Mitglieder für die vereinigte Linke zu gewinnen.

Sie haben es jetzt bei den Volksparteien mit zwei ostdeutschen Vorsitzenden und einer ostdeutschen Kanzlerin zu tun. Ist das eine Gefahr für die Linke?
Nein, weder Frau Merkel noch Herr Platzeck stehen für eine linke Politik.

Die Frage zielte auf den Alleinvertretungsanspruch der PDS für Ostdeutschland.
Ich habe die Linkspartei nie so verstanden, dass sie für sich einen Alleinvertretungsanspruch reklamiert. Sie vertritt im Gegensatz zu den anderen Parteien auch die Menschen, die lange Zeit loyal zur DDR standen und die dann nach und nach kritisch geworden sind und von den etablierten Parteien nicht angesprochen oder sogar ausgegrenzt werden, man denke nur an die unfaire Behandlung Lothar Biskys bei der Wahl des Vizepräsidenten im Deutschen Bundestag. Deshalb spielt die Linkspartei in Ostdeutschland weiterhin eine wichtige Rolle.

Haben Sie Probleme mit der PDS?
Sie meinen mit der Linkspartei? Die hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark gewandelt. Linkspartei und WASG vertreten Ziele, die ich zusammenfassend unter den Begriff des demokratischen Sozialismus einordnen kann. Bekanntlich hat die SPD diesen Begriff noch in ihrem Grundsatzprogramm stehen, obwohl man bei ihrer jetzigen Politik nicht mehr auf eine solche Idee käme. Und vergessen wir nicht: Willy Brandt war der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale.

Was wollen Sie jetzt noch werden?
In meinem Alter will man nichts mehr werden, sondern man will Politik verändern.

Sie haben nicht die Schalthebel der Macht in der Hand.
Unser Wahlerfolg hat die Republik verändert. Und wir regieren auf eine Art und Weise mit, die etwas subtil ist. Wir sind ein ungebetener unsichtbarer Gast am Tisch der großen Koalition. Bei jedem Sozialabbau fragen sie sich, wie wir darauf reagieren.

Warum polarisieren Sie eigentlich so?
Ich kämpfe für meine Überzeugungen und ich habe auch keine Scheu, gegen den Strom zu schwimmen. Sie gucken überrascht?

Nein, nein, wir überlegen nur, ob Sie sich manchmal fragen, alles, was ich denke, könnte ja auch falsch sein?
Selbstverständlich stelle ich meine Überzeugungen immer wieder in Frage. Aber meine naturwissenschaftliche Ausbildung gibt den Ausschlag. Danach ist eine Theorie richtig, wenn sie durch die Erfahrungen und Experimente bestätigt, und falsch, wenn sie durch Erfahrungen und Experimente widerlegt wird. Die angebotspolitische Wirtschaftsideologie wird jedes Jahr in Deutschland durch steigende Arbeitslosenzahlen und sinkende Reallöhne bei hohen Gewinnen widerlegt. Ich wundere mich nur, dass die so genannten Modernisierer und Reformer trotzdem nichts dazulernen.

Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff, Stephan Haselberger und Matthias Meisner.

Der Tagesspiegel, 27. November 2005