Zum Hauptinhalt springen

»Wir sind Teil der Bewegungen und brauchen uns gegenseitig«

Interview der Woche von Sahra Wagenknecht,

Foto: ddp images/Hermann J. Knippertz

 

 

Sahra Wagenknecht, Erste stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über Druck von der und auf die Fraktion, inoffizielle Koalitionspartner in der Opposition, das Verhältnis zu sozialen Bewegungen und den Einfluss der Gewerkschaften

Vergangene Woche kam der Bundestag nach vielen Wochen erstmals wieder zu einer Sitzung zusammen. Allerdings - so hat es den Anschein - weniger, um zu arbeiten. Dabei wollte DIE LINKE doch mit zunächst fünf Gesetzentwürfen die Zeit bis zur Regierungsbildung konstruktiv nutzen. Was ist da los?

Sahra Wagenknecht: Die SPD schielt auf die Ministerposten und hat Angst, von der LINKEN an ihre Wahlversprechen erinnert zu werden: etwa den flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn, das Verbot der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen, die Beseitigung der Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und den Ausbau der Kinderbetreuung beziehungsweise die Abschaffung des Betreuungsgeldes. Dafür gäbe es eine rechnerische Mehrheit im Parlament. Sobald die Regierung steht, kann die SPD ihren Wahlbetrug auf den Koalitionszwang schieben.

Die Anträge der LINKEN auf Einsetzung von Ausschüssen wurden an einen nicht existierenden Ausschuss zur Beratung verwiesen, also ins Nirwana geschickt. Darf die Große Koalition in spe das Parlament derart blockieren?

Die juristischen Meinungen gehen da auseinander. Aber eines ist sicher: Mit Demokratie hat das wenig zu tun. Denn das Parlament soll die Regierung kontrollieren, nicht die Regierung das Parlament behindern.
 
Wenn es parlamentarisch schwierig ist, Vorhaben auf den Weg zu bringen, gibt es doch sicher noch andere Optionen. In Hamburg ist es in einem Volksentscheid gelungen, das Stromnetz zu rekommunalisieren. Könnten die Bürgerinnen und Bürger Ihr inoffizieller Koalitionspartner in der Opposition werden?

DIE LINKE will die Demokratie verteidigen und erneuern. Daher kämpfen wir für Volksentscheide auch auf Bundesebene. In Hamburg waren wir ein anerkannter Partner des Volksentscheids. Das war ein großer Erfolg, weil sich eine Mehrheit in Hamburg gegen die Energielobby, die Springer-Presse und ihre Schmutzkampagne durchgesetzt hat. Privatisierung ist Diebstahl öffentlichen Eigentums. Die großen privaten Energiekonzerne zocken bei den Energiepreisen ab, investieren nicht in die Netze und verhindern eine gerechte Energiewende. DIE LINKE wird daher weiter Initiativen unterstützen, die unser Eigentum zurückholen.

Viele Ihrer Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen engagieren sich in Initiativen und Bewegungen. Wie ist das Verhältnis zwischen der Fraktion DIE LINKE und den sozialen Bewegungen?

Wir sind Teil der Bewegungen und brauchen uns gegenseitig. Ohne den Druck der sozialen Bewegungen können wir gegen Medienkampagnen und Lobbyisten im Parlament nicht bestehen. Und auch DIE LINKE braucht ab und zu Druck von der Straße, etwa wenn sie in Ländern regiert und sich gegenüber dem Koalitionspartner behaupten muss. Unsere Fraktion kann wiederum die parlamentarische Arbeit nutzen, um Initiativen fachlich zu unterstützen und Debatten ins Parlament beziehungsweise in die Medien zu bringen.

Mit ihrem unermüdlichen Einsatz gegen Leiharbeit und prekäre Beschäftigung, für eine bessere Tarifbindung und den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn könnte man DIE LINKE als parlamentarischen Arm der Gewerkschaften sehen. Welche Bedeutung haben Gewerkschaften und deren Anliegen für Ihre parlamentarische Arbeit?

Ohne Gewerkschaften sind wir machtlos gegenüber Hungerlöhnen und der Zerstörung des Sozialstaats. Die Mehrheit der Menschen besitzt keine Fabriken oder hohe Vermögen und muss von ihrer Arbeit leben. Auch eine anständige Rente oder eine gute Arbeitslosenversicherung hängt an der Entwicklung der Löhne. Die Gewerkschaften können den Unternehmen direkt in die Speichen greifen – etwa über Streiks. Die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 haben den Gewerkschaften jedoch das Rückgrat gebrochen. Die Gewerkschaften haben aber auch Fehler gemacht, wie die Lohnzurückhaltung nach dem Bündnis für Arbeit. DIE LINKE will die Agenda 2010 abwickeln und die Gewerkschaften wieder in die Lage versetzen, die Interessen der Bevölkerungsmehrheit zu vertreten.

Auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall sprach am Sonntag und Montag allerdings mit Sigmar Gabriel und Angela Merkel die Große Koalition. Wünschen Sie sich von den Gewerkschaften mehr Unterstützung?

Gewerkschaften sollten keine Partei, aber erst recht keine Regierung unterstützen, die Löhne drückt und den Sozialstaat zerstört. Ich wünsche mir unabhängige Gewerkschaften, die für die Interessen der Arbeitnehmer kämpfen. Es ist jedoch im Interesse der Gewerkschaften, wenn DIE LINKE die Regierung unter Druck setzt und die SPD zur Umkehr zwingt. Es war DIE LINKE, die den Mindestlohn oder die Sklaverei durch Leiharbeit auf die Agenda in Deutschland gesetzt hat. Im Übrigen haben auch die Beschäftigten, die im Exportsektor arbeiten, keine sicheren Arbeitsplätze, wenn die Wirtschaft in Europa wegen fehlender Kaufkraft abschmiert. Ich hoffe daher sehr, dass es ausreichend Druck in der IG Metall gibt, damit sich der neue Vorsitzende Detlef Wetzel nicht wie Berthold Huber an Frau Merkel oder die SPD kettet.
 

linksfraktion.de, 26. November 2013