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»Wir sind für den Euro, für Europa und für ein stärkeres europäisches Miteinander«

Interview der Woche von Barbara Höll,

Barbara Höll, Sprecherin für Steuerpolitik und Leiterin des Arbeitskreises II Wirtschaft, Finanzen, Steuern, Energie, Umwelt, erläutert im INTERVIEW DER WOCHE, waum die Krisenpolitik der Bundeskanzlerin zum Scheitern verurteilt ist, welche Anstrengungen stattdessen unternommen werden müssen und wie eine andere Steuerpolitik dazu beitragen kann

2011 war das Jahr der nicht enden wollenden Eurokrise. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel wirkt immer hilfloser: Gipfel folgt auf Gipfel, Lösungsversuch auf Lösungsversuch, doch die Krise verschärft sich weiter. Wie bewerten Sie die Rolle der Kanzlerin in diesem Drama?

Barbara Höll: Das Jahr 2011 war ein Jahr, in dem es versäumt worden ist, die Kurswende einzuleiten, um die Krise zu beenden. Stattdessen gibt sich die Kanzlerin auch weiterhin als Getriebene der Finanzmärkte. Sie und Bundesfinanzminister Schäuble versuchen immer noch, den Erwartungen der Finanzmärkte gerecht zu werden statt eine vernünftige Regulierung voranzutreiben. Auch versucht die Bundesregierung weiterhin, den Bundestag aus wichtigen Entscheidungen herauszuhalten. So verweigert die Regierungskoalition bisher, bei der Aufstockung der Mittel für den IWF die Zustimmung des Bundestages einzuholen, obwohl das selbst die Bundesbank fordert. Das schädigt unsere Demokratie. Für die Bundeskanzlerin wird es in Zukunft also eher noch schwerer statt einfacher.

In ihrer Regierungserklärung Mitte Dezember nannte die Kanzlerin als Ursache für die Krise erneut die Staatsschulden. Wie erklären Sie sich die arg eindimensionale Analyse der Kanzlerin?

Das die Bundeskanzlerin immer noch von einer Staatsschuldenkrise spricht ist eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit, um die Spardiktate hier und in den anderen Euro-Ländern zu begründen. Diese Sicht ist falsch und verklärt die Ursachen. Denn Spanien und Irland hatten bis 2007 Schuldenstandsquoten, die mit rund 36 beziehungsweise etwa 25 Prozent vorbildlich waren. Die massiven finanziellen Probleme bekamen die jetzt diskutierten "Problemländer" nur durch die massiven Aufwendungen für die Sicherung des Finanz- und Bankenwesens. Das gerade auch Griechenland so massiv attackiert wird, jedoch bis Mitte 2008 für griechische Anleihen keine nennenswerten Risikoaufschläge fällig wurden, zeigt auch, dass die Finanzmärkte nicht langfristig agieren, so kürzlich Peter Bofinger in einem Interview. Die Bundeskanzlerin wird ihre falsche Sicht, die Krise sei eine Staatsschuldenkrise, nicht auf Dauer aufrechterhalten können, die Ereignisse werden sie letzten Endes einholen.

Für viele politische Beobachter ist die Eurokrise ein Beispiel für die ideologische Durchdringung der Politik durch die Finanzindustrie. Letztere diktiert die Regeln, die herrschenden Politiker folgen und verspielen dabei die Demokratie. Wie steht es bei diesem Kampf im Bundestag?

Die Bundesregierung wird nicht müde, die Erwartungen der Märkte zu betonen. So sagte erst kürzlich auch Bundesfinanzminister Schäuble wieder: "Die Märkte wollen Taten sehen. Der Worte sind genug gewechselt." Die Bundesregierung lässt sich einerseits durch die Finanzmärkte treiben, andrerseits ist sie die treibende Kraft im Euroraum, wenn es um die Verordnung der falschen Medizin zur Bekämpfung der Krise geht. Auf dem Euro-Gipfel im Dezember 11 setzte sie sich mit ihrer Linie durch, dass die Eurokrise eine Staatsschuldenkrise sei. Wie einseitig die Ursachenanalyse der Bundesregierung ist zeigt auch die Tatsache, dass bei der Ursachenbekämpfung eine Regulierung der Finanzmärkte sowie eine Möglichkeit der Staatsfinanzierung unabhängig von den Finanzmärkten nicht vorkommen. Übrigens haben laut einer Stern-Umfrage rund drei Viertel (74 Prozent) der befragten Bundesbürger den Eindruck, dass die internationalen Finanzmärkte mehr Einfluss auf das Geschehen in Deutschland hätten als die Politik. Bisher ist DIE LINKE die einzige Partei im Bundestag, die sich für eine Abkopplung der Staatsfinanzen von den Kapitalmärkten stark macht. Wir sind für den Euro, für Europa und für ein stärkeres europäisches Miteinander, dies bedingt jedoch eine stärkere europäische Koordinierung der Wirtschafts-, Steuer-, Sozial- und Lohnpolitik.

Das Jahr 2012 bringt voraussichtlich einen Nachtragshaushalt in Höhe von 4,3 Milliarden Euro, weil der permanente Euro-Rettungsfonds ESM vorgezogen wird. Welchen weiteren Risiken birgt die Eurokrise noch für den Haushalt?

Das Gesamtrisikopotenzial ist nicht kalkulierbar. Die finanziellen Risiken für den Bundeshalt sind ebenfalls nur vage einschätzbar. Der ESM soll auf 2012 vorgezogen werden und laut Bundesfinanzminister Schäuble soll die Zahlung des deutschen Anteils zum ESM-Kapitalstock von 21,5 Milliarden Euro auf einmal geleistet werden. Zu diesem maximal denkbaren Gesamtrisiko kommen noch Risiken aus Bundesbürgschaften in Höhe von 168,3 Milliarden Euro hinzu. Weitere Risikoquellen entstehen durch die FMS Wertmanagement sowie der Commerzbank. Also alles insgesamt beträchtliche Risiken. Das hierbei die Bundesregierung von kalkulierbaren Risiken spricht, ist mir mehr als schleierhaft. Angesichts dieser Risiken ist gerade eine vernünftige und nachhaltige Steuerpolitik wichtig, zu der auch eine Millionärsteuer gehört, der sich die Bundesregierung jedoch bisher verweigert.

Die Europäische Zentralbank versorgt derzeit die Banken mit Geld zu extrem günstigen Konditionen von einem Prozent für drei Jahre. Staaten aber müssen sich am freien Markt versorgen und zahlen bis über sieben Prozent. Wahnsinn mit Methode?

Das kann man Wahnsinn nennen, Wahnsinn mit Methode. Das hier aber bereits mit der eigenen Methode gebrochen wird, zeigt die Tatsache, das die EZB ja bereits Anleihekäufe durchgeführt hat und weitere durchführen müssen wird. Klar ist, so wie das System der Staatsfinanzierung bisher funktioniert hat, so wird es auf Dauer nicht mehr gehen. Die Finanzierung des Gemeinwesens muss von den Finanzmärkten abgekoppelt werden. Das kann beispielsweise über eine europäische Bank für öffentliche Anleihen erfolgen. Ebenso muss die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit durch einige wenige äußerst umstrittene Ratingagenturen, die ja selbst von sich sagen, sie würden nur eine Meinung kundtun, mehr als kritisch gesehen und durchbrochen werden.

In den kommenden Monaten müssen sich die Länder der Eurozone wieder Milliarden über Milliarden für die Refinanzierung ihrer Schulden an den Kapitalmärkten besorgen. Steigende Zinsen könnten manches Land buchstäblich aus den Schuhen hauen. Was erwarten Sie?

Ich erwarte, dass sich die Situation zuspitzen und es zu einer Verschärfung der Krise kommen wird. Das falsche Lösungsangebot von Merkel-Sarkozy ist ein Diktat und ökonomisch falsch und nicht einmal ihre viel beschworenen Finanzmärkte kaufen ihnen das ab. Mit Kürzungsprogrammen ist es einfach unmöglich, eine wirtschaftliche Erholung der betroffenen Länder zu erreichen, damit diese aus der Krise herauswachsen können. Das Gegenteil ist nämlich der Fall, Spardiktate führen zu weiteren wirtschaftlichen Einbrüchen, damit auch zu weniger Steuereinnahmen, was letztendlich zur Folge hat, dass die Länder einen größeren Kredit aufnehmen müssen, um ihr Gemeinwesen finanzieren zu können. Weniger zahlungsfähig zu sein, bedeutet aber auch eine schlechtere Bonitätsbewertung, damit einhergehend auch höhere Zinsen, die vom Staat aufgebracht werden müssen – ein Teufelskreis also, der unbedingt durchbrochen werden muss. Das geht nicht mit Sparzwängen, die die Wirtschaft abwürgen. 

Welche politische Konstellation im Jahr 2013 könnte diesen widersinnigen Kreislauf stoppen?

Bisher ist nicht erkennbar, das die CDU, die FDP schon gar nicht, eine Lösung parat hat. Angesichts der bisherigen Politik von Schwarz-Gelb, kann die Alternative dann nur heißen Rot-Rot-Grün.

Trotz Eurokrise, klammer Kassen und zunehmender Spaltung der Gesellschaft hat die schwarz-gelbe Koalition Anfang Dezember ab 2013 Steuersenkungen auf den Weg gebracht. Ein Rettungsprogramm für die angeschlagene FDP?

Dieser Rettungsversuch der FDP ist obendrein schlampig ausgeführt. Und meines Erachtens ist die FDP nicht mehr zu retten. Denn wer weiterhin einer neoliberalen Idee folgt und damit nicht einmal Ansatzweise ein Umdenken an den Tag legt, in dem er zeigt, dass er aus der Krise gelernt hat, hat für mich jegliche politische Legitimation verloren.

Wer wird entlastet? Sind es die Bezieherinnen und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen?

Entgegen den Versprechungen der Bundesregierung werden nicht kleine und mittlere Einkommen am stärksten entlastet, sondern wieder einmal hohe Einkommen. Über die Finanzierung dessen hüllt sich die Bundesregierung übrigens in Schweigen. Eine Erhöhung des Einkommenspitzensteuersatz sowie die Wiedererhebung der Vermögensteuer lehnt sie ja weiterhin aus ideologischen Gründen ab, obwohl die Mehrheit der befragten Bundesbürger (62 Prozent) für einen höheren Steuersatz für Spitzenverdiener wäre. Und rund 79 Prozent der laut einer Stern-Umfrage befragten Bundesbürger sind davon überzeugt, dass eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich die Demokratie in Deutschland gefährde. Es ist also Zeit, dass auch die Bundesregierung hier einsichtig wird und umdenkt.

Was schlagen Sie vor?

Wir schlagen einen durchgehend linear-progressiven Einkommensteuertarif vor, damit sind große Entlastungen der unteren und mittleren Einkommen möglich – der Mittelstandsbauch würde beseitigt, gleichzeitig würden höhere Einkommen durch die Anhebung des Einkommenspitzensteuersatz stärker belastet. Demnach könnten alle diejenigen, die weniger als ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 70.000 Euro haben, entlastet werden. Darüber hinaus muss die Vermögensteuer wieder erhoben, die Abgeltungsteuer abgeschafft sowie die Erbschaftsteuer reformiert werden.

Die Steuersenkung kostet den Staat jährlich rund 6,1 Milliarden Euro. Die Länder gehen schon jetzt auf die Barrikaden. Wie soll das finanziert werden?

Das müsste die Bundesregierung beantworten. Das kann sie im Moment nicht oder sie will es nicht. Es bleibt also abzuwarten, wie sie das finanzieren will. Fakt ist eins: Steuersenkungen dürfen angesichts der desolaten Haushaltslage nicht auf Pump finanziert werden. Fakt ist aber auch: Untere und mittlere Einkommen gehören steuerlich entlastet. Wir haben, wie ich bereits gesagt habe, der Bundesregierung Vorschläge unterbreitet.

Wie kann Steuerpolitik zur Lösung der Eurokrise beitragen?

Die Verteilung von Einkommen und Vermögen wird durch die Steuerpolitik maßgeblich beeinflusst. Und die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ist Teil der Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise. Daher kommt der Steuerpolitik als Mittel zur Ursachenbekämpfung eine bedeutende Rolle zu. So sind Rahmenbedingungen neu zu setzen, sodass die Schere zwischen Arm und Reich kleiner wird. Dazu gehören die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die Einkommensteuer und unter anderem die Finanztransaktionsteuer. Diese Maßnahmen dienen nicht nur dazu, die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen zu reduzieren, sondern letztendlich auch der Sicherstellung des finanziellen Rahmens, mit dem unser Gemeinwesen, von dem alle profitieren, entsprechend gewährleistet werden kann.

linksfraktion.de, 3. Januar 2012