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»Wir sind eben anders als die anderen«

Interview der Woche von Gregor Gysi,

LINKE-Spitzenteam zur Bundestagswahl 2013, v.l.n.r. Nicole Gohlke, Jan van Aken, Caren Lay, Klaus Ernst, Gregor Gysi, Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht, Diana Golze


Gregor Gysi erläutert, warum DIE LINKE in Niedersachsen unter die Räder gekommen ist, warum ein Wahlkampf nur erfolgreich sein kann, wenn sich die gesamte Partei engagiert, warum für ihn jeden Tag Wahlkampf ist, was er davon hält, dass die SPD derzeit völlig ungeniert von der LINKEN abkupfert, und antwortet auf die Frage, ob er Kanzlerkandidat sein will.


Während auf Bundesebene die Werte für DIE LINKE weiter stabil sind, hat es in Niedersachsen nicht gereicht. Woran lag es?

Gregor Gysi: Wir sind landesweit nicht genug verankert und es gab eine mediale Inszenierung des Wahlkampfes als Lagerwahlkampf zwischen Union und FDP einerseits und SPD und Grünen andererseits, bei dem DIE LINKE buchstäblich unter die Räder kam. Da DIE LINKE nach vielen Umfragen nicht sicher im niedersächsischen Landtag vertreten sein würde, haben sich viele Bürgerinnen und Bürger für eine scheinbar sicherere Variante entschieden und entweder SPD oder Grüne gewählt. Sie haben damit zwar denkbar knapp für die Ablösung der amtierenden schwarz-gelben Regierung gesorgt, aber nicht für einen grundlegenden Politikwechsel, den es allein mit rot-grün in der Bildung und in Fragen der sozialen Gerechtigkeit nicht geben wird.

Merkel für die CDU, Steinbrück für die SPD, Brüderle für die Liberalen. Kommt DIE LINKE mit der Gysi-Ein-Mann-Show?

Ein Bundestagswahlkampf ist nie eine Ein-Mann-Show. Er kann nur erfolgreich geführt werden, wenn die gesamte Partei, das heißt alle Mitglieder und Sympathisanten, sich sehr engagiert einsetzen, zumal die LINKE viel stärker als die anderen Parteien auf einen eigenständigen Wahlkampf setzen muss, da sie keinerlei wohlwollende Unterstützung seitens einer der großen Parteien und des überwiegenden Teils der Medien erwarten kann. Auf Vorschlag der beiden Parteivorsitzenden werden wir den Wahlkampf mit einem Spitzenteam bestreiten. Schon daran sieht man, dass wir eben anders als die anderen sind. Es geht uns um Kompetenzen.

Irgendwie ist DIE LINKE ja Spielverderberin. Da haben fleißige Journalistinnen und Journalisten über Wochen versucht, eine Personaldebatte herbeizuschreiben, aber niemand aus der ersten Reihe ließ sich aus der Ruhe bringen. Ist DIE LINKE müde geworden?

Im Gegenteil - DIE LINKE hat ihre Lehren daraus gezogen, sich nicht jede Debatte aufnötigen zu lassen, sondern endlich ihre politischen Vorstellungen und die Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ins Zentrum ihrer Politik zu stellen. Wir werden für unsere politischen Überzeugungen gewählt und nicht, wenn wir uns mit uns selbst beschäftigen.

Sie haben einmal während einer ihrer Reden im Bundestag auf den Vorwurf, mit selbiger Wahlkampf zu machen, sinngemäß erwidert, für Sie sei jeder Tag ein Wahlkampftag. Ist nicht dieses Selbstverständnis vieler Politikerinnen und Politiker, sich nur alle vier bis fünf Jahre einmal zur Wahl die Stimmen der Menschen abzuholen, nicht aber dauerhaft um deren Zustimmung zu werben, eine wesentliche Ursache für die viel zitierte Politikverdrossenheit?

Im Kern werden die meisten Politikerinnen und Politiker ganz ähnlich denken, nur sie trauen sich nicht, es auch laut zu sagen. Wer sich nur vor bevorstehenden Wahlen wieder daran erinnert, dass sie oder er von den Bürgerinnen und Bürgern ein Mandat erhielt, dürfte es sehr schwer haben, erneut gewählt zu werden. Die Bürgerinnen und Bürger beobachten genau, ob es den gewählten Vertreterinnen und Vertretern mehr um sich als um die Wahrnehmung von deren Interessen geht. Politikerinnen und Politiker, die meinen, sich nach den Wahlen nicht mehr um die Anliegen ihrer Wählerinnen und Wähler kümmern zu müssen, tragen in der Tat zur Politikverdrossenheit bei.

Auf Facebook wünschen sich Nutzerinnen und Nutzer immer wieder Gregor Gysi als Kanzlerkandidat. Juckt es Ihnen nicht in den Fingern?

Ganz abgesehen davon, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit eine riesige Lücke klaffte, weil es allein schon die voraussichtlichen Wahlergebnisse nicht im Entferntesten hergeben, kann ich mir im Leben vieles vorstellen, aber nicht, Kanzler zu sein.

Sie tun es nicht, Steinbrück kann es nicht. Das heißt: Frau Merkel bleibt ohne Herausforderer Kanzlerin.

Eine wirkliche Herausforderung für Frau Merkel gäbe es erst, wenn die SPD wieder eine sozialdemokratische Partei wäre, denn einen tatsächlichen Politikwechsel gibt es nicht ohne DIE LINKE. Frau Merkel und Herr Steinbrück sind sich völlig einig in der Eurokrise, die Vermögenden, die die Krise erst verursacht haben, zu schonen und die Risiken auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abzuwälzen. SPD und Grüne stimmten allen so genannten Rettungspaketen im Bundestag zu und somit auch den Kürzungsdiktaten gegenüber Griechenland, Portugal und Irland. Union, SPD, FDP und Grüne sind sich völlig einig hinsichtlich der weiteren Absenkung des Rentenniveaus auf 42 Prozent der Durchschnittseinkommen, in der Förderung statt Eindämmung prekärer Beschäftigung, in Hartz IV, in der Beteiligung an Kampfeinsätzen der Bundeswehr von Afghanistan bis in die Türkei. Mit Ausnahme der LINKEN, die einen grundlegenden Politikwechsel fordert, unterscheiden sich Union und SPD eher in Nuancen, so dass wirkliche Veränderungen zu Gunsten von mehr sozialer Gerechtigkeit nur mit der Wahl und der Stärkung der LINKEN erreicht werden können.

Selbst Gerhard Schröder fordert jetzt den Mindestlohn. Was sagen Sie dazu, dass die SPD derzeit völlig ungeniert abkupfert?

Das zeigt nur, dass DIE LINKE wirkt, wenn die SPD Forderungen der LINKEN wie die nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn oder, wie kurz vor den niedersächsischen Landtagswahlen, nach einer Senkung der Zinsen für Dispokredite übernimmt. Das Problem besteht darin, dass die SPD sich mit fremden Federn schmückt, ohne die von den LINKEN übernommenen Forderungen auch umzusetzen. Die SPD müsste ihren Wählerinnen und Wählern erklären, wie sie einen gesetzlichen Mindestlohn mit einer FDP durchzusetzen gedenkt, die als Koalitionspartner im Unterschied zur LINKEN von ihr nicht ausgeschlossen wird, falls es für Rot-Grün nicht reichte.

linksfraktion.de, 22. Januar 2013