Gespräch mit Oskar Lafontaine über Schnittmengen der Linken mit dem Islam, Atomgefahren, Rohstoff-Imperialismus und Entscheidungsfragen einer gemeinsamen Linken.
Stehen wir am Beginn des von Samuel Huntington prophezeiten »clash of civilizations«, des Kampfs der Kulturen?Die These von Huntington ist mir zu einfach. Sie ist auch gefährlich, wenn sie zur Begründung von Kriegen herangezogen wird. Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Kulturen sind nicht ungewöhnlich. Die westliche Welt orientiert sich nur noch an ökonomischen Werten und liegt im Widerstreit mit anderen Kulturen, die religiöse oder humane Werte in den Vordergrund rücken.
Hiesige Kommentatoren machen auch einen nicht-ökonomischen Wert geltend, die Pressefreiheit.
Die Pressefreiheit ist ein wichtiges Gut in einer Demokratie. Diejenigen, die in den Medien arbeiten, können sich aber nicht davon freisprechen, die Grundregeln einer Zivilgesellschaft zu beachten. Was in den Mohammed-Karikaturen zum Ausdruck kommt, ist nicht Pressefreiheit, sondern Geschmacklosigkeit.
Ist in der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen mehr Rücksicht zu üben als in der kritischen Beschäftigung mit der eigenen?
Wir müssen von dem Grundsatz ausgehen, andere so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen, mit dem selben Respekt. Gerade diese konservative dänische Zeitung wäre sicher sehr empört gewesen, wenn Christus in islamischen Zeitungen verspottet werden würde.
In einigen arabischen Zeitungen finden sich sehr bösartige antijüdische Karikaturen.
Daraus folgt nicht, umgekehrt ähnliches zu tun. Es gibt im Islam wie in anderen Religionen sehr kritische Auseinandersetzungen mit eigenen wie mit fremden Glaubenssätzen, die muss es auch geben. Das genehmigt aber nicht, religiöse Empfindungen zu verhöhnen - dort nicht und hier nicht.
Sind islamistische Strömungen eine Bedrohung für die Aufklärung?
Die Aufklärung ist vielfach bedroht. Aber die Linke hat eine besondere Aufgabe, den Dialog mit dem Islam zu suchen - gerade weil sie sich der Aufklärung verpflichtet fühlt. Die Aufklärung will die Gesellschaft der Freien und Gleichen, sie setzt Toleranz voraus. Es gibt Schnittmengen zwischen linker Politik und islamischer Religion: Der Islam setzt auf die Gemeinschaft, damit steht er im Widerspruch zum übersteigerten Individualismus, dessen Konzeption im Westen zu scheitern droht. Der zweite Berührungspunkt ist, dass der gläubige Muslim verpflichtet ist zu teilen.
Die Linke will ebenso, dass der Stärkere dem Schwächeren hilft. Zum Dritten: Im Islam spielt das Zinsverbot noch eine Rolle, wie früher auch im Christentum. In einer Zeit, in der ganze Volkswirtschaften in die Krise stürzen, weil die Renditevorstellungen völlig absurd geworden sind, gibt es Grund für einen von der Linken zu führenden Dialog mit der islamisch geprägten Welt.
Die Bedingungen dafür werden zunehmend schwierig. Laut Umfragen hat die Angst vor dem Islam wie vor bei uns lebenden Muslimen stark zugenommen.
Das ist kein Wunder. Wenn man den Islam täglich im Fernsehen nur im Zusammenhang mit Selbstmordattentätern präsentiert bekommt, entwickeln sich Ängste. Deswegen halte ich jeden einseitigen medialen Umgang mit diesem Thema für verantwortungslos. Wir müssen uns immer fragen, mit welchen Augen die Muslime uns sehen.
Haben Sie Verständnis für tiefer liegende Gründe der Empörung in arabischen und islamischen Ländern gegenüber dem Westen?
Die Menschen in den islamischen Ländern haben viele Demütigungen erfahren - eine der letzten ist der Irak-Krieg. Es geht um den Rohstoff-Imperialismus. Wir müssen lernen, dass die Rohstoffe der arabischen Welt nicht uns gehören. Wir können nur durch friedliche Handelsbeziehungen daran teilhaben. Die fehlerhafte Haltung der westlichen Industriestaaten haben Demonstranten auf den Punkt gebracht, die ein Schild mit sich trugen, auf dem zu lesen stand: "Wie kommt nur unser Öl unter deren Sand?"
Wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang den Atomkonflikt mit dem Iran?
Die Politik des Westens gegenüber dem Iran baut auf Grundlagen auf, die nicht haltbar sind. Der Iran wird mit erhobenem Zeigefinger vor dem Bau der Bombe gewarnt, während andere Länder den Atomwaffensperrvertrag, den der Iran unterschrieben hat, brechen. Die Atommächte haben sich in diesem Vertrag nämlich verpflichtet, ihre eigenen Atomwaffen vollständig abzurüsten - das geschieht nicht. Die Linke fordert eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten und Nichtangriffsgarantien für alle Länder, auch für den Iran.
Ist es ein Widerspruch, als Gegner der Atomenergie einem Staat dennoch das Recht auf Uran-Anreicherung einzuräumen?
Ich bin ein Gegner des Ausbaus der atomaren Technologie. Für mich als Physiker war es immer lächerlich, wenn jemand behauptet, die zivile Nutzung der Atomtechnologie könne von der militärischen strikt abgegrenzt werden. Es ist bedrohlich, wenn auch der Iran sein Atomprogramm ausbaut. Frieden entsteht nicht dadurch, dass man einem Land die Rechte verweigert, die man sich selbst nimmt.
Die Forderung nach völliger Atomwaffenfreiheit spielte in den 1980er Jahren eine große Rolle in Europa. Wir müssen sie neu aufwerfen. Eine Technik, die nicht scheitern darf, ist nicht verantwortbar. Das gilt für Atomkraftwerke und erst recht für Atomraketen.
Kann die Linke kleine Schritte einfordern, wie eine Verpflichtung gegen den Ersteinsatz, ohne dass der Eindruck entsteht, sie begnüge sich mit zu wenig?
Jeder kleine Schritt in die richtige Richtung ist zu unterstützen. Aber die atomare Bedrohung ist so ungeheuer, dass die Menschheit nur durch Verdrängung mit dieser Frage leben kann. Deshalb bleibe ich ein fundamentaler Gegner jeder atomaren Bewaffnung und ebenso ein Gegner großtechnischer Atomanlagen.
Mit welcher Erfolgsaussicht?
Ich kann nur meine Überzeugung formulieren, dass die Welt ohne Atomwaffen stabiler wäre. Wer garantiert uns, dass sie nach Hiroshima und Nagasaki nicht doch wieder eingesetzt werden? Es wird mit Uran ummantelte Munition eingesetzt und es wurden so genannte Mini Nukes entwickelt, um Atomwaffen wieder einsetzbar zu machen.
Amerikanische und israelische Politiker haben erklärt, zu einer Militäraktion gegen Iran bereit zu sein. Müssen wir nach Irak mit dem nächsten Krieg rechnen?
Man kann nur darauf hoffen, dass die USA ihre eigenen Streitkräfte mit ihren jetzigen Kriegen überfordert haben und daher keine neuen anzetteln können.
US-Präsident Bush ist nicht der Auffassung, dass er den Krieg im Irak verloren hat.
Wir können nicht warten, bis der amerikanische Präsident etwas merkt. Bushs Krieg im Irak ist gescheitert, daran ändert die Durchhaltepropaganda seiner Regierung nichts. Auch in den USA registrieren immer mehr Menschen, dass der Irak durch diesen Krieg zu einer Brutstätte des Terrorismus geworden ist.
Welche Chancen hat deutsche Politik, einen weiteren Krieg zu verhindern?
Der Rohstoff-Imperialismus wird von Deutschland unterstützt. Es war der Fehler von Rot-Grün, dass Schröder und Fischer künstlich zwischen dem Afghanistan- und dem Irak-Krieg unterschieden haben. Für die USA handelt es sich um eine große geostrategische Zone von Öl- und Gasvorkommen, die sie unter ihrer Kontrolle haben wollen. Die rot-grüne Regierung hat nicht nur das Militär, sondern auch das Völkerrecht enttabuisiert. Wenn Deutschland zum Frieden beitragen will, dann geht das nur, wenn die Außenpolitik sich wieder an das Völkerrecht hält.
Die Nato diskutiert derzeit eine globale Ausweitung. Ein erhöhtes Risiko auch für Deutschland, sich in Kriegskoalitionen einzubinden?
Nicht unbedingt. Wir wollen ein globales Sicherheitssystem, in dem die Mitgliedstaaten sich ausschließlich zur Verteidigung gegen einen Angriff zusammenschließen. Wenn die Nato ein solches Verteidigungsbündnis bleibt, dann spricht nichts gegen eine Ausbreitung. Wenn sie aber ein Interventionsbündnis zum Zweck der Rohstoffsicherung wird, dann ist die Ausweitung eher eine Gefahr.
Aber alle Staaten, um die es derzeit geht - Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan - sind oder waren an Bushs "Koalition der Willigen" beteiligt?
Genau das darf nicht passieren. Deutschland sollte der Umwandlung des Verteidigungsbündnisses in ein Interventionsbündnis widersprechen.
Sie haben kürzlich auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz den Neoliberalismus als einen »Angriff auf die Würde des Menschen« bezeichnet. Bedeutet er für Sie auch generell erhöhte Kriegsgefahr?
Der Neoliberalismus stellt darauf ab, Umsätze und Gewinne insbesondere der großen Konzerne zu steigern. Der wieder in Mode gekommene Philosoph Oswald Spengler hat in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Außenpolitik als einen Kampf um Absatzmärkte und Rohstoffquellen definiert. Der Neoliberalismus verkörpert diese Sichtweise in einer verschärften Weise.
Mit dem Begriff des Neoliberalismus wird sehr dehnbar hantiert. Ist er für Sie austauschbar mit dem Kapitalismus-Begriff?
Ja, Neoliberalismus ist verschärfter Kapitalismus.
Dann reden wir davon. Immer mehr öffentliches Eigentum wird privatisiert.
Das ist eine verderbliche Entwicklung. Wenn in Hessen schon Gefängnisse privatisiert werden sollen, dann muss ein deutliches Stoppsignal gesetzt werden: Es dürfen keine weiteren öffentlichen Einrichtungen privatisiert werden. Stattdessen müssen wir die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland auf das europäische Niveau anheben. Wir haben in Deutschland ein privates Geldvermögen von vier Billionen Euro, davon gehören zwei Billionen den oberen Zehntausend. Eine Fünfprozent-Steuer darauf brächte 100 Milliarden in die öffentlichen Kassen.
Darauf haben die Kommunal- und Landespolitiker wenig Einfluss.
Aber selbst einige Politiker in Union und SPD fordern inzwischen ein Ende des Privatisierungswahns. Da gibt es Möglichkeiten, den Druck auf die Bundespolitik zu erhöhen, die Reichen stärker zur Kasse zu bitten. Ich möchte keine Gemeindeparlamente haben, in denen die Abgeordneten nur noch Daumenlutschen können, weil sie nichts mehr zu entscheiden haben, weder über Mieten, Gas und Wasser, noch über die Friedhofs- oder die Parkgebühren. Markt und Gesellschaft können nur funktionieren, wenn es einen starken öffentlichen Sektor gibt.
Sie sind darüber - Privatisierung von öffentlichem Wohneigentum - mit der Dresdner Linkspartei in Konflikt geraten. Ein Sprengsatz auf dem Weg zur gemeinsamen Linken?
Wer neoliberalen Politikinhalten anhängt, ich will das ja respektieren, ist besser in einer anderen Partei als in der neuen Linken aufgehoben. Sie hat doch nur eine Begründung im Parteienspektrum der Bundesrepublik, wenn sie sich dem Neoliberalismus widersetzt. Für alle, die Mandate in der Linken haben, muss klar sein, dass sie sowohl eine Verpflichtung gegenüber den Wählern als auch gegenüber ihrer Partei haben. Man kann diese Verpflichtung nicht kalt lächelnd zur Seite schieben, wie es einige selbstherrliche Mandatsträger tun.
Bislang gingen Mahnungen, die Linke komme auch ohne sie aus, an die Adresse derjenigen, die eines Linkssektierertums verdächtigt wurden. Sie mahnen nun diejenigen, die sich aus dem herrschenden Politikmodell zu wenig herausbewegen wollen?
Ja, die Mahnung gilt beidseitig. Wir wollen kein Allerweltsprojekt. Jedenfalls war das nicht mein Motiv, mich noch einmal zu engagieren. Wir werden einen Klärungsprozess über das Programm suchen, das wir erarbeiten, und dann kann und muss sich jeder entscheiden. Der Neoliberalismus will deregulieren, wir wollen Gesetze, die den Schwachen schützen. Der Neoliberalismus will privatisieren, wir wollen einen öffentlichen Sektor, der die Gemeinden in die Lage versetzt, die Lebensbedingungen der Menschen sozial zu gestalten. Der Neoliberalismus will entdemokratisieren, wir wollen eine Welt, in der nicht die Finanzmärkte herrschen, sondern in der demokratische Parlamente bestimmen. Der Neoliberalismus will den Abbau des Sozialstaates, wir wollen den Erhalt und Ausbau des Sozialstaates. Eine Demokratie braucht Alternativen und die neue Linke sollte die Alternative zum Neoliberalismus sein. Sonst wäre sie überflüssig.
Interview: Jürgen Reents
Neues Deutschland, 13. Februar 2006