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»Wir brauchen mehr Widerstand und Gegenwehr«

Interview der Woche von Cornelia Möhring, Sahra Wagenknecht,

Sahra Wagenknecht und Cornelia Möhring, die beiden Ersten stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über Ausgangssituation, Herausforderungen und Antworten im Wahljahr 2013

 

Was haben Sie sich als Politikerin ganz persönlich für 2013 vorgenommen?

Sahra Wagenknecht: Zunächst werde ich gemeinsam mit den Genossinnen und Genossen in Niedersachsen darum kämpfen, dass DIE LINKE wieder in den Landtag einzieht, denn dort wird sie dringend gebraucht. DIE LINKE ist die einzige echte Opposition gegen Bankenrettung, Krieg und Sozialkahlschlag. Deshalb werde ich auch alles dafür tun, dass wir im Herbst wieder mit einer starken Fraktion in den Bundestag einziehen. Dabei will ich im Wahlkampf möglichst viele Menschen überzeugen und ermutigen, dass sie sich selbst wehren und aktiv werden. Wir brauchen gerade in Deutschland mehr Widerstand und Gegenwehr, sonst wird die Bevölkerung für die Krise bluten müssen. Die Pläne für weiteren Sozialkahlschlag liegen ja schon in der Schublade.

Cornelia Möhring: Wählkämpfen, Wahlkämpfen, Wahlkämpfen! Und dabei inhaltlich das Plan B-Projekt, den sozial-ökologischen Umbau, weiterentwickeln. Mein Zugang ist, dass eine LINKE, die wichtige soziale Abwehrkämpfe führt, zugleich als Partei mit Zukunftsprojekten wahrgenommen wird, für die wir uns in Städten und Gemeinden stark machen, aber auch Neugier wecken können, was anderswo in der Welt unternommen wird, um soziale Ängste und Umweltzerstörung zu überwinden. Was gehört zu den sozialen Garantien eines guten Lebens, zu einem stressfreien Jobs, einer Lebensführung, in der genug Zeit für Kinder, Freunde, politische Einmischung und kulturellen Austausch ist, für Unbekanntes und Liegengebliebenes? Ich habe mir vorgenommen, bei weitsichtigen Konzepten der Armutsbekämpfung nicht lockerzulassen, das Soziale im ökologischen Umbau groß zu schreiben und an einer Sozialcharta für Selbständige weiterzuarbeiten.

Sie haben gemeinsam mit 39 weiteren Abgeordneten der Bundestagsfraktion kurz vor Weihnachten mit einer nicht ganz alltäglichen Aktion Menschen glücklich gemacht.

Cornelia Möhring: Wir fanden es empörend, dass Weihnachten im Hartz IV-Regelsatz nicht vorgesehen ist. Deshalb haben wir 4.000 Euro gesammelt und Weihnachtsbäume verschenkt. Die Beschenkten haben sich riesig gefreut. Wir haben die Aktion mit vielen intensiven Gesprächen darüber verbunden, wie sich Betroffene gemeinsam mit uns gegen ein Klima wachsender sozialer Ängste und handfester Notlagen wappnen und wehren.

Mit Spendenaktionen allein ist vermutlich leider auch im neuen Jahr den sozialen Missständen nicht beizukommen.

Cornelia Möhring: Das stimmt. Es ist eine Geste des Mutmachens, ein Anlass, ins Gespräch zu kommen und darauf aufmerksam zu machen, dass Armut kein individuelles Versagen ist. Mit der These "Armut ist politisch gewollt" hat die Nationale Armutskonferenz kurz vor Weihnachten ihren Schattenbericht vorgestellt. Zuvor hatte die Bundesregierung dafür gesorgt, dass aus ihrem Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts der Satz verschwand: "Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden." Sicherlich kann man soziale Verwerfungen aus Berichten tilgen und Wahrheiten, die auf der Straße liegen, zu gewagten Thesen abstempeln. Doch damit verschwindet die wachsende Armut nicht aus der Welt, sondern es wird einzig ein Klima befeuert, in dem Armut den Armen in die Schuhe geschoben wird. Entsolidarisierung und Politikverdruss sind die Folge. Das nützt allerdings am Ende nur einer Regierung, die zum Politikwechsel weder fähig noch Willens ist.

Der Beirat des Wirtschaftsministeriums hält in einem aktuellen Gutachten die Debatte über Altersarmut in Deutschland für völlig überflüssig. Malt DIE LINKE also wieder nur Schreckgespenster?

Sahra Wagenknecht: Leider ist das Gespenst sehr real. Aber es wundert mich nicht, dass das Wirtschaftsministerium die Debatte über Altersarmut für überflüssig hält. Nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, werden unliebsame Tatsachen ignoriert oder schöngeredet. Wir kennen diese peinliche Schönfärberei vom Armuts- und Reichtumsbericht, wo alle treffenden Zustandsbeschreibungen nachträglich gelöscht worden sind. DIE LINKE wird den Kampf gegen Altersarmut zu einem Schwerpunkt der kommenden Wahlkämpfe machen. Die Menschen brauchen gute Arbeit zu guten Löhnen und eine gesetzliche Rente, von der es sich leben lässt. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Die Medien werden in den Monaten bis zu Bundestagswahl noch mehr als bisher Union und SPD die große Bühne bieten. Wie kann sich DIE LINKE daneben Gehör verschaffen?

Cornelia Möhring: Unsere Antworten auf Energiearmut, Mietpreisentwicklung, Jobverlust, auf Klimakiller und internationale Konflikte sollten so formuliert sein, dass Menschen darauf brennen, sich politisch einzumischen. Den Finger in die Wunde legen und Angebote unterbreiten, wohin genau die Reise in den nächsten Jahren gehen kann - nur so kann ich andere ermuntern, etwas zu verändern. Eine LINKE inmitten der Konflikte, die Menschen umtreiben – messerscharf, heiter, klar und pointiert - das müssen wir in diesem Wahljahr schaffen. Womit wir und wie wir in den Medien sind, ist zuerst unsere Verantwortung. Und ich wünschte mir mehr Dialogangebot statt Verkündigung - überraschend und wiedererkennbar, populär nicht populistisch, zukunftsorientiert, mit globalem Verstand und regionaler Bodenständigkeit. Die Medienbilder, die über DIE LINKE entstehen, vergleichen Bürgerinnen und Bürger mit ihren Begegnungen mit aktiven Mitgliedern, mit beherzten Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern, mit Erlebnissen in Bündnissen und im Alltag, vor der ARGE, in der Uni, beim Feuerwehrfest und wenn Nazis blockiert werden.

Angela Merkel glaubt, die beste Bundesregierung aller Zeiten zu führen. Die Frau macht sich vermutlich wenig Sorgen um die Wiederwahl. Oder?

Sahra Wageknecht: Dass sich Frau Merkel derzeit wenig Sorgen machen muss, liegt allein an dem schlechten Herausforderer Steinbrück. Die SPD betreibt einfach keine wirksame Oppositionspolitik: Bislang konnte sich die Kanzlerin noch bei jedem Bankenrettungspaket auf die Stimmen der SPD verlassen. Dabei gibt es sehr viele Menschen, die mit Politik der Bundesregierung unzufrieden sind. Im Übrigen ist es mir ein Rätsel, wie man angesichts von Minister-Nieten wie Rösler, Niebel, Schavan, Schröder oder Friedrich von der "besten Bundesregierung aller Zeiten" faseln kann.

Nicht wenige sehen im SPD-Spitzenkandidaten Steinbrück schon Merkels künftigen Vizekanzler. Was meinen Sie: Warum vergeben die Sozialdemokraten abermals die Chance zu einem wirklichen Politikwechsel?

Sahra Wagenknecht: Weil sie einen wirklichen Politikwechsel mehrheitlich nicht wollen. Das Problem der Sozialdemokraten ist, dass ihre wichtigsten Funktionäre an der falschen Agenda-Politik festhalten. Die Hartz-Gesetze, die Förderung von Leiharbeit und Lohndumping, die Teilprivatisierung und Absenkung der Rente sowie Steuersenkungen für Reiche und Konzerne – diese Agenda-Politik war und ist unsozial und muss zurückgenommen werden. Mit wichtigen Architekten der Agenda 2010 wie Steinmeier oder Steinbrück ist ein solcher Politikwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit aber leider nicht machbar. Wer soziale Gerechtigkeit will, muss DIE LINKE wählen.

Die kommenden Monate werden wohl in vielerlei Hinsicht nicht einfacher als die zurückliegenden. Merkels Spardiktat für Europa droht als Bumerang auf Exportmeister Deutschland zurück zu schießen. Vor welchen Herausforderungen steht die Bundesrepublik tatsächlich 2013?

Sahra Wagenknecht: Die Bankenrettung von heute ist der Sozialkahlschlag von morgen. Die Bundesregierung weiß genau, dass Griechenland einen weiteren Schuldenschnitt braucht, der den Bundeshaushalt stark belasten wird. Von den Risiken, die sich aus der Rettung spanischer und anderer Banken ergeben, einmal ganz zu schweigen. Deshalb lässt Finanzminister Schäuble gerade ein umfangreiches Sparpaket ausarbeiten, das für die nächste Legislaturperiode eine Erhöhung der Verbrauchssteuern, weitere Sozial- und Rentenkürzungen und neue Zuzahlungen im Gesundheitswesen sowie eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit vorsieht. Wir stehen 2013 vor der Herausforderung, soziale Proteste und Bewegungen gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Bevölkerung zu stärken. Nur mit massivem Druck von unten lassen sich soziale Grausamkeiten verhindern und Verbesserungen – etwa ein Mindestlohn, eine Millionärssteuer oder ein Verbot von Leiharbeit – durchsetzen.

Mit welchen Antworten auf die Herausforderungen 2013 wird sich DIE LINKE auf ihrer Neujahrsklausur in Hannover wappnen?

Cornelia Möhring: Überwindung von Altersarmut, die Lebenslagen von abhängig Beschäftigten, Selbständigen, und Erwerbslosen, Mietpreise, bezahlbare Energie, Mobilität praktisch und geistig und die Eurokrise, die die Regierungen offenbar zu Jahresbeginn in einen Gipfelmarathon zwingt, all das wird uns natürlich auch auf der Klausur in Hannover beschäftigen. Und natürlich sorgen wir dort für Rückenwind für unser Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer in Niedersachsen und schauen nach vorn auf die Bundestagswahl im September. Steinbrück steht zurzeit nur noch für Fettnäpfchenhüpfen und Merkel für ihr weiter so. Das wird viele Menschen nicht gerade begeistern, wählen zu gehen. Eine Wechselstimmung für diese SPD wird immer unwahrscheinlicher. Insofern läuft da alles ganz im Sinne einer Wiederbelebung einer großen schwarz-roten Konfusion, die die Energiewende den Stromriesen überlässt und Europas Schicksal an die Glaskugeln der Ratingagenturen bindet. Ich finde, dazwischen gibt es genug zu tun. Nicht nur einen Politikwechsel zu fordern, sondern zu zeigen, was Menschen mit politischer Einmischung gewinnen, wie man soziale Ängste und Mutlosigkeit gemeinsam überwindet. Dafür sollte DIE LINKE, sollten all unsere Mitglieder, mit aller Kraft stehen. Dafür werden wir in Hannover Weichen stellen.

linksfraktion.de, 7. Januar 2013