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»Wir brauchen Gerechtigkeit bei den Renten«

Im Wortlaut von Volker Schneider,

Die Linke rechnet nur mit wenigen Beziehern einer Grundsicherung im Alter. Ein Gespräch mit Volker Schneider

Volker Schneider ist rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken

Die Linke fordert in ihrem Zehn-Punkte-Beschluß, die Rente müsse den erreichten Lebensstandard im Alter absichern. Durchschnittsverdiener müßten wieder Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, die einen deutlichen Abstand zur Grundsicherung aufweisen. Das löst aber doch nicht das Problem der Altersarmut derjenigen, die heute prekär beschäftigt sind; im Gegenteil, deren relative Armut vergrößert sich noch.

Die Ausgangsfrage ist: Muß man in diesem System eine Mindestrente etablieren oder nicht? Auf dem Bundesparteitag der Linken habe ich darauf hingewiesen, daß das eigentlich eine Pseudodebatte ist. Wir haben die Rente für viele, insbesondere prekäre Erwerbsbiographien durchgerechnet und kommen bei unserem Modell in den allermeisten Fällen auf einen Betrag, die jenseits der 800 Euro liegt. Und diejenigen, die die 800 Euro nicht erreichen, sind ein verschwindend geringer Anteil.

Wie hoch würden Sie die Zahl genau schätzen?

Das ist schwierig. Die Frage ist: Wen wollen wir dort mit einbeziehen? Beispiel: Wenn Sie jemanden haben, der sein Leben lang nur von Finanzspekulation gelebt hat, gehört der dann auch da mit rein? Streng genommen ja. Wenn ich überhaupt keine Bedarfsprüfung mehr mache, hat derjenige einen Anspruch von null Euro in der gesetzlichen Rentenversicherung und müßte dann 800 Euro Mindestrente beziehen. Deshalb hat sich das auch nicht bei uns durchgesetzt. Ich würde schätzen, es können nicht mehr als zwei Prozent sein, die unter 800 Euro bleiben, also soviele, wie momentan auch die Grundsicherung im Alter beziehen. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Wir haben zur Zeit 400 000 Leute, die die Grundsicherung im Alter beziehen. Wir haben aber gleichzeitig 3,6 Millionen Leute in der gesetzlichen Rentenversicherung, die immer noch unter die Regelung der Mindestentgeltpunkte fallen.

... die für etwas höhere Renten sorgen soll ...

Die Regelung der Mindestentgeltpunkte ist zwar zum 1.1.1992 abgeschafft worden, aber wegen der Übergangszeit fallen alle, die momentan in Rente gehen, noch unter die alte Berechnung. Wenn Sie 35 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben und Sie kommen nicht auf einen Durchschnitt von 0,75 Entgeltpunkten, dann wird für jedes einzelne Jahr eine Berechnung durchgeführt, die dazu führt, daß in einem einzelnen Jahr die Punktwerte aufgestockt werden können bis auf 0,75 Beitragspunkte. Haben Sie ein schwaches Jahr, dann wird dieses schwache Jahr aufgewertet. Haben Sie ein richtig gutes Jahr, wird dieses gute Jahr aber nicht abgewertet. Wie gut das wirkt, erkennen Sie daran, daß eigentlich schon heute zehnmal soviel Leute die Grundsicherung im Alter in Anspruch nehmen müßten, wenn es nicht diese lange Übergangszeit mit dem Wegfall der Regelung nach Mindestentgeltpunkten gäbe.

Dieses Konzept der Mindestentgeltpunkte hat einen unschätzbaren Vorteil. Wenn jemand in einer prekären Arbeitskarriere erfreulicherweise mal ein paar Jahre eine bessere Beschäftigung gefunden hat, dann wirkt sich jeder Entgeltpunkt oberhalb von 0,75 Entgeltpunkt rentensteigernd aus. Da mag im Einzelfall nicht viel sein, aber das gibt den Leuten ein erhebliches Gefühl an Gerechtigkeit in diesem System. Ich habe das in zahlreichen Veranstaltungen diskutiert. Es ist den Leuten wichtig, daß es dort Differenzierungen gibt. Und das kann ich auch gut verstehen.

Andere Länder haben die Rentenfinanzierung auf Steuerbasis umgestellt, auch weil sie die Finanzierung über die Beiträge zur Erwerbsarbeit nicht für ausreichend halten. Warum lehnt die Linke die Steuerfinanzierung nach wie vor ab?

Eine Steuerfinanzierung ist sehr viel direkter und sehr viel unmittelbarer dem politischen Zugriff ausgesetzt wie eine Sozialversicherung. Wenn ich etwas einbezahle, muß ich auch was rausbekommen. Das wäre bei einem steuerfinanzierten System nicht so. Wenn nichts in den Kassen ist oder wenn man mal wieder gerade von unten nach oben umverteilt, wäre die Rentenversicherung ein dankbares Feld, in dem man dann rumackern und die eine oder andere Milliarde freimachen könnte. Wo das möglich ist, passiert das ja schon, etwa bei der Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge für ALG-II-Bezieher - ein skandalöser Beschluß.

Was passiert mit denjenigen, die in den letzten Jahren ihr Geld für private Renten wie die Riesterrente angelegt haben?

Da gilt in Deutschland Bestandsschutz. Bestehende Verträge müssen zu den Konditionen weiter gefördert werden, die zu dem Zeitpunkt galten. Aber viele Betroffene sollten sich genau überlegen, ob sie diese Verträge wirklich weiterführen wollen, denn für viele wird sich die Riesterrente als nicht annähernd so lukrativ erweisen, wie von interessierter Seite immer gerne behauptet wird.

Interview: Jan Eisner

junge Welt, 8. Juli 2008