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»Wir brauchen eine zeitgemäße Frauenpolitik«

Im Wortlaut von Yvonne Ploetz,

Yvonne Ploetz, saarländische Bundestagsabgeordnete für DIE LINKE, über den Monopolanspruch von Alice Schwarzer, weibliche Vorbilder und das Feminismusbild der Bundesfrauenministerin

Frauen sind nach wie vor in der Politik unterrepräsentiert. Was schreckt Ihrer Meinung nach viele junge Frauen an der Politik?

Yvonne Ploetz: Die Politik ist nach wie vor ein Männerbetrieb – trotz gewisser Fortschritte in den letzten Jahren und trotz der Tatsache, dass es inzwischen auch einflussreiche Frauen in der Politik gibt. Sprache und Umgangsformen sind nach wie vor typisch männlich und schrecken viele Frauen ab. Es ist ein Teufelskreis: Fühlen sich viele Frauen in der Politik unterrepräsentiert, treten sie auch nicht in dem Umfang, der nötig wäre, in Parteien, Verbände und Gewerkschaften ein, um sich Gehör zu verschaffen. Das schwächt wiederum den Anreiz, sich einzubringen etc.

Nur ein Beispiel: Anfang Dezember fand im Bundestag die Debatte zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten statt. Der Redner der FDP, Marco Buschmann, kommentierte in Machomanier die Aufforderung von der Abgeordneten Cornelia Möhring, sich doch einmal Norwegen aus nächster Nähe anzusehen, um ein Land mit Frauenquote kennenzulernen, mit: „Ich mache keine Lustreisen!“. Da erübrigt sich eine weitere Kommentierung.

Was eint Sie mit anderen jungen Frauen im Bundestag?

Was mich in erster Linie mit anderen Politikern und Politikerinnen eint sind – neben persönlicher Sympathie – inhaltliche Positionen. Frau zu sein reicht da nicht aus. Ich bin eine explizit linksdenkende und -handelnde Frau. Es gibt hier im Bundestag auch viele Frauen, die gerade auch bei frauenpolitischen Themen eher rückschrittlich gesinnt sind. Da sehe ich keine großen Überschneidungen. Andererseits gibt es aber beispielsweise in allen Parteien Befürworterinnen der Frauenquote in Unternehmen. Ich freue mich über die parteiübergreifende Skandalisierung, dass Frauen in Führungspositionen Seltenheitswert haben.

Unterscheidet sich DIE LINKE frauenpolitisch von anderen Parteien?

DIE LINKE ist frauenpolitisch in vielem deutlich weiter als die anderen Parteien. Wir haben mehr weibliche Abgeordnete als die anderen und Geschlechterpolitik ist ein integraler Bestandteil des politischen Selbstverständnisses der LINKEN. Frauen in der LINKE haben viele Themen im Blick, die Frauen aus anderen politischen Lagern gewöhnlich übersehen. Thematisiert werden muss gerade auch, dass es in der BRD eine starke Tendenz zu einer Verweiblichung von Armut gibt. Befristete, unsichere und schlecht bezahlte Arbeiten werden überdurchschnittlich von Frauen erledigt. Die Aufwertung sogenannter Bürgerarbeit zulasten des öffentlichen Sektors trifft ebenfalls Frauen. DIE LINKE muss sich diesem Thema mehr und mehr widmen – und wird das auch. Ich will aber auch ganz deutlich machen, dass Frauenpolitik mehr wollen muss als Gleichstellung im Beruf. Der alte Feminismus wollte Emanzipation, das heißt eine Überwindung von Herrschaft über eine Umwandlung der Geschlechterverhältnisse. Dies ist auch heute nach wie vor aktuell. Mein Fazit zum 100. Weltfrauentag ist: Die Frau muss sich zu Ende befreien- und zwar global.

Was halten Sie von der Kritik der Frauenministerin am Feminismus?

Nicht viel. Frau Schröder trifft sich in einem spannenden Punkt mit ihrer Kontrahentin Alice Schwarzer: Beide haben ein Feminismusbild, das in den 1970er Jahren verhaftet  ist. Wir brauchen aber eine zeitgemäße Frauenpolitik, die zwar auf alten Kämpfen aufbaut aber sich auch neu definiert. Frau Schröders Polemik hilft da wenig. Sie spielt zum einen die frauenpolitischen Missstände in Deutschland runter, zum anderen neigt sie dazu, strukturelle, gesellschaftliche Probleme zu privatisieren. Ganz nach dem Motto: Wenn sich jede einzelne Frau genug anstrengt, wenn sie Familie und Beruf nur geschickt genug organisiert, kommt sie auch fort. Wir haben aber eindeutig einen gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf: die Überwindung von Rollenbildern und dem männlichen Ernährermodell, der Ausbau von Krippenplätzen und Ganztagsschulen usw. Niedriglöhne sind ein Problem, das insbesondere viele sogenannte Frauenberufe trifft. Wir brauchen gerade auch deshalb Mindestlöhne. Geringere Bezahlung bei gleicher Arbeit ist ein Thema, das politisch gelöst werden muss. Da reichen individuelle Strategien im Berufsleben nicht aus.

Fühlen Sie sich als Frau von Alice Schwarzer gut vertreten? Sie gilt nach wie vor als das eigentliche Aushängeschild des Feminismus in Deutschland und neigt dazu, immer wieder eine Art Monopolanspruch bezüglich frauenpolitischer Fragen für sich zu formulieren.

Nein. Insbesondere ihre Äußerungen zur Stellung von Frauen in sogenannten anderen Kulturkreisen finde ich zu tiefst problematisch, die sie seit einiger Zeit in Artikeln, Büchern und auf Veranstaltungen immer wieder vorbringt. Sie spricht diese Frauen nicht als selbstbewusst Handelnde an, die für ihre eigenen Interessen streiten können und dies auch tun. Sie fällt damit hinter die feministische Grundeinsicht, dass sich Frauen für ihre Bedürfnisse selbst einsetzen und keinen äußeren Zuspruch brauchen.
Der autoritäre Monopolanspruch, den Frau Schwarzer bezüglich frauenpolitischer Fragestellungen in Deutschland mehr oder weniger deutlich für sich in Anspruch nimmt, sollte zudem endlich ad acta gelegt werden. Sie ist nur eine von vielen – ungeachtet ihrer Verdienste in der Vergangenheit.

Ist Merkel ein Vorbild für Frauen?

Ich kann natürlich nicht für alle Frauen sprechen. Für mich ist sie jedenfalls kein Vorbild, denn sie steht für eine falsche Politik der sozialen Ungerechtigkeit und einer Außenpolitik, die auf militärische Mittel setzt. Wenn es um weibliche Vorbilder geht halte ich es da lieber ganz traditionell. Simone Beauvoir und Judith Butler sind zum Beispiel Frauen, von denen es nach wie vor viel zu lernen gibt. Von Beauvoir stammt der Satz: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“. Sie sagt damit, dass die Benachteiligung von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft gesellschaftlich bedingt ist und überwunden werden kann, wenn sich Frauen durch ihr Handeln als freie und selbstbewusste Subjekte neu entwerfen. Zu Recht war sie eine Pionierin und wegbereitend für die meisten späteren frauenpolitischen Diskussionen.

linksfraktion.de, 18. Januar 2011