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»Wir brauchen ein starkes 100-Tage-Programm«

Interview der Woche von Diana Golze,

Diana Golze, in der vergangenen Wahlperiode Leiterin des Arbeitskreises Arbeit und Soziales, spricht im Interview über Herausforderungen, Anknüpfungspunkte und gemeinsame Perspektiven.

 

 

Diana Golze, nach der Wahl ist vor der Wahl. Gregor Gysi hat bereits ein 100-Tage-Oppositionsprogramm angekündigt. Sie haben bisher den Arbeitskreis Arbeit und Soziales Ihrer Fraktion geleitet, in dessen Zuständigkeit zahlreiche Themen und Forderungen aus dem Wahlkampf fallen. Welche sozialpolitischen Schwerpunkte sollten in diesem 100 Tage- Programm zu finden sein?

Es gibt sicher viele Punkte, die schon wegen der von Gregor Gysi im Wahlkampf beschriebenen "Konsenssoße" in diesem Programm stehen sollten. DIE LINKE hat hier deutlich gemacht: Wir fordern einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn, den unverzüglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, die schrittweise Angleichung der Löhne und Gehälter sowie die Abschaffung des Betreuungsgeldes. Ich gehe davon aus, dass sich u.a. diese Punkte in diesem 100-Tage-Programm wieder finden werden. Dazu muss sich aber die gesamte Fraktion verständigen. Das kann nicht ein einzelner Arbeitskreis entscheiden.

Während die anderen Fraktionen noch mit Koalitionspoker beschäftigt sind, kam von der LINKEN bereits der Vorschlag an SPD und Grüne, die Mehrheit im Bundestag zu nutzen, um endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Millionen Menschen warten seit Jahren darauf. Wie realistisch ist es, dass ein solches Gesetz jetzt zustande kommt?

Wir haben eine rechnerische Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Diese sollten wir nutzen. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der sich zudem in der Höhe stark auf die SPD zubewegt. Denn obwohl DIE LINKE einen höheren Mindestlohn fordert, wollen wir jede Chance auf einen ersten Schritt in eine solche Richtung wahrnehmen. Der Ball liegt jetzt bei der SPD und damit auch das Maß an Realisierbarkeit.

Merkel und ihre Regierung hat sich in den vergangenen Monaten vor der Wahl sehr bedeckt gehalten, wenn es darum ging, welche Belastungen auf die Bürgerinnen und Bürger in der nächsten Zeit zukommen. Was erwarten Sie?

Nun ja, kurz nach der Wahl ist ja ein älterer Vorschlag aus dem Finanzministerium wieder aufgetaucht. Dieser markiert die zu befürchtenden Einschnitte, die auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen könnten. Eine Abschaffung der reduzierten Mehrwertsteuer etwa hätte Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise und ein Gesundheits- Soli, wie er schon mehrfach diskutiert wurde, würde die Finanzierung der Gesundheitssysteme ein weiteres Mal zu Lasten aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verschieben. Die zu bohrenden Bretter werden sicher nicht dünner. Auch darum brauchen wir ein starkes 100-Tage-Programm.

In den letzten Jahren hat ein Thema die Kinder- und Jugendpolitik besonders beschäftigt: der Ausbau der Kinderbetreuung. Es war ein großes, von allen gefordertes und schließlich wenig zufriedenstellendes Projekt der Bundesregierung. Die verantwortliche Ministerin Schröder tritt nun nicht mehr an. Wie sieht ihre Rückschau auf ihre Amtszeit aus und was wünschten Sie sich von ihrer Nachfolgerin oder von einem möglichen Nachfolger?

Ich würde mir vor allem wünschen, dass die Kinder- und Jugendpolitik wieder in ihrer ganzen Bandbreite stattfindet und über mehr als nur Kitas debattiert wird. Ich würde mir wünschen, dass Angebote geschaffen und auch (mit-)finanziert werden, die die Vielfalt des Kinder- und Jugendhilfegesetzes abbilden und Förderung, Unterstützung und Hilfe für Kinder und Jugendliche bieten. Genau das hat Kristina Schröder nicht getan. Viele dieser Bereiche wurden in den letzten Jahren weiter geschwächt. Und selbst ihr Prestigeobjekt Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung konnte chaotischer kaum starten. Dass Kristina Schröder ihren Stuhl frei macht, war überfällig.

Leiharbeit, Rentenkürzungen, Hartz IV, Sanktionen - die Liste sozial- und arbeitsmarktpolitischer Themen, die auf der Agenda der LINKEN stehen, ist lang. Was wollen Sie zuerst angehen?

Das festzulegen wird Aufgabe der Fraktionsklausur sein. Die Liste dringend notwendiger Maßnahmen ist aus meiner Sicht sogar noch viel länger, denn gesundheits- und familienpolitische Themen bieten auch noch ein Füllhorn an brennenden Fragen.

Was glauben Sie: Wie lange wird es sich die SPD noch leisten können, DIE LINKE parlamentarisch zu ignorieren? Viele Positionen, gerade im Wahlprogramm, sind doch gar nicht so weit von denen der LINKEN entfernt, oder?

Es gibt sicher in vielen Punkten Schnittmengen – ähnlich wie beim Mindestlohn. Die grundlegende Ablehnung des Betreuungsgeldes etwa oder die Notwendigkeit eines stärkeren Ausbaus der Kindertagesbetreuung. In vielen drängenden Fragen aber klebt die SPD-Führung auf Bundesebene im sozialen Bereich zu sehr an ihrer Agenda 2010 - Politik. Der Unmut innerhalb der SPD über eine mögliche Große Koalition zeigt aus meiner Sicht aber, dass der SPD-Spitze fadenscheinige Argumente nicht mehr lange helfen. Wie lange, das muss innerhalb der SPD geklärt werden.

linksfraktion.de, 1. Oktober 2013