Von Niema Movassat
Wenn Innenminister Friedrich angesichts der Hunderten ertrunkenen Flüchtlinge jetzt vor allem davon spricht, man müsse Migrationsursachen bekämpfen, spricht er zwar eine Binsenweisheit aus. Dennoch sollte er dazu besser schweigen.
Mangelnde persönliche Lebensperspektiven aufgrund von Armut und Hunger, miserable Gesundheitsversorgung und bewaffnete Konflikte sind die Hauptgründe für eine Flucht. Eine Verbesserung der Lebensumstände der Menschen vor Ort ist zwar der einzig praktikable Weg, langfristig die Armutsmigration zu verringern. Nur haben alle Bundesregierungen der letzten Jahre genau dies häufig verhindert. Nur eine konsequente Umverteilung von oben nach unten – Stichwort globale soziale Gerechtigkeit – und eine friedliche Außenpolitik können die Armutsmigration nach Europa langfristig stoppen. Eine solidarische Entwicklungspolitik ist dafür unerlässlich.
Denn noch immer leiden mit rund 842 Millionen Menschen zwölf Prozent der Weltbevölkerung unter ständigem Hunger. Auch wenn die Gesamtzahlen leicht rückläufig sind, kommt der Kampf gegen den Hunger insbesondere in Subsahara-Afrika kaum voran. Jede(r) fünfte AfrikanerIn ist unterernährt. Deutschland und die EU drängen afrikanische Staaten aber weiterhin zum Abschluss von Freihandelsabkommen, die den wirtschaftlichen Vorteil der Industriestaaten zementieren. Die EU-Agrarsubventionen verhindern weiter das Entstehen lokaler Märkte in Afrika.
Nahrungsmittelspekulation vergrößert den Reichtum der Aktionäre im Norden, bedeutet aber für Millionen von armen Menschen existenzielle Not. Internationale Großkonzerne eignen sich riesige Agrarflächen in schwachen afrikanischen Staaten an und produzieren für den lukrativen Export, statt für die lokale Bevölkerung. Ähnlich katastrophal sieht es mit der Gesundheitsversorgung aus. Die Hälfte aller AfrikanerInnen hat keinen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten. Die wirtschaftlichen Interessen der Pharmariesen wiegen in Berlin und Brüssel mehr als das Menschenrecht auf Gesundheit. Die Politik der Mächtigen geht gegen diese Missstände nicht vor, sondern fördert sie oft sogar noch.
Hinzu kommt die kriegerische Außenpolitik der EU. Der Libyeneinsatz etwa hat die Sicherheitslage in ganz Westafrika verschlechtert und einen Krieg in Mali verursacht. Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Besonders Kleinwaffen, durch die weltweit die meisten Toten in bewaffneten Konflikten zu beklagen sind, sind ein deutscher Exportschlager. Die CDU aber hat kurz vor der Wahl sogar noch „mehr Mut bei Rüstungsexporten“ in der nächsten Wahlperiode gefordert.
Alle vergangenen Bundesregierungen haben die genannten Ursachen nicht wirksam bekämpft, sie teilweise sogar verstärkt. Der europäische Kolonialismus in der Vergangenheit und die heutige neokoloniale Politik gegenüber Afrika sind ein wesentlicher Faktor, weshalb so viele Menschen aus unserem Nachbarkontinent nach Europa flüchten.
Aber auch ein radikales Umsteuern hin zu einer tatsächlichen Ursachenbekämpfung kann die Probleme der hier und heute stattfindenden Migrationsbewegungen natürlich nicht lösen. Wer Menschenleben retten möchte, muss jetzt und hier die Migrations- und Asylpolitik in Deutschland und der EU liberalisieren und Menschen in Not Asyl gewähren. Gepaart mit einer friedlichen Außen- und solidarischen Entwicklungspolitik wären das die Mittel, dem Massensterben an den EU-Außengrenzen endlich Einhalt zu gebieten.
linksfraktion.de, 9. Oktober 2013