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Wer COVID-19 weltweit besiegen will, muss Patente aufheben

Im Wortlaut von Eva-Maria Schreiber,

Von Eva-Maria Schreiber


Im Januar 2021 dreht sich in der öffentlichen Debatte hierzulande alles darum, wie in Deutschland eine schnelle Produktion und Verteilung der neuen Impfstoffe gegen COVID-19 gelingen kann, um der Pandemie rasch ein Ende zu bereiten. Dabei gerät mehr und mehr die internationale Perspektive aus dem Blick. Vergangene Woche monierte der Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Europa, Hans Kluge, dass im Rennen um den Zugang zu Corona-Impfstoffen bislang 95 Prozent aller Impfungen in nur zehn Ländern verabreicht wurden. Europa müsse mehr Solidarität zeigen. Schon Ende des Jahres 2020 machten sich Warnungen vor einem "Impfstoffnationalismus" breit. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte davor, die ärmsten Länder bei der Verteilung von Impfstoffen zu übergehen. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, bei dem Impfstoff handele es sich um ein "globales öffentliches Gut". Was folgert die Bundesregierung daraus?

Freiwillige Spenden statt internationaler Solidarität

Die Bundesregierung unterstützt eine Plattform (ACT-A) zur Produktion, Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen. Teil von ACT-A ist die COVAX-Fazilität, die eine gerechte und globale Verteilung von Corona-Impfstoffen organisieren soll. Sowohl die EU als auch die Bundesregierung beteiligen sich mit 500 beziehungsweise 100 Millionen Euro an einem COVAX- Mechanismus (AMC), der die 92 ärmsten Länder auf freiwilliger Basis mit Impfstoffen versorgen soll. Dieser Verteilungsmechanismus ist aber wirkungslos, weil nicht genug zum Verteilen da ist. Berechnungen zeigen, dass Menschen in ärmeren Ländern teilweise bis 2024 auf ausreichend Impfstoffe warten müssen. Die COVAX-Fazilität hilft nicht dabei, diese Lücke zu schließen. Vielversprechende Initiativen hingegen kommen aus den Entwicklungs- und Schwellenländern.

Patente blockieren den Zugang der Ärmeren zu Impfstoffen

Erstens, die WHO hat schon früh nach dem Ausbruch der Pandemie den Technologie-Transfer vorangetrieben und zusammen mit 100 Ländern eine Initiative von Costa Rica unterstützt, den Covid-Technology Access Pool (C-TAP). Dieser Pool würde das Wissen über COVID-19-Impfstoffe weltweit zugänglich machen, indem Patente aufgehoben werden. Denn Patente sichern hohe Profite für die Pharmaindustrie, sie führen zu hohen, intransparenten Preisen und sind nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtet. Diese Initiative hat leider keine Unterstützung der Industrieländer, darunter Deutschland, erhalten.

Wohlgemerkt, die Pharmaunternehmen, die wie BionTech mit Corona-Impfstoffen einen rasanten wirtschaftlichen Erfolg verbuchen und berieits an die Börse sind oder dahin streben, haben mehrere Milliarden Euro an Steuergeldern eingestrichen. Mitte Dezember warb denn auch der Curevac-Chef, Franz-Werner Haas dafür, die Patente der COVID-19 Impfstoffe auszusetzen und folgte damit der Empfehlung der WTO. Jüngst hat der amerikanische Immunologe und Regierungsberater Anthony erklärt, dass er seiner Regierung zu diesem Schritt raten würde.

Zeitlich befristete Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten

Zweitens, Indien und Südafrika haben bei der Welthandelsorganisation (WTO) einen Antrag auf zeitlich befristete Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten auf COVID-Technologien gestellt (sog. TRIPS Waiver), damit die Produktionskapazitäten schnell ausgebaut und zu Preisen, die alle bezahlen können, verteilt werden können. Die WHO und über 100 Länder unterstützen diesen Vorstoß bereits. Die Bundesregierung und alle anderen Industrieländer lehnen den Antrag allerdings ab. Sie beruft sich auf die Argumente der Pharmaindustrie, nur mit Hilfe des Originalherstellers könne ein anderes Unternehmen zügig in den Stand versetzt werden, an der Produktion mitzuwirken. Deshalb seien Kooperationen der schlüssige Weg zur zügigen Ausweitung der Produktionsmengen. Gesundheitsexperten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verweisen dagegen auf die Erfahrungen mit der HIV/AIDS-Pandemie: Erst mit der Produktion von für alle bezahlbaren Generika konnte der Kampf gegen das Virus auf die ärmeren Länder Afrikas und Asiens ausgeweitet werden.

»Impfstoffnationalismus« verhindern

Wenn die Bundesregierung ihre Mahnung vor "Impfstoffnationalismus" ernst meint, führt an einer zumindest zeitlich befristeten Aufhebung von geistigen Eigentumsrechten kein Weg vorbei. DIE LINKE wirbt in ihrem Antrag "Patente für Impfstoffe freigeben" für die Unterstützung der Initiative von Südafrika und Indien. Wir setzen uns für das Ausschöpfen aller gesetzlichen Möglichkeiten ein, die Patentinhaber und Hersteller zur Vergabe von Lizenzen und zum Transfer des technologischen Wissens veranlassen. Corona kann ein Weckruf sein, damit COVID-19-Impfstoffe und andere unentbehrliche Medikamente als öffentliche Güter allen Menschen weltweit zugutekommen und das Menschenrecht auf Gesundheit vor den Profiten von "Big Pharma" geht.