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Wenn ein wichtiges Schreiben drei Jahre lang liegen bleibt…

Im Wortlaut von Richard Pitterle,

 

                                                                                                      Foto: DBT / Achim Melde

Von Richard Pitterle, steuerpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


In der jüngsten Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss zu den Cum/Ex-Geschäften wurden vor allem Fragen zum Handeln der Finanzverwaltung aufgeworfen: Wieso wurde das Schreiben des Bankenverbandes von 2002, in dem dieser das Bundesfinanzministerium auf mögliche Cum/Ex-Geschäfte hinweist, erst 2005 zur Prüfung an die Länder weitergeleitet? Wieso wurde der damit zusammen versandte Regelungsvorschlag des Bankenverbandes zu den Cum/Ex-Geschäften vom Bundesfinanzministerium nahezu kritiklos übernommen? Wieso ließ sich das Ministerium nachdem es 2009 Hinweise auf Cum/Ex-Geschäfte in großem Stil aus Insiderkreisen erhalten hatte noch einmal bis 2012 Zeit um die Geschäfte endgültig zu unterbinden? Hatten die Verantwortlichen den Ernst der Lage nicht erkannt oder wollte man den Finanzplatz Deutschland nicht gefährden? Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte bei raschem Handeln der Schaden für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Höhe von geschätzt zwölf Milliarden verhindert werden können.

Finanzverwaltung auf einem Auge blind

Zuerst wurde Thomas Kehm befragt, der selbst seit zwei Jahrzehnten in der Finanzverwaltung tätig ist. Er war im Jahr 2005 Mitverfasser eines Schreibens des Bundesamtes für Finanzen an das Bundesfinanzministerium, in welchem die vom Bankenverband vorgeschlagene Regelung zur Unterbindung der Cum/Ex-Geschäfte für uneingeschränkt dazu geeignet angesehen wurde. Tatsache war jedoch, dass diese vom Bankenverband vorgeschlagene Regelung die Cum/Ex-Geschäfte nur über Inlandsbanken verhinderte – über Finanzinstitute im Ausland waren sie weiterhin möglich, darauf wurde seitens des Bankenverbandes auch hingewiesen. Damit konfrontiert antwortete Kehm, man habe eben nur das Inland im Blick gehabt, für die Auslandsvariante habe kein Problembewusstsein bestanden. Auf die Frage, warum das Bundesfinanzministerium das Bundesamt für Finanzen erst 2005 aufgefordert hatte, Stellung zu dem Schreiben des Bankenverbandes von 2002 mit dem anschließenden Regelungsvorschlag zu nehmen, wusste er keine Antwort, sondern sagte lediglich, eine solche Arbeitsweise sei wohl "nicht normal".

Bundesfinanzministerium schenkte Warnungen offenbar kein Gehör

Als nächste Zeugin folgte Ilona Knebel, die ebenfalls im Jahre 2005 für das Finanzministerium Nordrhein-Westfalens Stellung zu dem Regelungsvorschlag des Bankenverbandes bezog. Sie hatte den Vorschlag damals abgelehnt, weil diesem bereits die zivilrechtliche Grundlage fehle. Sie hatte auch klar die Schwachstelle erkannt, die die Cum/Ex-Geschäfte ausnützten, nämlich die mehrfache Ausstellung einer Steuerbescheinigung für eine tatsächlich nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer. Sie empfahl dem Bundesfinanzministerium den Bankenverband um Stellungnahme hierzu zu bitten und Bankenprüfer mit der Thematik zu befassen. Damit fand sie aber unerklärlicherweise bei den Verantwortlichen kein Gehör.

Zuletzt wurden dann Wolfgang Skorpel und Sabine Weber vom Bankenverband befragt. Skorpel versuchte die Untätigkeit zwischen 2002 und 2005 mit den diversen dann anliegenden Steuergesetzprojekten zu erklären. Zu der konkreten Problematik der Cum/Ex-Geschäfte war ihm – wie schon den anderen Vertretern des Bankenverbandes vor ihm – nicht allzu viel zu entlocken. Man habe das Ausmaß unterschätzt und darüber hinaus sei es Sache der Finanzverwaltung gewesen, die Geschäfte, wenn sie denn als illegal eingestuft worden wären, zu unterbinden.

Sabine Weber berichtete sodann, dass die Vertreter des Bundes und der Länder, denen sie Ende 2003 bei einer Zusammenkunft zum Thema das System der Cum/Ex-Geschäfte erläuterte, den Eindruck machten, dass die Thematik für sie neu sei. Das ist insofern verwunderlich, als dass das Prinzip nach dem Cum/Ex-Geschäfte funktionieren wahrscheinlich schon seit den 70er Jahren bekannt ist. In jedem Fall gab es in den 90er Jahren Publikationen in der Fachpresse zum Thema. Mit der scheint sich die Finanzverwaltung jedoch nicht befasst zu haben.


linksfraktion.de, 14. Juni 2016