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Wenn die Waffen ruhen, ist der Rest Routine

Im Wortlaut,

Deutschland könnte wichtige Beiträge bei der Vernichtung der chemischen Kampfstoffe aus Syrien leisten

Von René Heilig

Aber ..., wer weiß ..., geht nicht ... Mehr oder weniger fachlich versierte Bedenkenträger erklären auch nach der Einigung zwischen Russland und den USA über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen, warum das Projekt nicht funktionieren könne. Dabei kann sogar Deutschland einiges zum Gelingen beitragen.

In der Tat sind die politischen und militärischen Umfeldbedingungen des seit Jahren erbittert geführten und territorial fließenden Bürgerkrieges nicht gerade dazu angetan, eine sichere Erfassung und Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zu garantieren. Doch eine Alternative gibt es nicht.

Hilfreich für die fragile Operation wäre ein Waffenstillstand. Dazu gehört auch, dass der militärische Nachschub für beide mordenden Seiten gestoppt werden muss. Nicht nur Russland hat das in der Hand, auch die USA sind gefordert, denn Washington hat vor gut zwei Wochen begonnen, die Rebellen der Freien Syrischen Armee auch mit Waffen, Fahrzeugen und Kommunikationsmitteln auszustatten. Man versucht damit, die genehmen bewaffneten Oppositionellen auch gegen die zunehmende Macht der islamistischen Kämpfer hochzurüsten.

Doch beide Oppositionslager sehen ihre Felle davon schwimmen. Sie lehnen – so der Befehlshaber der Freien Syrischen Armee, Selim Idriss – »die russische Initiative kategorisch ab«. Möglicherweise kann Deutschland auch in dieser Frage flankierend gute diplomatische Dienste leisten. Denn Selim Idriss ist hierzulande kein Unbekannter. Nicht, weil er der deutschen Sprache mächtig ist, weil er vor Urzeiten mal in Dresden studierte. Die Kontakte reichen bis in die Ist-Zeit. US-Außenminister Kerry hat ausgeplaudert, dass der abtrünnige General jüngst hierzulande Gespräche geführt hat.

Deutschland war bei der Vernichtung von C-Waffen bereits mehrfach hilfreich. Zuletzt 2011 in Libyen, als es darum ging, undeklarierte Bestände zu verifizieren.

So die Inspektoren halbwegs sichere Arbeitsbedingungen vorfinden, ist die fachliche Entsorgungsarbeit Routinearbeit. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag wird Experten ausschicken, die eine komplette Inventur der von Syrien gemeldeten Lager vornehmen. Sie werden die Waffen zählen, Fässer wiegen, alle Fundstücke kennzeichnen, damit jederzeit die Kontrolle erhalten bleibt.

Innerhalb der kommenden Woche sollen die OPCW-Experten mehr wissen über Art und Anzahl der syrischen C-Waffenbestände: Sarin, Soman, Tabun, VX – was noch? Noch herrscht Rätselraten. Wichtig wäre zu wissen, wie viel Kampfstoff bereits in Munition gefüllt ist. Vorprodukte sind leichter zu entsorgen. Aber auch in normalen chemischen Fabriken unauffällig herzustellen – als Produkte für den zivilen Bedarf.

Oft sind C-Waffen binärer Natur. Das heißt, in den Sprengkörpern befinden sich zwei Stoffe samt einem Reaktionsbeschleuniger. Die C-Bombe oder Granate wird so erst bei Abschuss »scharf«. Je nach Zustand und Befüllung muss man beim Transport und beim Entschärfen verschiedene Methoden anwenden.

Die syrischen Waffen sollen möglichst rasch abtransportiert werden. Es dümpeln genügend Landungsschiffe vor der syrischen Küste herum: russische, US-amerikanische, chinesische. In die USA wird man das Teufelszeug kaum bringen, denn da gibt es eine Reihe von rechtlichen Problemen, die den »Import« ausländischer C-Waffen verhindern. Bleibt Russland. Dort gibt es entsprechende, noch immer aktive Vernichtungsanlagen. Dann käme – zumindest indirekt – abermals Deutschland ins »Spiel«: anlagentechnisch. Beispielsweise hat sich die Firma Eisenmann aus Böblingen auf die Vernichtung von chemischen Kampfstoffen spezialisiert und in Russland mehrere Vernichtungsstandorte in Betrieb. Das Unternehmen ist Weltmarktführer bei der Chemiewaffenvernichtung.

Turaktor heißt ein von Eisenmann entwickelter Spezialofen, in dessen Brennkammer derzeit russisches Sarin, Senfgas oder Lewisite verbrannt werden. Zuvor werden die Munitionskörper in einem anderen Bereich geöffnet und ausgesaugt. Man mischt die Kampfstoffe mit Entgiftungsstoffen, es kommt zu einer chemischen Umsetzung. Die so entstehende Reaktionsmasse ist nicht mehr waffenfähig – aber weiter extrem giftig. Sie wird abgepumpt und gelangt durch Verbindungsrohre in die Spezialöfen.

Damit die dabei entstehenden Rauchgase die Umwelt nicht belasten, sind verschiedene Wasch-, Filter- und Katalysatorstufen nachgeschaltet in denen die Gase abgekühlt und gereinigt werden. Durch die jahrelange Arbeit vor allem in Russland verfügt man über reiche Erfahrungen.

Auf dem G8-Gipfel 2002 wurde die Entsorgung der russischen Chemiewaffen vereinbart. Die Anlagen werden im Rahmen des bilateralen Abrüstungsabkommens zwischen Deutschland und Russland von der deutschen Bundesregierung finanziert. Nun könnten sie ein wenig dazu beitragen, dass auch die Lage in Syrien entschärft wird.

neues deutschland, 16. September 2013