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Wendig, aber wenig sportlich – der SPD-Kurswechsel in der Gesundheitspolitik

Kolumne von Harald Weinberg,

 

Von Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Wenn ein Auto besonders wendig ist, dann ist das ein Verkaufsargument. Die SPD geht offenbar davon aus, dass Wendigkeit nicht nur bei Autos, sondern auch in der Politik gefragt ist. Denn keine andere Partei hat in der Gesundheitspolitik ihren Kurs, den sie im Bundestagswahlkampf verfolgte, nach der Wahl so stark verändert wie die Spezialdemokraten.

Angetreten war die SPD mit dem Versprechen, eine Bürgerversicherung einzuführen, die drei große Ziele verfolgte, wie man auf Seite 73 ihres Wahlprogramms nachlesen kann: Erstens sollte die private Krankenversicherung gestutzt bis abgeschafft werden. Als zusätzliche Maßnahme sollten private und gesetzliche Arzthonorare angeglichen werden, um die Zwei-Klassen-Medizin zu bekämpfen. Zweitens wollte die SPD mehr Steuerfinanzierung. Und drittens sollten die Zusatzbeiträge abgeschafft werden, damit Arbeitgeber wieder den gleichen Beitrag leisten wie Arbeitnehmer.

Nun hat sich die SPD in der Zwischenzeit entschieden, eine Koalition mit CDU und CSU einzugehen. Und jüngst wurde die die Finanzierungsreform der gesetzlichen Krankenversicherung durch diese Koalition beschlossen. Schauen wir doch mal, was aus den Wahlversprechen wurde.

Erstens: Die private Krankenversicherung wird es weiter geben. Es wird keine Angleichung der Honorare geben, im Gegenteil: Die Ärzteschaft verhandelt gerade mit den Privatversicherungen um noch bessere Privathonorare. Die Folge dürfte eher mehr als weniger Zwei-Klassen-Medizin sein. Dazu kommt noch, dass es durch die Reform der Zusatzbeiträge für gutverdienende Angestellte und Selbständige, die bisher noch in der gesetzlichen Versicherung sind, attraktiver wird, in die private Krankenversicherung zu wechseln. Die Privatversicherung wird also nicht gestutzt, sondern gestärkt.

Zweitens: Mehr Steuerfinanzierung wird es nicht geben, auch hier stimmt das Gegenteil. Der Bundeszuschuss zur Abgeltung versicherungsfremder Leistungen wird gekappt, statt der zugesicherten 14 Milliarden Euro jährlich werden 2014 nur 10,5 Milliarden und 2015 nur 11,5 Milliarden fließen. Weitere Kürzungen für die Folgejahre sind nicht ausgeschlossen, auch wenn derzeit für 2017 wieder 14,5 Milliarden versprochen werden. Außerdem wurde der Sozialausgleich abgeschafft, den der damalige FDP-(!)-Gesundheitsminister eingeführt hatte. Über diesen Sozialausgleich wären in den nächsten Jahren weitere Milliarden aus dem Bundeshaushalt in die Gesundheitsversorgung geflossen. Auch dies hat die SPD zusammen mit der Union nun vollzogen.

Drittens: Auch bei dem Thema Zusatzbeiträge ist die SPD wendig. Sie werden nicht abgeschafft, sondern erhöht. Denn mit dem Wegfall des eben erwähnten Sozialausgleichs entfällt jegliche Begrenzung der Zusatzbeiträge, die bislang bei 2 Prozent des Einkommens gedeckelt waren. Der Beitrag der Arbeitgeber wird eingefroren, bei ihnen knallen die Sektkorken. Diese Koalition gibt sich bei der Verteilung der Lasten auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer in bester Agenda-2010-Manier mal wieder als Genosse der Bosse. Bis 2020 werden die Versicherten so 150 Milliarden Euro mehr zahlen müssen als ihre Arbeitgeber, das sind immerhin 3000 Euro pro Beitragszahlendem. Da hilft es auch nicht, wenn die SPD nun darauf verweist, dass Zusatzbeiträge nun nach dem Einkommen und nicht kopfpauschal erhoben werden. Denn wenn auch die geringen Einkommen in Zukunft höhere Zusatzbeiträge zahlen müssen als nach altem Recht, dann ist es ihnen ziemlich egal, dass höhere Einkommen nun auch mehr zahlen müssen. Fakt ist, dass insbesondere die Arbeitgeber entlastet werden – ein bisschen Gutes im Schlechten macht unterm Strich noch lange keine gerechte Finanzierung.

Klar ist ja, dass man in einer Koalition Kompromisse eingehen muss. Aber in der Gesundheitspolitik ist es der SPD gelungen, etwas zu vereinbaren, was noch ungerechter ist als das, was zuvor die FDP mit der Union verhandelt hatte.

Zum Schluss bleibt die Frage, ob Wendigkeit in der Politik eine gute Eigenschaft ist oder ob ein Mindestmaß an Spurtreue nicht auch zur Serienausstattung einer politischen Kraft gehören sollte.