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Was ist für Sie eigentlich Eigentum?

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Ob Erbschaftsteuer oder die Rolle von Familienunternehmen: Linken-Chef Oskar Lafontaine kam im Streitgespräch der »Welt am Sonntag« mit CSU-Politiker Peter Gauweiler und Mittelstandsvertreter Brun-Hagen Hennerkes nicht einmal auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Für Oskar Lafontaine beruht die deutsche Wirtschaftordnung auf Enteignung der Arbeitnehmer. Die Erbschaftsteuer will er dafür nutzen, ihnen mehr Kapital und Einfluss an Familienunternehmen zu geben. Brun-Hagen Hennerkes, Cheflobbyist der Familienunternehmen, lehnt den Vorschlag des Linken-Chefs rigoros ab. Und CSU-Politiker Peter Gauweiler sieht mit Lafontaines Definition von Eigentum sogar die Verfassung in Frage gestellt.

Herr Lafontaine, welche Bedeutung haben für Sie die Familienunternehmen?

Oskar Lafontaine: Ich verstehe unter Familienunternehmen kleine Betriebe, in denen Familienmitglieder arbeiten. Diesen Unternehmen will Die Linke mit Steuersenkungen und günstigen Abschreibungsmöglichkeiten helfen. Erstaunlicherweise werden auch Unternehmen wie die Metro mit 281 000 und Schaeffler mit 66 000 Beschäftigten als Familienunternehmen bezeichnet.

Und was ist denn der Automobilzulieferer Schaeffler für Sie?

Lafontaine: Ein Großbetrieb, bei dem 66 000 Menschen Waren produzieren und Vermögen schaffen. Es widerspricht meinem Denken, dass ein oder zwei Menschen ein Milliardenvermögen erarbeiten können. Bei Großunternehmen muss es eine Belegschaftsbeteiligung geben. Die Belegschaft gehört auch zur Familie.

Peter Gauweiler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen lieber wäre, Herr Lafontaine, wenn ein Unternehmen wie Schaeffler in die Hand von der UBS oder JPMorgan käme. Besser ist es doch, wenn eine Familie Eigentümer ist. Die ist regional verbunden und kulturell verankert. Außerdem haftet sie mit ihrem eigenen Geld und haut nicht nach einer Pleite mit einem fetten Bonus ab.

Diesen Vorteil sehen Sie nicht, Herr Lafontaine?

Lafontaine: Doch. Deshalb will ich ja die regional verbundene und kulturell verankerte Belegschaft zum Miteigentümer machen. Wer Entscheidungen trifft, muss die Verantwortung dafür tragen. Wenn Fehlentscheidungen des Managements nicht bestraft, sondern vergoldet werden, dann ist eine wichtige Voraussetzung unserer Wirtschaftsordnung nicht erfüllt. Hier stimme ich mit Peter Gauweiler überein.

Brun-Hagen Hennerkes: Da gibt es selbstverständlich einen großen Unterschied. Herr Lafontaine fordert, dass Mitarbeiter beteiligt werden sollen. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden, wenn es sich auf den Gewinn des Unternehmens bezieht. Ich glaube aber, Herrn Lafontaine schwebt da etwas ganz anderes vor: Er will eine Beteiligung an der Substanz, also am Eigenkapital. Das widerspricht dem Selbstverständnis der Familienunternehmen, die immer möglichst wenige Gesellschafter wollen. Das gilt sogar in der Familie selbst: Man will ja auch nicht dem Cousin zweiten Grades unbedingt Mitspracherechte gewähren.

Wie stellen Sie sich das konkret vor, Herr Lafontaine?

Lafontaine: Anstelle der Verwandtschaft, die oft nur auf das Geld wartet, müssen sich die Unternehmer dann mit den Vertretern der Belegschaft auseinandersetzen. Ich sehe da kein Problem. Gerade im Erbfall bietet sich eine hervorragende Gelegenheit, die Belegschaft in die Familie aufzunehmen: Die Erbschaftsteuer entfällt, wenn die Mitarbeiter in gleicher Höhe am Unternehmen beteiligt werden.

Können Sie denn damit leben, Herr Gauweiler?

Gauweiler: Ich gebe zu, dass es jedenfalls mehr Charme hat, die Mitarbeiter zu beteiligen, anstatt Erbschaftsteuer aus der Substanz des Unternehmens an den Staat abzuführen.

Wo ist dann der Unterschied zu Herrn Lafontaine?

Gauweiler: Hier gibt es keinen. Selbst der BDI und erst recht die Unionsparteien haben in diesem Jahr Programme vorgelegt, um die Mitarbeiterbeteiligung zu stärken. Knapp zehn Prozent aller Familienunternehmen haben bereits solche Modelle eingeführt. Zu der jetzigen ordinären Erhöhung der Erbschaftsteuer, wo der Staat nur wieder mehr nehmen will, ist das zumindest die freundlichere Alternative.

Hennerkes: Das klingt alles so schön einfach, ist es aber nicht. Bei einer Personengesellschaft hat ein Arbeitnehmer mit einem Prozent genauso viel zu sagen wie einer mit 49 Prozent. Er kann alles blockieren und jeder wichtigen Handlung widersprechen. Das ist völlig inakzeptabel. Deshalb tun sich Familienunternehmer ja so schwer damit, Anteile an der Substanz abzugeben.

Lafontaine: Wir haben es hier mit einem philosophischen Grundproblem zu tun. Unsere jetzige Wirtschaftsordnung beruht auf der Enteignung der Arbeitnehmer. Nur so kommt das große Milliardenvermögen einzelner Personen zustande.

Wie kann man von etwas enteignet werden, das man nie besessen hat?

Lafontaine: Wir verstehen unter Mitarbeiterbeteiligung etwas anderes als der BDI oder die CDU/CSU. Im Übrigen halte ich es mit Wilhelm von Humboldt: \\"Nun aber hält der Mensch das nie so sehr für sein, was er besitzt, als was er tut, und der Arbeiter, welcher einen Garten bestellt, ist vielleicht in einem wahreren Sinne Eigentümer als der müßige Schwelger, der ihn genießt.\\" Wer etwas aufbaut und erarbeitet, dem muss es auch gehören. Damit hier nicht der Eindruck entsteht, ich hätte irgendetwas gegen Schaeffler, nehmen wir das Beispiel BMW. Dieses heute vorhandene Milliardenvermögen gehört nicht der Familie Quandt, denn sie hat das nicht erarbeitet.

Hennerkes: Was für ein Unsinn. Viele Familien haben enorm viel gearbeitet, um Firmen wie Mannesmann oder Bosch aufzubauen. Ihr Beispiel ist von vorne bis hinten nicht akzeptabel. Sollen dann etwa auch die Stuttgarter Stadtwerke zur Hälfte den Schaffnern gehören? Die Arbeitnehmer bekommen doch einen Lohn. Der ist vielleicht nicht immer so hoch, wie sie ihn gern hätten. Aber mit diesem Geld können sie frei schalten und walten.

Gauweiler: Der Artikel 14 im Grundgesetz sagt doch ganz klar, was Eigentum ist. Es wird nicht nur durch Arbeit geschaffen, sondern auch durch Erben und Vererben weitergegeben. Im Lateinischen ist der Begriff Patrimonium doppelt besetzt. Er bedeutet gleichzeitig \\"väterliches Gut\\" und \\"Erbe\\". Die hier bereits viel erwähnte Frau Schaeffler ist verantwortliche Erbin des Familiengutes. Sie ist berechtigt und verpflichtet, dieses Verantwortungseigentum zu halten und - wenn möglich - zu mehren. Und sie ist mir als persönliche Eigentümerin wirtschaftlich, kulturell und sozial hundert Mal lieber als eine anonyme Private-Equity-Firma aus New York oder von den Kaimaninseln. Ich sage es ganz freundschaftlich, Herr Lafontaine: Ihr Linken schadet euch und vor allem dem viel zitierten kleinen Mann, weil ihr gegen den falschen Gegner kämpft. Die Verantwortungseigentümer sind natürliche Bundesgenossen der Mitarbeiter eines Unternehmens und nicht die fremdbestimmten Manager. Das Erstere hat schon Georges Danton dem Robespierre klarzumachen versucht, damals leider vergeblich.

Herr Lafontaine, Ihr Vorschlag mit der Erbschaftsteuer hat ja auch noch eine weitere Schwachstelle. Sie machen Ihr politisches Ziel von der Lebensdauer der Familienunternehmer abhängig.

Lafontaine: Ihnen passt der Vorschlag vielleicht nicht, aber er ist problemlos umsetzbar.

Seien Sie bitte trotzdem so nett und erklären uns jetzt, wie wir da hinkommen sollen.

Lafontaine: Die Belegschaft größerer Unternehmen muss Schritt für Schritt bis zu 49 Prozent am Betriebsvermögen beteiligt werden. Der Unternehmer hat dann immer noch die Mehrheit.

Hennerkes: Ja, aber wie kommen wir da hin, wenn ich die Frage wiederholen darf: durch Enteignung?

Lafontaine: Durch die Beendigung der ständigen Enteignung der Belegschaft. Der Zuwachs des Produktivkapitals darf nicht allein den Kapitalbesitzern gutgeschrieben werden. Das ist gesellschaftspolitisch gefährlich, sozial ungerecht und mit Forderungen nach Gleichheit der Lebenschancen unvereinbar.

Gauweiler: Ein Vorschlag zur Güte. Wir schaffen die Erbschaftsteuer ab wie in Österreich. Gleichzeitig sollen die Unternehmen die Beteiligung von eigenen Mitarbeitern am haftenden Unternehmenskapital verbessern und im Gegenzug Steuervergünstigungen erhalten. Wenn sogar der Oberlinkenchef Lafontaine sagt, dass es eine Alternative zur geplanten höheren Erbschaftsteuerbelastung und der faktischen Teilenteignung durch den Staat geben muss, dann sollte das gerade den Befürwortern der aktuellen Erbschaftsteuerreform zu denken geben.

Hennerkes: Der bessere Weg ist es, die Arbeitnehmer gut zu bezahlen und sie selbst entscheiden zu lassen, wie sie das Geld anlegen. In der ganzen Debatte wird doch eins vergessen: Die meisten Arbeitnehmer wollen doch gar keine Beteiligung, weil sie völlig zu Recht das Verlustrisiko scheuen.

Lafontaine: Das sehe ich anders. Nehmen wir als Beispiel den Spiegel Verlag, an dem die Belegschaft 51 Prozent Anteile hält. Was spricht dagegen?

Hennerkes: Nichts, das kann jeder Eigentümer selbst entscheiden.

Gauweiler: Wenn es auf freiwilliger Basis geschieht, ist das in Ordnung.

Lafontaine: Aber Eigentümer ist auch die Belegschaft. Und wenn Sie 51 Prozent Belegschaftsbeteiligung akzeptieren, überholen Sie uns beinahe links.

Gauweiler: Ich drehe es um: Wenn Sie sagen, dass auch Ihnen Freiwilligkeit wichtig ist, treffen Sie genau unseren Punkt.

Oder wollen Sie vielleicht nicht doch wieder zurück und das Staatseigentum nach dem Vorbild der DDR einführen?

Lafontaine: Die Beteiligung der Belegschaft muss auch gegen den Willen der Kapitalbesitzer durchgesetzt werden. Die DDR hat verstaatlicht. Das genau will Die Linke hier nicht. Wir halten es mit Walter Eucken: Es geht um die Verhinderung wirtschaftlicher Macht.

Der Wirtschaftsprofessor Eucken hätte aber nie gefordert, das Eigentum der Familienunternehmer den Arbeitnehmern zuzusprechen.

Lafontaine: Wir wollen, dass die Enteignung der Arbeitnehmer gestoppt wird. Sie beantworten die Frage, was aus welchen Gründen wem gehört, falsch.

Hennerkes: Dann haben Sie ein vollkommen falsches Verständnis von Eigentum, und zwar sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach dem überwiegenden Verständnis der Deutschen.

Lafontaine: Einspruch. Das Grundgesetz erlaubt Enteignung nur zum Zwecke des Allgemeinwohls, nicht zur Bereicherung von Privatpersonen. Wenn sich beispielsweise das Betriebsvermögen von BMW in den nächsten Jahren verdoppelt, verdoppelt sich Ihrer Überzeugung nach das Vermögen der Eigentümerfamilie, die fast nichts dazu beigetragen hat. Vermögen entsteht aus Arbeit, nicht aus Untätigkeit.

Nehmen wir an, Herr Lafontaine, die Familie Quandt hat ein hervorragendes Vergütungsmodell entwickelt, das die Arbeiter zur Leistung anspornt. Die Arbeiter partizipieren also am Erfolg, sie verdienen prächtig dabei...

Lafontaine: ... Sie sagten ja in unserem Gespräch selbst, dass die Arbeiter das Vermögen geschaffen haben. Warum geben Sie es ihnen dann nicht?

Weil sie für ihre Arbeit schon entlohnt wurden.

Lafontaine: Nach dieser Logik genügt auch ein Unternehmerlohn. Was machen wir dann mit dem Betriebsvermögen?

Gauweiler: Die Eigentümer müssen ja auch das Risiko tragen, Herr Lafontaine! Bei Frau Schaeffler hat sich der Wert der gerade gekauften Continental-Aktien in kurzer Zeit auf fast ein Drittel reduziert. Die jeweiligen Mitarbeiter würden sich verbitten, wenn ihnen ihr Gehalt kurzerhand auf ein Drittel gekürzt würde. Und wenn das Unternehmen pleitegeht, können Sie ja auch nicht als Gläubiger kommen und in die Eigentumswohnung des \\"beteiligten\\" Mitarbeiters vollstrecken.

Wie wollen Sie denn die Unternehmer dazu zwingen, ihr Eigentum abzugeben, Herr Lafontaine?

Lafontaine: Der Gesetzgeber muss den Unternehmern verbieten, der Belegschaft ihr Eigentum wegzunehmen.

Dadurch würde sich Deutschland völlig von den globalen Finanzmärkten verabschieden.

Lafontaine: Oh Schreck, dann hätten wir mit der Finanzkrise ja nichts mehr zu tun. Aber ernsthaft: Wieso koppeln wir uns dadurch von den Kapitalmärkten ab?

Weil kein Investor aus Abu Dhabi noch Interesse hätte, in so ein Unternehmen Geld zu stecken.

Lafontaine: Wieso nicht? So ein Unternehmen kann dadurch sogar noch besser werden. Manchem Unternehmer ist die Belegschaft lieber als die Verwandtschaft. Wenn die Spiegel-Mitarbeiter ihre Anteile anbieten würden, stünden die Käufer Schlange.

Gauweiler: Wir führen hier eine philosophische Diskussion über \\"Eigentum\\". Ich finde das belebend, mehr nicht. Aufregender sind die konkreten staatlichen Pläne in Sachen Erbschaftsteuer. Das bedroht die Familienunternehmen real - viel mehr als Herrn Lafontaines Gedankenausflüge über den Begriff des Eigentums.

Können Sie nachvollziehen, dass die Bundeskanzlerin ein solches Gesetz durchdrückt?

Hennerkes: Nein, ich kann mir nur erklären, dass Frau Merkel Herrn Lafontaine noch mehr fürchtet als es die Familienunternehmer tun. Zudem geht es bei uns um eine überschaubare Zahl an Stimmen, während die Bundeskanzlerin die Masse für sich gewinnen muss. Das spricht sie allerdings nicht davon frei, eine vernünftige Politik zu machen. Dieses Erbschaftsteuergesetz in der jetzigen Form ist eine Katastrophe. Es ist verfassungsrechtlich nicht in Ordnung. Es verstößt gegen den Frieden in unserem Lande, weil es eine Welle von Prozessen geben wird. Und es ist ökonomisch nicht in Ordnung, weil es zu Ausweichhandlungen Anlass gibt, die nur steuerlich und nicht wirtschaftlich begründet sind.

Warum haben die Familienunternehmen selbst in der CDU einen so schweren Stand, Herr Gauweiler?

Gauweiler: Weil in der ökonomischen Debatte die angestellten Konzernmanager das große Wort führen. Die wichtigsten Ratgeber von SPD und CDU kamen über Jahre von Siemens und der Deutschen Bank. Die Regierung hat zu wenig Berater aus dem mit eigenem Geld haftenden freien Unternehmertum.

Warum haben Sie Konzernen das Feld überlassen, Herr Hennerkes?

Hennerkes: Weil die Politiker den Konzernchefs den roten Teppich ausrollen. Familienunternehmen sind nicht ständig in der Presse und haben deshalb einen schwereren Stand. Schauen Sie sich an, welch ein Wind gerade um Opel gemacht wird. Das würde nie geschehen, wenn ein großes mittelständisches Unternehmen in die Bredouille geriete.

Lafontaine: Doch, Bosch mit 271 000 und BMW mit 107 000 Mitarbeitern nennen Sie Familienbetriebe. Im Übrigen sind die philosophischen Grundlagen der Freiburger Schule in der Union heute nicht mehr bekannt. Allein mit dem Wort Verantwortungseigentum, also dass jemand für seine Entscheidung geradestehen muss, verbinden nur mehr die wenigsten etwas.

Die Linke als Rettungsanker für die Familienunternehmen? Was ist, Herr Hennerkes, wenn Herr Lafontaine im nächsten Jahr wider Erwarten Bundeskanzler wird?

Hennerkes: Dann hoffe ich, dass er bis dahin zur Vernunft gekommen ist. Sonst würden sehr viele Familienunternehmer auswandern.

Das Gespräch führten Jörg Eigendorf Und Viktoria Unterreiner

Die Welt, 23. November 2008