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Was ist dran, an der LINKEN, und was wird aus ihr werden?

Interview der Woche von Lothar Bisky, Oskar Lafontaine,

Zu übersehen und zu überhören sind die Linken nicht mehr. Verändern sie auch dieses Land?

Oskar Lafontaine: Ja, wir haben die deutsche Politik verändert. Es gibt immer mehr Programmpunkte der Linken, die von anderen Parteien aufgegriffen werden. Am Anfang war es die Angleichung des Hartz IV-Satzes Ost und West, es war der Mindestlohn, dann die Verlängerung des Arbeitslosengeldes und die geringere Zwangsverrentung. Jetzt folgen die Aufbesserung des Kinderzuschlages, die Erhöhung des Wohngeldes und die immer noch viel zu geringe Erhöhung der Rente. Interessant ist, dass unser Drängen auf Regulierung der internationalen Finanzmärkte und des Bankensektors inzwischen ein internationales Thema geworden ist. Vor zwei Jahren hat man noch gesagt, das sei eine typische Regulierungswut der Linken.

Jetzt ist sogar der Chef der Deutschen Bank dieser Meinung

Oskar Lafontaine: Ich habe schon überlegt, ob ich Ackermann einen Aufnahmeantrag unserer Partei schicke.
Lothar Bisky: Das Soziale in der Marktwirtschaft haben vier Parteien im Deutschen Bundestag gestrichen. Wir wollen, dass das Soziale die gebührende Beachtung erfährt.

Ist das links, oder nur pragmatisch?

Lothar Bisky: Ich habe bitter lernen müssen, dass ein Sozialismus ohne Markt nicht lebensfähig ist Aber die reine Marktwirtschaft ist keine Alternative, denn die ist menschenfeindlich.
Oskar Lafontaine: Wir definieren Soziale Marktwirtschaft immer als eine Wirtschaftsordnung, die Lohndumping, also Hungerlöhne, und Monopolpreise verhindert. Demzufolge haben wir gegenwärtig keine Soziale Marktwirtschaft, weil die Löhne fallen und die Energie- und Lebensmittelpreise explodieren.

Das klingt pragmatisch.

Lothar Bisky: Es gibt einen Wechsel in der Gewichtung. Im vergangenen Jahrhundert haben die Linken häufig mit komplexen Weltbildern argumentiert. Man wollte möglichst ein ganzes Weltbild beschreiben, um dann einer Meinung zu sein. Ich glaube, im 21. Jahrhundert braucht man die vier oder fünf oder sechs Fragen für die man gemeinsam streitet. Das ist wichtig. Wenn es uns gelingt, in diesen Fragen unsere Kräfte zu bündeln, dann sind wir stark. Ein geschlossenes Weltbild braucht die Linke im 21. Jahrhundert nicht

Ist das ein Abschied von Visionen?

Oskar Lafontaine: Nein. Wir leben von und mit Visionen. Das ist links. Eine friedliche Welt ist eine Vision. Eine umweltverträgliche Wirtschaftsordnung ist eine weitere Vision. Eine freie Gesellschaft, in der es keine armen Kinder gibt, und kein Unternehmen, das seine Mitarbeiter behandeln darf, wie es Lidl tut, in der Arbeitslosigkeit nicht zur Normalität gehört, das ist auch eine Vision. Ein Finanzkapitalismus, der aufgrund staatlicher Kontrolle nicht mehr das Geld im Casino verspielen kann, der Geld in neue Fabriken und Anlagen investiert, ist ebenfalls eine Vision. Immer mehr Menschen vor Augen zu führen, dass der spekulative Finanzkapitalismus in aller Welt zu großen Wohlstandsverlusten und zur Massenarbeitslosigkeit führt und dass man dagegen handeln muss, ist Aufgabe der LINKEN.

Was wollen Sie in den nächsten Jahren erreichen - parlamentarisch und außerparlamentarisch?

Oskar Lafontaine: Wir verstehen uns als demokratische Freiheitsbewegung. Deshalb sagen wir, wichtige Entscheidungen treffen die Mitglieder. Wir treten auf allen Ebenen für Volksbegehren und Volksentscheide ein. Das ist lebendige Demokratie. Unser wichtigstes Anliegen ist die Demokratisierung der Wirtschaft. Die Vorkommnisse bei Lidl haben gezeigt, dass wir noch weit von einer wirklich freiheitlichen Wirtschaftsordnung entfernt sind. Wir stehen also für demokratische und soziale Erneuerung.

Lothar Bisky: Und wir sagen weiterhin, dass es für politische und soziale Konflikte keine militärische Lösung gibt. Wir sind gegen jeden Krieg. Das ist hochaktuell.

Was wird denn die wichtigste Botschaft auf dem jetzt anstehenden Parteitag sein, die Sie beide, als Parteivorsitzende vermitteln wollen?

Lothar Bisky: Die Linke ist eine gesamtdeutsche Partei.Und wir werden gesamtdeutsch bleiben. Das erweitert unser Denken und die Möglichkeiten des Handelns. Wir müssen im Westen wachsen und im Osten unsere Stärke erhalten. Das ist bis jetzt gelungen, auch wenn das viele nicht erwartet haben.
Oskar Lafontaine: Wir finden Zustimmung im Osten und Westen. Unser politisches Gewicht ist gewachsen. Damit das so bleibt, ist es wichtig, dass nicht künstlich Ost-West-Gegensätze neu konstruiert werden. Gerade der Parteivorstand hat gezeigt, dass man strömungsübergreifend zusammenarbeiten kann. Auch im neuen Parteivorstand, da bin ich mir mit Lothar einig, sollten alle Strömungen vertreten sein.

Wenn Sie beide über Visionen und Zukunft reden, dann klingt durch, dass DIE LINKE Vollbeschäftigung für möglich hält und dafür kämpfen will?

Oskar Lafontaine: Selbstverständlich. Man muss darüber sprechen, was unter Vollbeschäftigung zu verstehen und wie sie zu erreichen ist. Ohne eine grundsätzlich andere Wirtschaftspolitik und eine Verkürzung der Arbeitszeit - der Erwerbsarbeitszeit wohl bemerkt - ist Vollbeschäftigung nicht möglich. Das wird ein langer Weg. Die anderen Parteien bestehen weiterhin darauf, die Löhne, Renten und sozialen Leistungen zu kürzen und die Arbeitszeit zu verlängern.
Lothar Bisky: Unser Ideal kann nicht sein, in einer Gesellschaft zu leben, wo ein Drittel oder die Hälfte der Bevölkerung am Leben gehalten wird, ohne sich in die Arbeitsprozesse einbringen zu können. Das ist sozial zutiefst ungerecht.

Was wird der Parteitag, der letzte vor den nächsten Bundestagswahlen, leisten müssen?

Lothar Bisky: Es wird einen Leitantrag geben und es ist auch wichtig, dass der angenommen wird, weil er die anstehenden Aufgaben beschreibt. Wir werden uns über die aktuellen Fragen verständigen müssen und dürfen nicht vergessen: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Der Europawahlkampf hat schon begonnen, der Bundestagswahlkampf auch. Es wäre fahrlässig, noch länger zu warten. Wir müssen uns aufstellen für die entscheidenden Wahlen im Jahr 2009. Das ist für DIE LINKE eine einmalige Chance. Ich denke, dass wir da noch einmal kräftig zulegen können.

Das klingt sehr optimistisch.

Lothar Bisky: Ich habe bisher immer nur Erfahrungen mit schrumpfenden Parteien gemacht. Jetzt sammle ich gerne mal Erfahrungen mit einer wachsenden Partei. Da ist Optimismus angebracht.
Oskar Lafontaine: Ich bin sehr froh darüber, dass wir in vier westdeutschen Landtagen vertreten und insofern ein gutes Stück voran gekommen sind. Und dass wir immer mehr Mitglieder haben und in der Öffentlichkeit gut dastehen. Wir müssen unseren Weg fortsetzen. Kampf gegen den Krieg und für den Frieden, Kontrolle des internationalen Finanzkapitals, Eintreten für eine sozial gerechtere Wirtschaftsordnung.

Wird es dafür politische Bündnisse geben können, oder bleibt DIE LINKE im Bundestag auf sich allein gestellt?

Lothar Bisky: Wir haben noch kein linkes Lager, keine linke Mehrheit auf Bundesebene. In Hessen ist es jetzt gelungen, die Abschaffung der Studiengebühren an den Universitäten durch eine linke Mehrheit auf den Weg zu bringen. Aber auf Bundesebene sind die Grünen im Prozess der Umorientierung. Sie kommen aus dem Widerspruch nicht heraus, Umweltpartei und gleichzeitig Kriegspartei zu sein. Denn Krieg zerstört die Umwelt. Die Sozialdemokraten sind ebenfalls in einem Prozess der Selbstfindung. Es gibt erst dann eine linke Mehrheit, wenn sie sich auf gemeinsame Inhalte gründet. Das ist zurzeit nicht der Fall.
Oskar Lafontaine: Wir sagen: Links wirkt! Die Bevölkerung hat gelernt: Wer DIE LINKE wählt, macht Deutschland sozialer. Wir regieren aus der Opposition und wir verändern Politik, weil die anderen Parteien zwar zögerlich, aber Schritt für Schritt unsere Vorschläge übernehmen. Wichtig ist, glaubwürdig zu bleiben.

Lothar Bisky: Und das wird uns gelingen.

Oskar Lafontaine: Wir müssen uns jeden Tag bemühen.

linksfraktion.de, 20. Mai 2008