Harriet von Waldenfels/ZDF: Gestern Abend sind die ersten türkischen Bodentruppen in Syrien einmarschiert. Zuvor hatte es schon Artillerie und Luftangriffe gegeben. Damit setzt der türkische Präsident Erdogan seinen Plan entgegen massiver Kritik um. Erdogan sagt, er wolle so verhindern, dass an der südlichen Grenze der Türkei ein „Terrorkorridor“ entstehe. Der Angriff jetzt kommt nicht von ungefähr, denn erst am Montag hatten US-Truppen die Grenzregion verlassen.
Uns ist jetzt Außenpolitiker Stefan Liebich von den Linken aus Flensburg zugeschaltet. Einen schönen guten Morgen dorthin.
Stefan Liebich: Guten Morgen.
Herr Liebich, der türkische Präsident Erdogan sagt, er wolle mit dem türkischen Angriff auf Syrien Frieden schaffen. Was sagen Sie dazu?
Das ist natürlich Unsinn. Was dort passiert, ist ein eindeutiger Verstoß gegen das Völkerrecht. Die Charta der Vereinten Nationen verbietet den Einsatz von Gewalt. Es gab auch keine Bedrohung durch die Kurdinnen und Kurden.
Erdogan will in dieser sogenannten Schutzzone bis zu zwei Millionen syrische Geflüchtete ansiedeln und er betont auch ganz deutlich, dass er seit Jahren schon über diese Schutzzonen spricht. Hat der Westen das vielleicht nicht ernst genug genommen und hat er die Türkei vielleicht auch allein gelassen mit der großen Menge Flüchtlingen?
Erst einmal hätte der Westen viel deutlicher reagieren müssen und der Osten auch, insbesondere die Vereinten Nationen. Wenn die Charta der Vereinten Nationen gebrochen werden soll und das auch noch angekündigt wird, dann muss man sich dem entgegenstellen. Ich erwarte schon von der Bundesregierung, dass sie das so klar auch formuliert. Bisher kommen nur dünne Äußerungen des Außenministers. Wichtig und notwendig wäre jetzt eine Resolution der Vereinten Nationen, die diesen Völkerrechtsbruch verurteilt und ein Waffenembargo gegenüber der Türkei verhängt.
Gehört jetzt auch die NATO-Mitgliedschaft auf den Prüfstand?
Wenn man sich die Präambel des NATO-vertrags anschaut, dann basiert die NATO eigentlich auf dem Völkerrecht und dem Recht auch im inneren. Beides ist bei der Türkei nicht gegeben. Leider ist im NATO-Vertrag kein Passus zur Aussetzung der Mitgliedschaft vorgesehen. Was man aber tun sollte, und das würde den Kurdinnen und Kurden auch mehr helfen, als diese Diskussion, ist, dass man eine Autonomie Kurdistans, also der syrischen kurdischen Gebiete, als integralen Bestandteil Syriens festlegt und durch die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats garantiert. Schließlich sind vier von fünf Mitgliedern in Syrien schon aktiv. Das würde jetzt real helfen.
Würden Sie also sagen, die Kurden werden jetzt ihrem eigenen Schicksal überlassen, nicht nur von den USA, weil die ihre Truppen von dort abgezogen haben, sondern auch von Deutschland und dem Westen insgesamt?
Sie würden ihrem Schicksal überlassen werden, wenn man jetzt nicht handeln würde. Aber Deutschland kann ja handeln. Deutschland ist Mitglied des Sicherheitsrats und ich glaube es gibt im Moment ein Fenster der Möglichkeiten, wenn selbst der russische Außenminister darüber spricht, dass der überstürzte Rückzug der Vereinigten Staaten die Region in Brand setzt, dann ist ein Fenster der Möglichkeiten offen, dann kann man vielleicht die Blockaden im Sicherheitsrat überwinden. Das ist der Ort, wo man real den Kurden helfen kann. Man muss sie nicht im Stich lassen.
Die Grünen fordern zudem Konsequenzen für den Bundeswehreinsatz im Nahen Osten. Sie wollen zum Beispiel, dass keine Luftaufklärungsbilder, die deutsche Flieger in Jordanien für die NATO machen, mehr an die Türkei weitergegeben werden. Wäre das ein richtiger Schritt und die richtige Antwort auf Erdogans Invasion?
Das ist richtig, das ist überfällig. Der Einsatz muss sowieso in Gänze beendet werden. Unsere Fraktion klagt ja gegen diesen Einsatz, weil er stattfindet ohne Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und demzufolge auch nicht durch das Völkerrecht gedeckt ist. Wenn die Bundeswehr weiter die Türkei unterstützt, wenn die Bundesregierung weiter Waffenlieferungen genehmigt, dann macht sie sich mitschuldig an diesem völkerrechtswidrigen Krieg.