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Verselbständigung der Geheimdienste stoppen

Interview der Woche von Martina Renner,

Foto: picture alliance/dpa

 

 

Martina Renner, für DIE LINKE Mitglied im Innenausschuss des Bundestages, über Ziele des Untersuchungsausschusses zum NSA-Ausspähskandal, zur Rolle Edwards Snowdens als Zeuge, zu ihren Erfahrungen mit Geheimdiensten im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages


Grüne und DIE LINKE beantragen gemeinsam die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum NSA-Ausspähskandal. Was soll da untersucht werden?

Martina Renner: Zuerst wollen wir natürlich wissen, welche Informationen ausländische Geheimdienste, insbesondere die NSA, über Bürger und Bürgerinnen, Regierung und Unternehmen in Deutschland gesammelt haben. Das ist aber lediglich der Anlass. Im Kern geht es für uns LINKE darum zu klären, in welchem Ausmaß private, dienstliche und gewerbliche Kommunikation, die niemanden etwas angeht, von Geheimdiensten mitgelesen und ausgewertet wird - vermutlich nicht alleine von der NSA, sondern möglicherweise auch vom BND und anderen Geheimdiensten. Wir sind dabei durchaus realistisch: Geheimdienste arbeiten überall gleich. Es gehört zu ihrem Wesen, sich nicht an Gesetze und internationale Abkommen zu halten. Vor diesem Hintergrund muss eben auch aufgedeckt werden, ob und wie bundesdeutsche Behörden mit der NSA kooperieren, technisch, personell und strategisch. Und ob es eine Art Ringtausch unter den Geheimdiensten gibt, bei dem die eine Behörde Aufgaben für eine andere Behörde übernimmt und durchführt, die dieser ansonsten untersagt wären. Und dabei ist natürlich zu prüfen, inwieweit die Gesetze in Deutschland und der EU fragwürdiger oder gar missbräuchlicher Kooperation Vorschub leisten. Sorge bereitet uns in diesem Zusammenhang, dass offenkundig immer mehr Spionage-Know-How von den Geheimdiensten und anderen Behörden auch bei privaten Kommunikations- und Hardware-Unternehmen in Auftrag gegeben wird. Dies muss aus Sicht einer gesellschaftlichen wie parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste beunruhigen. Der Verselbständigung der Geheimdienste wird damit Vorschub geleistet.

Die Frage, ob das Handy der Kanzlerin abgehört wurde, ist jedenfalls nicht die einzige, die ein Untersuchungsausschuss stellen und beantworten sollte. Wir als LINKE sagen dazu: Ja das wäre ein Skandal. Aber eben nicht mehr oder weniger schlimm als jedes abgehörte Telefonat, jede abgefangene E-Mail, jeder gespeicherte Suchlauf im Internet von jeder und jedem anderen Bürgerin und Bürger auch. Und wir brauchen auch keine Debatte, die antiamerikanische Reflexe bedient. Es geht nicht darum, mit Verweis auf die ökonomische und politische Rolle der Bundesrepublik von den USA als ebenbürtig und daher als tabu beim Ausspähen akzeptiert zu werden. Wir brauchen ein europäisches No-Spy-Abkommen und einen effektiven Schutz von Kommunikation und Daten in jedem Land. Es darf erst gar keine Gewöhnung an den Gedanken aufkommen, dass jederzeit und an jedem Ort über mich als Bürgerin oder Bürger verfügt werden kann. Geschützte Kommunikation ist ein Kern einer freien Gesellschaft!

Noch sind die Oppositionsrechte sowohl in den Gesetzen als auch in der Geschäftsordnung des Bundestages nicht an die Realität einer 20-Prozent-Opposition angepasst worden. Wie soll die Arbeit im Untersuchungsausschuss funktionieren?

Eine gesetzliche Anpassung der Oppositionsrechte an die veränderte Situation in der 18. Legislatur sollte parallel oder besser noch vor der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stattfinden. Wir haben einen Vorschlag eingereicht, mit dem im Untersuchungsausschussgesetz geregelt werden soll, dass künftig ein Ausschuss auch dann eingesetzt werden kann, wenn er von zwei nicht regierungstragenden Fraktionen beantragt wird. Außerdem soll die Opposition mindestens ein Viertel der Mitglieder im Ausschuss stellen, damit sie dort qualifiziert und wirksam ihre Minderheitenrechte wahrnehmen kann.

Wer trägt eigentlich die Kosten für die Anreise der Geheimdienstmitarbeiter aus Washington, die doch sicher als Zeugen geladen werden?

Die Zeugen reisen auf Staatskosten an. Es erscheint vielleicht etwas fragwürdig, dass wir denjenigen, die verantwortlich sind für die massenhafte Bespitzelung, auch noch den Flug bezahlen. Aber dies ist zu Recht so in den Gesetzen geregelt. Im Sinne eines effektiven Schutzes der Zeugen vor Einflussnahmen von Vorgesetzten und Behörden ist es sinnvoll, jedwede Abwicklung der Aussage vor einem Untersuchungsausschuss formal durch diesen organisieren zu lassen. Aber natürlich geben wir uns auch nicht der Illusion hin, dass die Amerikaner bereits auf gepackten Koffern sitzen.
    
Alternativ könnte der Untersuchungsausschuss auf Reise gehen wie seinerzeit im Fall des Waffenlobbyisten Schneider, der in Kanada von Bundestagsabgeordneten vernommen wurde?

Also, das halte ich nur dann für sinnvoll, wenn der Zeuge aus Interessen ganz hoher Schutzgüter wie der Abwendung von Gefahr für Leib und Leben - weil er sich zum Beispiel dem Zugriff von Behörden entziehen muss oder in der Bundesrepublik Sorge hätte, ausgeliefert zu werden, im Ausland gehört werden müsste. Grundsätzlich sollte jeder Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen, auch um die Öffentlichkeit zu wahren. Es sei denn eben, er oder sie ist reise- oder verhandlungsunfähig und kann das auch nachweisen. Ich reagiere aufgrund meiner Erfahrungen im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss darauf grundsätzlich etwas allergisch. Es gab Zeugen die erklärten, dass sie wegen einer schweren Erkrankung nicht in den Landtag kommen könnten, und dann wurden sie Wochen später im Kaisersaal in Erfurt beim CDU-Empfang für Bernhard Vogel mit dem Sektglas in der Hand angetroffen. Wenn wir uns als Untersuchungsausschuss ernst nehmen, sollten wir uns nicht von den Zeugen auf Reise schicken lassen. Etwas anders verhält es sich natürlich mit dem potenziellen Zeugen Edward Snowden: Es wird unabdingbar sein, ihn zu hören. Über die Rahmenbedingungen kann aber sicherlich erst entschieden werden, wenn der Untersuchungsausschuss seine Arbeit begonnen hat. Auf jeden Fall brauchen wir einen selbstbewussten Untersuchungsausschuss und eine stringente auch strafrechtliche Verfolgung in Deutschland. Und vielleicht sollten wir in diesem Fall auch mal Italien als Vorbild ansehen, wo im Jahr 2010 CIA-Beamte wegen der Verschleppung eines Ägypters verurteilt wurden.
    
Vor Ihrer Wahl in den Bundestag haben Sie als Abgeordnete des Thüringer Landtages im Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie mitgewirkt. Wie kooperativ waren die Geheimdienste?

Das war ganz unterschiedlich. Das Thüringer Landesamt hat umfänglich und zügig Akten zur Verfügung gestellt. Andere Bundesländer haben in unterschiedlicher Qualität „geliefert“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln ist dagegen immer wieder durch patzige Antworten     auf einen Aktenvorlagebeschluss aufgefallen. Was die Zeugen angeht: Ich habe Geheimdienste nie für Dilettantenhaufen gehalten. Daher gefällt mir auch das Wort Schlapphüte nicht. Aber wie clever, vorbereitet, abgestimmt und eiskalt einige Zeugen unsere Fragen pariert haben: Alle Achtung! Da konnte man die Haltung dieser Behörden hautnah erleben. Nach außen glatt und freundlich. Nach Innen ist jede Fuge abgedichtet, und es gilt, so wenig wie möglich Preis zu geben.

Welche Rolle wird Edward Snowden bei den Untersuchungen spielen?

Er ist ein zentraler Zeuge. Immerhin hat er den Skandal ins Rollen gebracht und er verfügt über wichtige Informationen für den Untersuchungsausschuss. Aber ein Untersuchungsausschuss darf niemals zu einer Showveranstaltung werden. Es gilt nicht, das öffentliche Interesse an der Person Snowden zu bedienen, sondern die zentralen Fragen nach dem Umfang der Ausforschung durch US-amerikanische und auch anderer Behörden und deren Kooperation mit bundesdeutschen Stellen zu klären. Und Schlussfolgerungen zu ziehen, damit Grundrechtsschutz angesichts der technischen Möglichkeiten im digitalen Zeitalter keine Makulatur wird.

Die Kontrolle der Geheimdienste in Deutschland obliegt dem Bundestag, Dienstherrin ist die Bundesregierung. Das Bedürfnis von Union und SPD, die Rolle der deutschen Dienste in diesem Skandal zu beleuchten, dürfte sich entsprechend in Grenzen halten.

Ja, das ist ein großes Problem. Der Konsens aus dem NSU-Untersuchungsausschuss wird hier nicht zum Tragen kommen. Es gibt ja schon entsprechende Töne, wonach Snowden vor allem ein Straftäter sei, oder solche, die sich primär um die Arbeitsfähigkeit der Dienste sorgen. Das alles wieder nach dem Motto: Der Überbringer der schlechten Nachricht ist das Problem und man muss jetzt alles daran setzen, dass der Skandal nicht größer wird. Vielleicht ein typisch deutsches Umgehen mit ungeliebten Wahrheiten. Für uns als LINKE, aber auch die Opposition insgesamt ist in jedem Fall viel Beharrlichkeit und Kraftanstrengung nötig.

Wann nimmt der Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf? Und für wie lange? Wer übernimmt den Vorsitz?

Sobald die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beschlossen ist, muss er „unverzüglich“ seine Arbeit aufnehmen. Die Fraktionen benennen die Mitglieder und der oder die Vorsitzende wird aus deren Mitte gewählt. Der Vorsitz wird nach jetzigem Stand an die CDU/CSU-Fraktion fallen.

 

linksfraktion.de, 4. Februar 2014