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Vernebelung nach »bestem Wissen und Gewissen«

Interview der Woche von Martina Renner,

Foto: Axel Schmidt/CommonLens/ddp images

 

 

Martina Renner, für DIE LINKE Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss, spricht im Interview der Woche über die Auswirkungen der Landesverratsvorwürfe gegen die Journalisten von Netzpolitik.org, die Verhinderungsstrategien der Bundesregierung hinsichtlich der Aufklärung im Untersuchungsausschuss und die Bedeutung von Whistleblowern für eine transparente, demokratische Verwaltung. 


Martina Renner, vor zwei Wochen fragten Sie auf Twitter, wie viel Macht eigentlich der Inlandsgeheimdienst habe, dass der Generalbundesanwalt für den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz den Justizminister brüskiert und die Pressefreiheit aushebelt. Den Generalbundesanwalt hat das inzwischen den Job gekostet, und in Sachen Pressefreiheit hat sich der Justizminister um eiliges Zusammenfegen der Scherben bemüht. Ist die „Affäre“ um den angeblichen Landesverrat von Netzpolitik.org damit beendet? Die Frage nach der Macht des Verfassungsschutzes ist ja noch offen…

Martina Renner: Sicherlich ist die „Affäre“ um den angeblichen Landesverrat von netzpolitik.org für die betroffenen Journalisten auf den ersten Blick beendet. Allerdings bleibt noch offen, welche Ermittlungen und Maßnahmen der Verfassungsschutz hinsichtlich der betroffenen Journalisten und zwar auch im Fall jener der Süddeutschen Zeitung unternommen hat. Allein der Umstand, dass der Verfassungsschutz nicht in der Lage war, den Namen eines der betroffenen Blogger korrekt zu schreiben, sollte niemanden täuschen. Dort und auch im Bundesnachrichtendienst wird man sich sehr genau anschauen, wer sich mit der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses, den Überwachungsmaßnahmen von NSA und BND, bzw. den Geheimdienstkooperation befasst. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass dort Profile der Akteure bis hin zu ihren Kontakten in Politik und Verwaltung angelegt werden.

Allerdings darf bei der Aufklärung der „Affäre“ der Fokus auf die Bundesregierung nicht vergessen werden. Nach und nach wird ja bekannt, dass eine Vielzahl von Beamten und Referaten in den verschiedenen Bundesministerien und im Kanzleramt frühzeitig über die Strafanzeigen informiert waren. Ich halte es aber für die übliche Verschleierung „nach bestem Wissen und Gewissen“, wenn niemand mitbekommen haben will, dass die Strafanzeigen im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen bei netzpolitik.org sich nahezu ausschließlich mit den Journalisten befassen. Die Informationskette zwischen dem Verfassungsschutz und den Ministerien und Gremien, die mit den geheimen Dokumenten befasst waren, wurde dem LKA Berlin bei Strafanzeige nicht offengelegt, sondern allein die Journalisten „zum Abschuss freigegeben“. Das kann eigentlich niemandem verborgen geblieben sein.

Ist es ja auch nicht. Besonders in Journalistenkreisen hat die Affäre ja noch ganz andere Wellen geschlagen. Dort ist man alarmiert, sieht das Ganze vielmehr als Angriff auf den Quellenschutz und hält das Kartieren von Informanten, Netzwerken und Quellen für das eigentliche Ziel der Aktion gegen Netzpolitik.org. Was ist dran an solchen Befürchtungen?

Martina Renner: Ich vermute schon, dass schon die Vorstellung, es könnte einen „deutschen Edward Snowden“ geben, in den Diensten mindestens für schweißnasse Hände sorgt. Und natürlich ging es bei den Strafanzeigen nicht nur um die Journalisten von netzpolitik.org, die nach Auffassung unter anderem der beteiligten VS-Mitarbeiter scheinbar gar keine Journalisten sind, sondern „nur“ Blogger. Seit dem Beginn der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses sind die Mitglieder schon mehrfach der Weitergabe von vertraulichen oder geheimen Dokumenten verdächtigt worden. Es sei dabei an die offene Drohung durch den Kanzleramtsminister aus dem Herbst 2014 erinnert. Und wenn selbst gestandene Parlamentarier der Ansicht sind, dass die Arbeit investigativer Journalisten und die Aufklärung allein Terroristen nütze, dann ist festzuhalten, dass dieses seltsame und mit Sicherheit sehr gestrige Staatsverständnis die eigentliche Gefahr darstellt.

Ihre Fraktion setzt sich seit Jahren für einen besseren Schutz von sogenannten Whistleblowern ein. Wie müsste der aussehen – auch in Hinblick auf den Informantenschutz von Journalisten?

Martina Renner: Der bisherige „Whistleblowerschutz“ bezieht sich ja auf die Privatwirtschaft. Dass Journalisten daneben ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich ihrer Informanten und der Herkunft ihrer Informationen zusteht, hat seinen Ursprung auch nicht vor dem Hintergrund des Schutzes von Whistleblowern.

Für Beamte, die beispielsweise in den Sicherheitsbehörden tätig sind, gibt es bisher nur die Möglichkeit einer Remonstration, indem der Vorgesetzte auf bestimmte Umstände beziehungsweise auf die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Dienstanweisung hingewiesen wird. Nur wenn diese dennoch und ausdrücklich nochmals angewiesen wird, ist der Beamte verpflichtet, Folge zu leisten. Dabei handelt es sich aber allein um ein – wie effektiv auch immer – lediglich internes Element der Selbstkontrolle der Behörden. So könnte es im Bereich von Polizei und Sicherheitsbehörden ein gestuftes Verfahren geben, in dem sich potenzielle Whistleblower an eine unabhängige Stelle außerhalb der Behörde wenden können. Diese trägt dann anstelle des Whistleblowers und bei Schutz deren/dessen Identität die angezeigten Sachverhalte den zuständigen Kontrollgremien vor und kann auch eigene Auskunftsrechte bei den jeweiligen Behörden geltend machen und durchsetzen. Um die Unabhängigkeit der „Informationsstelle“ zu gewährleisten, muss diese außerhalb der Behörden und Dienste und am Besten im Parlament angesiedelt sein und diesem Bericht erstatten. Flankiert sein muss eine solche Stelle damit, dass endlich Auskunftspflichten der Dienste und Behörden gegenüber den Kontrollgremien eingeführt werden, die auch strafbewehrt sein sollten. Bisher sind doch die Gremien darauf angewiesen, alles zu glauben, was ihnen von den Sicherheitsbehörden berichtet wird und zudem darauf vertrauen zu müssen, dass nicht wesentliche Informationen gar nicht erst mitgeteilt, sondern zurückgehalten werden.

Die „Affäre“ platzte in die Sommerpause des Bundestages. Hat das Parlament also keine Chance, hier Aufklärung zu betreiben? Morgen steht ja eine Sondersitzung zum Thema Griechenland an.

Martina Renner: Ehrlicherweise muss man sagen, dass dies erst nach der Sommerpause stattfinden kann. Aber dann wird die Bundesregierung sich in den verschiedenen Ausschüssen schon genau erklären müssen, wer wann genau was gewusst hat. Hier hat sie sich ja bereits in den vergangenen Tagen mehrfach korrigieren müssen. Immer „nach bestem Wissen und Gewissen“, versteht sich.

Ab September geht es für Sie auch im NSA-Untersuchungsausschuss weiter. Der hat in der Sommerpause ja auch die erfreuliche Mitteilung erhalten, dass die USA die Herausgabe der von der Bundesregierung zurückgehaltenen NSA-Selektorenlisten gar nicht untersagt hätten. Haben Sie sich schon ans Sichten der Listen begeben?

Martina Renner: Nein. Dies wird sich auch vorerst nicht ändern, wie Kanzleramtsminister Altmaier inzwischen klargemacht hat. Im Kanzleramt hält man noch immer an einer „Aufklärung nach bestem Wissen und Gewissen“ fest. Dies wird deutlich, wenn Herr Altmaier im Spiegel behauptete, der NSA-Untersuchungsausschuss habe die sogenannte Vertrauensperson eingesetzt. Tatsächlich sagte der ehemalige Bundesverwaltungsrichter Graulich selbst mehrfach sehr deutlich, dass sein alleiniger Auftraggeber die Bundesregierung ist. An dieser Aufklärungsverweigerung wird sich leider nicht so schnell etwas ändern.

Es ist sicherlich nicht leicht, immer wieder festzustellen, dass man nach Strich und Faden belogen wird. Wie gehen Sie, wie gehen Ihre Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss mit dieser Situation um?

Martina Renner: Für die Koalitionäre ist es Teil ihres Auftrages, im Untersuchungsausschuss zu den Lügereien der Regierung zu schweigen oder gar zu behaupten, die Verweigerung von Unterlagen sei rechtens. Mit den Bündnisgrünen zusammen ziehen wir schon an einem Strang, wenn es gilt, gegen die Blockaden der Ministerien und Dienste anzukämpfen. Aber wenn dann selbst Minderheitenrechte wie die Einberufung von Sondersitzungen etc. ausgehebelt werden, ist es schon ein mühsames Unterfangen. Manchmal macht der Umgang mit der Opposition mich richtig wütend.

Wie sieht Ihr Lichtstreif am Horizont aus? Gibt es einen?

Martina Renner: Genau wie im NSU-Komplex habe ich die Hoffnung, dass öffentliches Interesse, Einfordern von Aufklärung, permanentes Fragestellen, investigative journalistische Arbeit und das Engagement von Aktiven einem Untersuchungsausschuss den nötigen Druck und die Unterstützung von Außen verschafft und uns immer wieder in den Gründen bestätigt, aus denen wir dort sitzen.

 

linksfraktion.de, 18. August 2015