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Venezuela-Fachgespräch der Linksfraktion im Bundestag am 12. September 2019

Venezuela: Sanktionen blockieren Gespräche zwischen Regierung und Opposition

Nachricht von Heike Hänsel, Andrej Hunko,

In einem Fachgespräch im Bundestag hat der venezolanische Professor Andrés Antillano über die Verhandlungen zwischen Maduro-Regierung und Opposition sowie die Auswirkungen der Einmischung von außen berichtet.

Eskalation des Konflikts in Venezuela

Seit Jahresbeginn ist der Konflikt zwischen Regierung und Opposition in Venezuela eskaliert. Wiederholt hat die US-Regierung mit einer Militärintervention gedroht. Trotz der Konfrontation fanden jenseits der Öffentlichkeit Gespräche zwischen Regierung und Opposition statt. Im Mai schließlich wurde öffentlich, dass die verfeindeten Lager auf Vermittlung Norwegens Verhandlungen führen, um einen friedlichen und demokratischen Ausweg aus der innenpolitischen Krise zu suchen.
Mit Andrés Antillano hat die Linksfraktion am Donnerstag einen Beobachter der Verhandlungen eingeladen, der Zugang zu beiden politischen Lagern hat. Der Professor der Zentraluniversität von Caracas begleitet und unterstützt die Gespräche und bemüht sich parallel um einen Dialog der Zivilgesellschaft unabhängig von der politischen Ausrichtung der Beteiligten.

In dem Fachgespräch unter dem Titel „Raus aus der Sackgasse - Auswege aus der Krise in Venezuela“ im Bundestag betonte Antillano, dass es für die innere Entwicklung Venezuelas von zentraler Bedeutung sei, eine politische Lösung zu erreichen. Diese müsse sowohl im Einklang mit der Verfassung stehen als auch den Willen einer großen Mehrheit der Bevölkerung widerspiegeln.

Lösungen trotz politischer Polarisierung möglich

Die grundsätzliche Herausforderung bestehe in der extrem polarisierten Situation. Beide Lager, Chavismus und Opposition, überziehen sich öffentlich mit aggressiven Anschuldigungen und stellen die Legitimation der jeweiligen Gegenseite grundsätzlich infrage. Ziel der Gespräche müsse es deshalb sein, gemeinsam politische Garantien für einen Übergangsprozess zu erarbeiten, der beiden politischen Lagern die notwendigen Sicherheiten gibt, so Antillano. Tatsächlich befänden sich die von Norwegen vermittelten Gespräche gegenwärtig in einem Stadium, in dem beide Seiten sich auf einen verbindlichen Wahlprozess für die kommenden Jahre einigen könnten, so Antillano.

Kein Abkommen ohne Lockerung der Sanktionen

Das zentrale Hindernis stelle aktuell weniger die venezolanische Politik dar, als die internationalen Akteure, insbesondere die Sanktionspolitik der USA. Denn die Regierung um Nicolás Maduro werde einem außerordentlichen Wahlprozess nur unter der Bedingung zustimmen, dass das entsprechende Abkommen die Aufhebung oder zumindest die Lockerung der Sanktionen beinhaltet. Diese erdrosselten die venezolanische Wirtschaft und trügen dazu bei, das Land unregierbar zu machen.

Dies sei auch der Grund, dass die Regierung keine VertreterInnen zur letzten Gesprächsrunde auf der Karibikinsel Barbados entsandt habe. Die Entscheidung der US-Regierung, kurz zuvor die Sanktionen gegen Venezuela weiter zu verschärfen, habe den Verhandlungsprozess bewusst torpediert. Inzwischen hat die Opposition die Gespräche für beendet erklärt. Eine erneute Eskalation droht.

Strategie der Opposition von US-Regierung abhängig

Zur Zeit sei es an den Vertretern der Opposition, ihre Unterstützer im Ausland, namentlich in den USA und der Europäischen Union, zu überzeugen, dass die Sanktionen aufgehoben werden. „Da wedelt leider der Schwanz mit dem Hund“, befürchtet Andrés Antillano. Durch die Strategie der Opposition, im Januar Juan Guaidó selbst zum Präsidenten zu erklären, habe sie das Heft des Handelns aus der Hand gegeben. Sie sei seitdem von den Entscheidungen der USA und anderer Verbündeter abhängig. Bisher sehe er keinen Hinweis, dass die aktuelle US-Regierung die extrem weitreichenden Sanktionen und die Beschlagnahmung venezolanischen Eigentums beenden wolle.

Illusion einer gewaltsamen Lösung

Damit verstoße die US-Regierung sogar gegen Ziele der Opposition. Die Stimmung unter den Verhandlungsteilnehmern aus dem Oppositionslager sei entsprechend schlecht. „Sie bekommen den Stier, den sie in die Arena gezogen haben, jetzt nicht wieder heraus“, glaubt Antillano mit Blick auf die Oppositionsgruppen und ihre Unterstützer in Washington.

Ebenso wie bei schon bei vorangegangen Gesprächen bestätige die US-Außenpolitik die radikalsten Kräfte der Opposition in der Illusion, dass es eine gewaltsame Lösung des Konfliktes geben könne, sei es durch einen internen Staatsstreich, wie er im April bereits gescheitert ist, oder durch eine Militärintervention, etwa ausgehend vom Nachbarland Kolumbien.

Rolle Deutschlands und der EU bisher kontraproduktiv

Kritische Worte fand Antillano auch für die Rolle Deutschlands und der EU. Die Anerkennung Guaidós als Präsidenten und die einseitige Unterstützung der Opposition habe zur Eskalation des Konflikts beigetragen. Wichtig sei stattdessen, dass die Bundesregierung und die EU eine gewaltfreie und demokratische Regelung des Konfliktes unterstützen. Dazu gehöre es aktuell, dass sie die Frage der Sanktionen neu entscheiden müsse.

Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Linksfraktion, erinnert daran, dass die Bundesregierung sich bisher eben nicht als unparteiischer Mediator angeboten habe. Durch die völkerrechtswidrige Anerkennung Guaidós habe sie sich klar auf eine Seite gestellt. Die Möglichkeit, von außen eine Vermittlerposition einnehmen zu können, sei allerdings davon abhängig, dass man öffentlich unparteiisch auftrete.

Heike Hänsel verwies auf die politischen Probleme, welche die Anerkennung der Bundesregierung für den „Interimspräsidenten“ der Opposition, Juan Guaido, verursacht haben. Im Mittelpunkt müsse das Bemühen stehen, eine politische Lösung für den Konflikt zu finden, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Der gescheiterte Versuch der Opposition, Ende April einen Militärputsch durchzuführen, verurteilte sie.

Zum Abschluss des Fachgespräches betonte Andrés Antillano, wie wichtig es sei, dass die Bundesregierung und die EU eine unabhängige Außenpolitik verfolge, die sich nicht in die destruktive Politik etwaiger Verbündeter hineinziehen lasse. Eine gewaltfreie und demokratische Lösung für Venezuela müsse das zentrale Anliegen sein. Deutschland und die EU könnten eine positive Rolle spielen, wenn sie sich von der Eskalationsstrategie der USA lösen würden und stattdessen aktiv eine Verhandlungslösung unterstützten.