Von Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Die Europäische Union hat in dieser Woche erneut Sanktionen gegen Venezuela erlassen. Damit konterkariert sie die noch vor wenigen Wochen getätigten eigenen Aussagen, wonach sie mit allen relevanten Akteuren im Gespräch bleiben will, um die humanitäre und wirtschaftliche Lage zu verbessern. Mit der Ausweisung der EU-Botschafterin, Isabel Brilhante Pedrosa, liegen die europäisch-venezolanischen Beziehungen am Boden.
Die neue Sanktionsrunde der EU ist aber nicht nur politisch kontraproduktiv, sondern auch hochgradig verantwortungslos gegenüber der Bevölkerung Venezuelas. Dies bestätigt der kürzlich vorgelegte vorläufige Untersuchungsbericht der UN-Sonderberichterstatterin, Alena Douhan, wonach Sanktionen, auch der EU, die humanitäre und wirtschaftliche Lage in den letzten Jahren in Venezuela extrem verschlechtert haben.
Unbestritten sind die Wirtschaftssanktionen der USA, die inzwischen einer umfassenden Wirtschaftsblockade gleichkommen, schwerwiegender als die Sanktionen der EU gegen Einzelpersonen. Aber gerade das neben den USA auch von EU-Staaten praktizierte Einfrieren venezolanischer Staatsgelder verhindert, dass Venezuela finanzielle Ressourcen zum Beispiel für den Gesundheitssektor zur Verfügung hat.
Unmenschliche Folgen für die Bevölkerung
Die Bundesregierung und EU flankieren seit Jahren die Sanktionspolitik der USA. Kein Wort der Kritik, obwohl die unmenschlichen Folgen für die Bevölkerung offensichtlich sind. Gerade die extraterritoriale Wirkung, indem Unternehmen aus Drittländern Sanktionen angedroht werden, wenn sie weiterhin mit Venezuela Geschäfte machen, sind besonders ruinös. Diese langjährige Praxis der USA, übrigens auch im Fall von Iran und Nordstream II, ist schlichtweg illegal und verletzt das Völkerrecht.
Bundesregierung, EU und USA werden zwar nicht müde, ihre Sanktionen damit zu begründen, die humanitäre Lage sowie die Menschenrechtssituation in Venezuela verbessern zu wollen. Der jüngste UN-Bericht stellt aber vielmehr fest, dass es genau umgekehrt ist: Seit Erhebung der Sanktionen hat sich die wirtschaftliche Lage noch einmal entscheidend verschlechtert. Sie führen zu Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten, Strom und Treibstoff, was insbesondere inmitten einer Pandemie fatal ist. Die Bevölkerung ist davon dramatisch betroffen. Gerade die Behinderung von Nahrungsmittelimporten, die normalerweise mehr als 50 Prozent des Nahrungsmittelverbrauchs ausmachen, hat in den letzten sechs Jahren zu einem stetigen Anstieg der Unterernährung geführt. Mittlerweile sind laut Bericht mehr als 2,5 Millionen Menschen stark von Unterernährung betroffen.
Vereinte Nationen fordern Ende der Sanktionen
Gerade deshalb haben die UN ihre Aufforderung, diese Sanktionen zu beenden, erneuert. Bereits im April letzten Jahres hatten der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, und die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet aufgrund der weltweiten Covid-19-Pandemie dazu aufgerufen, Wirtschafts- und Finanzsanktionen zu beenden, auch gegenüber Venezuela. Nichts war geschehen.
Die EU und die USA ignorieren bewusst die Einschätzungen und Appelle der UN in Bezug auf Venezuela, weil sie an ihrer grundsätzlichen Politik des Regime-Change festhalten wollen. Die neusten Sanktionen, die von der EU erlassen wurden, richten sich nun sogar gegen Oppositionelle. In unerträglicher Überheblichkeit maßt sich die EU an, über „gute“ und „schlechte“ Oppositionelle in Venezuela zu urteilen. So sind auch drei Politiker betroffen, weil sie sich an den Parlamentswahlen vom 6. Dezember 2020 beteiligt hatten. Die Sanktionen der EU treffen also im Grunde alle Personen, die sich nicht auf Linie mit der von der EU unterstützten aber in Venezuela völlig isolierten Oppositionsgruppierung um Juan Guaidó befinden. Dabei hatte ein Bundestagsgutachten von Anfang Februar erneut festgestellt, dass dieses Vorgehen völkerrechtswidrig ist. Zugleich bestätigen der wissenschaftliche Dienst des Bundestages, dass der selbsternannte Übergangspräsident des südamerikanischen Landes, Juan Guaidó, keinen Anspruch mehr auf die Regierungsführung hat. Nun hat sich die Bundesregierung mit dem nach Spanien geflohenen Oppositionspolitiker Leopoldo López als neuen „Hoffnungsträger der demokratischen Kräfte“ getroffen und bleibt damit ihrer Unterstützung von Putschisten treu. Denn dieser „Hoffnungsträger“ López hatte sich bereits an dem Putsch 2002 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Hugo Chávez beteiligt und die damalige Putschregierung unterstützt.
Es bedarf einer Neuausrichtung der deutschen und europäischen Venezuela-Politik, das heißt ein Ende der Sanktionen und ein neuer Anlauf für Dialog und ernsthafte Vermittlung zwischen den verschiedenen politischen Lagern in Venezuela, statt weiterhin die US-gestützte Putschpolitik zu flankieren.