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Untersuchungsausschuss muss gesellschaftliches Klima ändern

Interview der Woche von Dagmar Enkelmann, Jan Korte,

Dagmar Enkelmann verhandelt für die Fraktion DIE LINKE als 1. Parlamentarische Geschäftsführerin die Details des noch nicht eingesetzten Untersuchungsausschusses zum Nazi-Terror. Sie ist skeptisch, was den Aufklärungswillen angeht: »Bei einer Größe von elf Mitgliedern, wie jetzt geplant, können LINKE und Grüne Beweisanträge nur mit einer anderen Fraktion durchbringen. Oder anders gesagt: die großen Fraktionen können z.B. Anträge, die sich auf das Wirken des Kanzleramts beziehen, verhindern.« Jan Korte, Leiter des Arbeitskreises Demokratie, Wissen, Kultur und Bildung der Fraktion, hätte sich »eine noch stärkere Untersuchung der gesellschaftlichen Verankerung des Rechtsextremismus gewünscht.«

 

Dagmar Enkelmann, Sie haben für die Fraktion die Verhandlungen zum Untersuchungsausschuss Rechts-Terrorismus geführt: was wird seine Aufgabe sein?

Dagmar Enkelmann: Seine wichtigste Aufgabe wird sein, dazu beizutragen, das gesellschaftliche Klima zu verändern. Nie wieder darf der Staat bei rechtsextremen Gewalttaten wegsehen und nie wieder dürfen diese über Jahre von Medien als „Döner-Morde“ verharmlost werden. Für DIE LINKE geht es beim Ausschuss nicht nur um die Aufklärung des Versagens der Sicherheitsbehörden, sondern auch darum offen zu legen, welche gesellschaftlichen Bedingungen rechtsextreme Einstellungen begünstigen.

 

Überwog die gemeinsame Überzeugung, dass die Skandale aufgeklärt werden müssen oder gab es parteipolitisch motivierte Rangeleien?

Dagmar Enkelmann: Im November gab es bekanntlich erstmals einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller Fraktionen, in dem die rechtsextremen Gewalttaten eindeutig verurteilt wurden. Das war ein wichtige Grundlage für die folgenden Gespräche zum Untersuchungsausschuss. Unterschiedliche Auffassungen gibt es allerdings um die Ausschussgröße, die sich auf das Beweisantragsrecht durch einzelne Fraktionen auswirkt, um die „Weite“ des Untersuchungs-Gegenstandes sowie um das Verhältnis zur Bund-Länder-Kommission.

Bei einer Größe von elf Mitgliedern, wie jetzt geplant, können LINKE und Grüne Beweisanträge nur mit einer anderen Fraktion durchbringen. Oder anders gesagt: die großen Fraktionen können z.B. Anträge, die sich auf das Wirken des Kanzleramts beziehen, verhindern. Diese „Rangeleien“ wird es ganz sicher in der Arbeit des Ausschusses geben.

 

Sind Sie mit dem Auftrag des Ausschusses zufrieden?

Jan Korte: Soweit ich das bislang einschätzen kann ist der Auftrag im Großen und Ganzen ok. Wir hätten uns allerdings eine noch stärkere Untersuchung der gesellschaftlichen Verankerung des Rechtsextremismus gewünscht. Mit einem alleinigen Blick auf „Versäumnisse“ oder zu optimierende Strukturen der Sicherheitsbehörden ist es ja nicht getan. Die entscheidende Frage lautet aus meiner Sicht, inwieweit die Behörden selbst in die Neonazistrukturen involviert waren und warum nichts gegen den Terror der NSU unternommen wurde.

 

Sehen Sie eine Möglichkeit, die Rolle der Geheimdienste aufzuklären?

Jan Korte: Ich fürchte, dass das nur ganz begrenzt geschehen kann. Ein echtes Interesse daran hat ja nicht einmal die gesamte Opposition. Schon in den letzten Wochen wurde deutlich, dass die Behördenchefs zwar Asche über ihr Haupt streuen, allgemeines tiefes Bedauern äußern, ja selbst von Versagen reden, aber ansonsten alles tun, um die Geheimhaltung aufrechtzuerhalten. Weder gibt es Anstalten das lebensgefährliche V-Leute System zu beenden, noch, dass den Innenausschüssen konkretes Material an die Hand gegeben wird, um solche mörderischen Entwicklungen einzugrenzen.

 

Neben dem Untersuchungsausschuss wird es einen Ermittlungsbeauftragten und eine Bund-Länder-Kommission geben. Warum so kompliziert?

Dagmar Enkelmann: Das hat zwei wesentliche Gründe. Zum einen ist die Zeit bis zum Ende der Legislatur knapp bemessen. Selbst wenn der Ausschuss Tag und Nacht durcharbeitete, würde es schwer fallen, alle Unterlagen selbst zu sichten. Ein Teil dieser Arbeit wird der Ermittlungsbeauftragte übernehmen. Damit hat der BND-Untersuchungsausschuss gute Erfahrungen gemacht. Die Bund-Länder-Kommission, die insbesondere die Arbeit der Sicherheitsbehörden untersuchen soll, hatte anfangs offensichtlich die Funktion, einen Untersuchungsausschuss zu verhindern. Es bleibt aber als Problem, dass für einen Teil der betroffenen Sicherheitsbehörden die Länder zuständig sind. Die Bereitschaft zur Kooperation mit dem Bund ist bislang nur eingeschränkt erklärt.

 

Besteht nicht die Gefahr, dass Verantwortlichkeiten zwischen Landes- und Bundesbehörden hin- und hergeschoben werden?

Jan Korte: Was heißt Gefahr – genau das geschieht doch seit dem ersten Tag. Seit dem Bekanntwerden der rechtsextremen Hintergründe der Mordserie und den Verwicklungen der diversen Geheimdienste werden von den Verantwortlichen in den Ländern föderale Strukturen in unglaublicher Weise missbraucht, um vor dem Bundestagsinnenausschuss nicht vollumfänglich aussagen zu müssen. Und es ist genauso unglaublich, wenn Bundesbehörden dasselbe gegenüber den Länderparlamenten veranstalten. Es ist doch Wahnsinn, dass in einer solchen Sache jede Information praktisch vor Gericht eingeklagt oder von investigativen Journalisten recherchiert werden muss, statt dass die Verantwortlichen ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen gerecht werden. Das wirft hier übrigens auch ein Licht auf das, was regierungsoffiziell unter „Innerer Sicherheit“ verstanden wird.

 

Was trauen Sie dem Ausschuss zu?

Dagmar Enkelmann: Erklärter Wille von allen ist umfassende Aufklärung und gemeinsame Arbeit an den nötigen Schlussfolgerungen. Unsere Mitglieder im Ausschuss haben einiges zu leisten, um das auf einen erfolgreichen Weg zu bringen.

 

Welche Ergebnisse erwarten Sie?

Jan Korte: Ich erwarte einen Mehrheitsbericht, der die schon längst getroffenen Maßnahmen – Zentrum gegen Rechts, Verbunddatei und mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste, also weitere Zentralisierung der Behörden und tiefe Eingriffe in Grundrechte – als alternativlos und unverzichtbar erklärt. Und ich erwarte von uns einen Minderheitenbericht, der die systembedingte Verharmlosung des Rechtsextremismus, den Geheimhaltungswahnsinn und das Agentenspiel der Sicherheitsbehörden als Teil der Ursachen besser herausarbeitet. Erhoffen würde ich mir ein Ergebnis, das zeigt, dass die zivilgesellschaftlichen Strukturen gegen Rechtsextremismus gestärkt, ermutigt, vernetzt, großzügig finanziert und nicht weiterhin mit Extremismusklauseln traktiert und ins Zwielicht gestellt werden. Klar ist aber auch: Nur wenn Medien und kritische Öffentlichkeit den Untersuchungsausschuss und das Thema weiterhin intensiv begleiten, wird überhaupt was Substantielles rauskommen.

 

 

www.linksfraktion.de, 23. Januar 2012