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»Unsere Ideen wirken dennoch«

Interview der Woche von Lukrezia Jochimsen, Niema Movassat,

Luc Jochimsen ist mit 73 Jahren die älteste Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Niema Movassat mit 25 der jüngste. Luc Jochimsen wurde wiedergewählt, Niema Movassat hat zum ersten Mal ein Mandat erhalten. linksfraktion.de sprach mit den beiden über Krieg, Formen des Protestes und die Rolle des Alters in der Politik.

DIE LINKE fordert als einzige Partei:„Raus aus Afghanistan“. Sie sind beide dafür bekannt, in der Politik und persönlich besonders engagiert gegen den Krieg einzutreten. Wie kommt das?

Luc Jochimsen: Dadurch, dass ich so alt bin, wie ich bin. Ich war drei, als der Zweite Weltkrieg begann, und sechs, als meine Familie in Düsseldorf ausgebombt wurde und alles verlor. Viele meiner Mitschüler starben in einem Bombenangriff. Ich werde nie vergessen, wie all diese toten Kinder im Klassenzimmer aufgebahrt wurden.

Haben Sie den Krieg auch am eigenen Leib erlebt?

Luc Jochimsen: Ja. Ich bin durch Phosphorbomben verbrannt worden und erlitt einen Oberschenkeldurchschuss durch Splitter. Meine ganze Kindheit war geprägt von diesem Krieg.

Niema, Sie sind 25 und haben nie Krieg erlebt. Woher kommt Ihre Antikriegs-Haltung?

Niema Movassat: Durch den Kosovokrieg 1999. Als Deutschland in den ersten Krieg seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zog, war ich fünfzehn. Da fing ich an, über Krieg und Frieden nachzudenken, und trat in die damalige PDS ein. Die Frage von Krieg und Frieden ist einer meiner gewichtigsten politischen Beweggründe.

Luc Jochimsen: Wie bei mir. Wenn es ein Hauptmotiv gibt, warum ich mit 73 überhaupt noch eine zweite Legislatur mitmache, dann ist es dieser starke innere Wunsch mitzuwirken, dass dieser Krieg in Afghanistan aufhört, dass wir uns endlich zurückziehen, dass wir als große Opposition mit anderen zusammen unsere guten Argumente durchsetzen und die militaristische Politik der Bundesregierung endlich stoppen.

Was kann da konkret getan werden?

Luc Jochimsen: Wir müssen die Demonstrationskultur wieder aufleben lassen, wie damals während des Irakkrieges. Damals gingen Millionen auf die Straße. Solche Formen des Protestes sind wichtig, denn Umfragen allein, in denen die Mehrheit den Krieg ja immer wieder ablehnt, beeindrucken die Politiker nicht. Es wäre großartig, wenn wir wie beim Irakkrieg zeitgleich mit Millionen Menschen in anderen großen europäischen Metropolen auf die Straßen gingen. Immerhin: In Sachen Afghanistan findet gerade ein Erosionsprozess statt. In vielen Ländern Europas wird dieser Krieg immer intensiver diskutiert, regt sich immer mehr Protest. Früher oder später wird Deutschland auch Druck von außen erleben.

Niema Movassat: Man muss beim Thema Krieg immer die Rolle des Staats bedenken. Ich erinnere mich, wie sich damals bei den Irakprotesten auch die Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) öffentlichkeitswirksam gegen den Krieg gestellt hat. Für die Proteste haben wir dann sogar schulfrei und technische Unterstützung bekommen. Jetzt ist das anders. Die Regierung will diesen Krieg. Obwohl über zwei Drittel der Menschen gegen den Krieg und die Hälfte für einen sofortigen Abzug sind.

Luc Jochimsen: Stellen wir uns mal vor, die Sozialdemokraten würden sich jetzt in der Opposition umformieren und der frühere Außenminister Steinmeier wäre plötzlich gegen den Krieg. Dann wäre da eine ganz andere Bewegung. Auch, wenn es wahrscheinlich nicht wieder schulfrei gäbe.

Was kann die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag gegen den Krieg unternehmen?

Niema Movassat: Wir werden das Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen, so wie schon in den letzten Jahren. Wann immer es geht, werden wir Afghanistan-Friedensvorschläge vorlegen, der Entsendung weiterer Soldaten widersprechen und den sofortigen Abzug der Bundeswehr fordern. Zudem werden wir alle Initiativen der Friedensbewegung, egal wie klein sie sein mögen, parlamentarisch wie außerparlamentarisch unterstützen.

Luc Jochimsen: Man sollte nicht unterschätzen, was sich in der Bundeswehr selbst tut. Neulich sprach ich mit zwei Grundauszubildenden, die gerade auf dem Weg in die Kaserne waren. Sie erzählten, dass ihnen der Kommandeur gesagt habe: „Wenn sich einer von euch für Afghanistan meldet, dann mach ich ihn so fertig, dass ihn die Mutter nicht mehr erkennt.“ Aus Fürsorge. Nach dem Motto: Seid doch nicht so blöd und geht in diesen sinnlosen Krieg!

Niema, wie fühlten sich die ersten Tage als Abgeordneter an?

Niema Movassat: Eine unglaubliche Umstellung. Allein, was da an Post kommt - jeden Tag ein riesiger Stapel. Zum Glück bekomme ich den relativ schnell reduziert, weil bis zu 80 Prozent Lobbyistenbriefe dabei sind - Banken oder Versicherungen, die zu Gesprächen einladen wollen. Dazu ein Termin nach dem anderen. Der Wahnsinn.

Luc Jochimsen: Ich habe das auch erlebt. Zwar hatte ich durch meine Arbeit als Chefredakteurin langjährige Erfahrung - aber dennoch, dass hier ist etwas ganz anderes. Zum Beispiel das Rednerpult. Ich habe ja in meiner Zeit als Fernsehjournalistin weiß Gott viele Reden gehalten. Aber dieses Rednerpult im Bundestag, das ist schon ein ganz besonderer Ort, an dem man seine Gedanken und Argumente vorbringt.

Können Sie sich noch an Ihre erste Rede erinnern?

Luc Jochimsen: Da hatte ich ein ganz sonderbares Lampenfieber, eines, das ich bis dahin nie hatte. Trotz all der Jahrzehnte vor Kameras und Mikrophonen.

Niema, was geht Ihnen angesichts des Rednerpults durch den Kopf?

Niema Movassat: Ich freue mich wahnsinnig darauf, und ich halte auch gerne Reden. Aber dieses Pult ist schon sehr Respekt einflößend.

Luc Jochimsen: Die Jungfernrede wird ja auch immer ganz besonders hervorgehoben. Da gilt auch die Regel, dass es keine Zwischenrufe gibt. Anschließend klatschen sogar alle, selbst, wenn du von der Linksfraktion bist.

Niema Movassat(schmunzelt): Wunderbar, dann kann man ja was richtig Provozierendes sagen. Nein, Spaß beiseite: Ich freue mich darauf, endlich inhaltlich arbeiten zu können, sobald die Zeit der Eingewöhnung vorbei ist.

Luc Jochimsen: Niema, studierst du noch Jura?

Niema Movassat: Nein, ich bin gerade fertig geworden.

Luc Jochimsen: Wunderbar, ich wollte gerade die Großmutter raushängen lassen und sagen: „Junge, mach bloß einen Fehler nicht, und werde als abgebrochener Student Berufspolitiker.“

Niema Movassat: Mir war es sehr wichtig, als Jurist mein erstes Examen zu haben. Jetzt bin ich Diplomjurist und nicht abhängig von der politischen Laufbahn. Diese Unabhängigkeit ist mir ganz wichtig.

Luc, welchen Ratschlag würden Sie als erfahrene Parlamentarierin Ihrem jungen Kollegen geben?

Luc Jochimsen: Bloß nicht Bange machen lassen vor den Ritualen im Parlament, sich nicht einschüchtern lassen und nichts persönlich nehmen. Wenn du in einem Ausschuss etwas vorträgst, gute Argumente bringst, und Vertreter von anderen Parteien vielleicht sogar Zustimmung signalisieren, sie stimmen dich doch immer wieder eiskalt nieder. Nimm das bloß nicht persönlich!

Hat Ihr Alter im Wahlkampf eine Rolle gespielt, auf der Straße oder bei Kollegen?

Niema Movassat: Ich hatte nur wenige negative Erlebnisse. Viele sagten, endlich mal ein junger Mensch - fein so. Vor allem an den Wahlkampfständen habe ich solche Reaktionen erhalten. Auch die örtliche Presse hat eher positiv reagiert. Nur wenige sagten: Ach, so ein junger Mann. Was soll das denn? Einer aus der Partei sagte mir: Erst einmal studieren, dann zwanzig Jahre arbeiten und dann kandidieren!

Was haben Sie geantwortet?

Niema Movassat: Ich sagte ihm, der Bundestag soll doch eine Volksvertretung sein. Also auch eine Vertretung der jungen Menschen, der Migranten - eben aller Mitglieder der Gesellschaft. Und da hakt es derzeit noch. Wir haben kaum Migranten im Deutschen Bundestag, einen zu geringen Anteil an Frauen und eben auch zu wenig junge Abgeordnete.

Luc Jochimsen: Wobei wir als Linksfraktion beim Frauenanteil eine positive Ausnahme darstellen.

Niema Movassat: Stimmt, wir sind da vorbildlich, wir haben mehr Frauen als Männer im Bundestag, bei SPD und CDU sieht das ganz anders aus. Zudem hat die Linksfraktion mit mir, Sevim Dagdelen und Raju Sharma drei Abgeordnete mit Migrationshintergrund.

Luc, spielte bei Ihnen das Alter eine Rolle?

Luc Jochimsen: Bei meiner Kandidatur 2001. Da erzählte mir ein Genosse, dass er aufgefordert wurde, bloß nicht den alten Drachen zu wählen. Womit ich gemeint war. Ich fand diese Bezeichnung aber so schön und so griffig, dass ich das gleich mal in einer Rede verwendet habe: „Achtung, hier kommt jetzt der alte Drache!“

Und beim jetzigen Wahlkampf?

Luc Jochimsen: Da habe ich ähnlich Positives wie Niema erlebt. Aber halt in Bezug auf das hohe Alter. Ältere Leute kamen auf mich zu und sagten, es sei großartig, dass ich mich zur Wahl stelle. Wir Alten müssten selbstbewusst sein, es gebe so viele Alte in dieser Gesellschaft. Wer könnte deren Lebensgefühl und Ängste besser vertreten als jemand, der auch so alt ist? Da habe ich sehr viel Zuspruch erfahren.

Luc, was kann aus Ihrer Sicht die Linksfraktion durch junge Parlamentarier wie Niema gewinnen, wird sie damit noch stärker?

Luc Jochimsen: Ich persönlich setze darauf, dass die jungen Abgeordneten in Sachen Neue Medien, Internet und Virtuelles, also neue Kommunikationssysteme, viel einbringen, weil sie in dieser Welt aufgewachsen sind. Auf so etwas ist eine Fraktion angewiesen und profitiert enorm davon.

Ein Blick nach vorne. Die SPD hat jetzt neben der Linksfraktion auf der Oppositionsseite im Bundestag Platz genommen. Was heißt das für die parlamentarische Arbeit?

Luc Jochimsen: Einerseits müssen wir unsere bisherige gute Arbeit fortsetzen, unsere Ideen und Positionen immer wieder ins Parlament einbringen. Ganz wichtig dabei sind zwei Mittel: Debatte und namentliche Abstimmung. Weil wir darauf insistieren, vor allem in Sachen namentliche Abstimmung, kann sich kein Abgeordneter verstecken - wie so oft bei den Sozialdemokraten. An der Basis sagen sie, ich war dagegen und im Parlament stimmen sie dafür - das wird nicht mehr so einfach, wenn wir die namentliche Abstimmung fordern.

Niema Movassat: Und wir werden aufpassen, wenn die SPD anfängt, links zu blinken. Wir haben ja gesehen, wie die SPD in den letzten Jahren immer rechts, also neoliberal, gefahren ist. Von einem taktischen Blinken werden wir uns nicht beeindrucken lassen. Einer links blinkenden SPD werden wir immer den Spiegel vorhalten und sagen: Liebe SPD, jetzt bist du für einen Mindestlohn, warum nicht schon vorher? Warum plötzlich Börsenumsatzsteuer? Ihr hättet das alles schon haben können, vorher.

Luc Jochimsen: Ganz genau, warum hat die SPD das nicht gemacht, als sie konnte?

Niema Movassat: Diese Frage werden wir immer wieder stellen. Bisher hat die SPD jedenfalls keinen Schnitt gemacht. Steinmeier ist weiter dabei, sogar Fraktionsvorsitzender. Ich sehe keine wesentliche Veränderung.

Luc Jochimsen: Umso mehr müssen wir anknüpfen an unserer Beharrlichkeit. Auch wenn die anderen Parteien unsere Vorschläge immer ablehnen, unsere Ideen wirken dennoch. DIE LINKE wirkt, das hat die vergangene Legislaturperiode in vielen Bereichen bewiesen.

Interview: Benjamin Wuttke