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Uns geht es um einen Politikwechsel, den anderen um einen Austausch von Personen

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Merkels Kurs durch die Krise, Steinbrücks Fettnäpfchenhüpfen in Richtung Kanzleramt, Altmaiers Limbo aus der Atomenergie heraus und Berlins Flughafendauerbaustelle. Durchwurschteln "ist bereits ein Markenzeichen nicht der Deutschen, sondern der Politik von Union, FDP, SPD und Grünen", bedauert Gregor Gysi. Im Interview spricht er über Stühlerücken in Hannover und Berlin, die Bedeutung der französisch-deutschen Freundschaft, die Krise der deutschen Autohersteller sowie über die Vorhaben der Bundestagsfraktion in den kommenden Monaten.

Am 22. Januar heißt es Stühlerücken im Bundestag. Die komplette französische Nationalversammlung reist in Berlin an, um mit dem deutschen Parlament den 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages und die deutsch-französische Freundschaft seit 1963 zu feiern. Finden Sie den Aufwand gerechtfertigt, der hier betrieben wird?

Gregor Gysi: Durchaus. Ohne die Bereitschaft Frankreichs zur Aussöhnung mit Deutschland wäre Frieden in Europa nicht stabil gewesen, hätte es keine europäische Integration gegeben, deren Motor die deutsch-französische Freundschaft war, ist und bleibt.

Beim Geschäft hört bekanntlich die Freundschaft auf. Medien berichten, dass die französische Regierung den Autobauer Peugeot-Citroën drängt, den angeschlagenen Opel-Konzern zu übernehmen. Wenn dem so ist: Was halten Sie von einem solchen Vorhaben?

Das ist derzeit noch schwer zu beurteilen. Peugeot-Citroën wird Opel überhaupt nur dann übernehmen können, wenn General Motors beabsichtigte, den europäischen Standort Opel aufzugeben, wofür es aktuell keine Anzeichen gibt. Wenn es das Vorhaben dennoch geben sollte, dann bedeutete das eine Neustrukturierung des europäischen Automarktes, bei der niemand weiß, ob Opel als eigenständiges Unternehmen weiter existieren würde.

Auch in Niedersachsen ist mit Volkswagen ein Autohersteller wichtiger regionaler Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber. Droht Merkels Spardiktat in der EU-Krise auch den Autoexporteuren in Wolfsburg auf die Füße zu fallen?

Die Eurokrise ist bei den deutschen Autobauern angekommen. Nicht nur bei Opel, auch bei VW. Der Betriebsrat von VW in Wolfsburg, den ich kürzlich traf, sprach von Exporteinbrüchen insbesondere gegenüber Frankreich und Italien, die allerdings durch die gestiegenen Ausfuhren nach China und in die USA kompensiert werden konnten.

Zum Stühlerücken kommt es auch in Hannover nach der Landtagswahl am 20. Januar. Sie sind jetzt seit Jahresbeginn fast ununterbrochen in Niedersachsen unterwegs. Welche Erwartungen haben die Menschen hier an DIE LINKE?

Dass sie in erster Linie Druck macht und die ganze Palette von Defiziten der derzeit herrschenden Politik kritisiert und Alternativen dazu aufzeigt. Angefangen von den völlig unterfinanzierten Kliniken, den immer noch erhobenen Studiengebühren, den fehlenden Krippen und Krippenplätzen, denn Niedersachsen ist mit einer Versorgung von 22 Prozent noch weit von der Quote von 35 Prozent entfernt. Auch bei den Schulen hinkt Niedersachsen hinterher. Hier fordert DIE LINKE die flächendeckende Einführung von integrierten Gesamtschulen. Und die Bürgerinnen und Bürger erwarten auch das Ende von Gorleben und Asse. Auch dafür steht DIE LINKE, ohne sich Hintertürchen wie die anderen Parteien offen zu halten.

Spielt Bundespolitik eine Rolle in diesem Wahlkampf?

Immer mehr. Aber hier muss man zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung unterscheiden. Die Medien stilisieren den Wahlkampf in Niedersachsen zu einem Lagerwahlkampf zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün hoch, bei der DIE LINKE so gut wie gar nicht mehr Erwähnung findet. Hier muss DIE LINKE deutlich machen, dass es den anderen um einen Austausch von Personen, ihr aber um einen Politikwechsel geht. Mehr Kita- und Krippenplätze, mehr Bildung und flächendeckende Gemeinschaftsschulen und die Abschaffung der Studiengebühren gibt es nur mit der LINKEN. Interessant ist die Zweitstimmenkampagne der Union, um die FDP doch noch über die Fünf-Prozent-Hürde zu puschen. Wenn das in Niedersachsen funktioniert, steht bei der Bundestagswahl eine Wiederholung an.

Die Bundestagsfraktion hat gerade auf ihrer Neujahrsklausur in Hannover die Weichen für die Arbeit in den kommenden Monaten gestellt. Was will DIE LINKE vor der Bundestagwahl noch alles auf den Weg bringen?

Wir haben auf unserer Klausur in vier Bereichen wichtige Vorschläge erarbeitet. Die Palette reicht von der Schaffung einer Bundesfinanzpolizei, die viel effektiver Geldwäsche, Steuerflucht und Steuerhinterziehung bekämpfen kann als die bisher dafür zuständigen Zollämter; der Möglichkeit eines freiwilligen Ausstiegs aus der Riesterrente bei Mitnahme der Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung, da die Riesterrente gerade für die gering Verdienenden ein Flop ist. Wir fordern eine strikte Begrenzung der Mietsteigerungen und die Wiederaufnahme des sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbaus, denn gerade in den Ballungsgebieten explodieren vielerorts die Mieten. Und die Maßnahmen der Bundesregierung sind ebenso unzureichend wie die Forderungen der SPD, die auf halbem Wege stehen bleiben.
Und wir haben als erste Fraktion überhaupt Vorschläge zur sozialen Sicherung - von der Kranken- über die Renten- bis zur Arbeitslosenversicherung - von Selbstständigen und Freiberuflern vorgelegt, deren Einkommen vielfach sehr gering sind. Es handelt sich um ein Dialogangebot, das wir mit dem betroffenen Personenkreis diskutieren wollen.
Darüber hinaus werden im Bundestagswahlkampf die prekäre Beschäftigung, die Renten und Altersarmut, die Ost-West-Angleichung der Löhne und Renten, Mieten und Wohnungsbau, die Eurokrise und die Auslandseinsätze der Bundeswehr aus unserer Sicht eine zentrale Rolle spielen. Ebenso müssen wir uns den Themen stellen, die andere aufwerfen und Antworten darauf geben.

So viel zum Wollen. Und was davon kann sie umsetzen bis September?

Es muss uns gelingen, den herrschenden Zeitgeist zu verändern, in dem wir mit unseren Themen durchdringen, so dass sich die anderen Parteien mit unseren Anliegen wie der prekären Beschäftigung, der zunehmenden Altersarmut und so weiter befassen und Schritte zur Änderung gehen müssen. Wenn uns das in möglichst vielen Bereichen gelingt, dann hat DIE LINKE auch einen steigenden Wert für die Bürgerinnen und Bürger, so dass sie uns auch wählen werden.

Merkels Kurs durch die Krise, Steinbrücks Fettnäpfchenhüpfen in Richtung Kanzleramt, Altmaiers Limbo aus der Atomenergie heraus und Berlins Flughafendauerbaustelle: Wird Durchwurschteln neues Markenzeichen der Deutschen?

Es wird nicht, sondern es ist bereits ein Markenzeichen nicht der Deutschen, sondern der Politik von Union, FDP, SPD und Grünen. Das ist besonders deutlich geworden in der Eurokrise, aber auch in der Innenpolitik. Stichworte: Herdprämie, Riesterrente. Das hat auch damit zu tun, dass im finanzgetriebenen Kapitalismus das Primat der Finanzwirtschaft politische Entscheidungen immer stärker beeinflusst und die Politik an Gestaltungsmöglichkeiten und –fähigkeiten eingebüßt hat. Stichwort: Schuldenbremse bei uns und Fiskalpakt auf europäischer Ebene.

linskfraktion.de, 14. Januar 2013