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Unregulierte Finanzmärkte gefährden Stabilität, Wachstum und Beschäftigung

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Von Oskar Lafontaine

Laut schrillten in allen Medien die Alarmglocken, als die US-Hypothekenkrise vor einigen Wochen auch deutsche Banken erreichte. Dass mit der IKB und der SachsenLB sogar der öffentliche Bankensektor als erster ins Trudeln geriet, offenbarte schlagartig die ganze Tragweite der tiefen Vertrauenskrise. Nun muss auch Branchenprimus Deutsche Bank, der nicht zuletzt die IKB mit ins Rutschen gebracht hat, selbst Verluste von 2,2 Milliarden Euro bilanzieren.

Die Zentralbanken versuchten mit dreistelligen Liquiditätsspritzen die Kreditblockade aufzulösen. Sie haben damit bisher Schlimmeres verhindert. Dass diese Interventionen anhalten, dass die EZB plötzlich vor angekündigten Zinserhöhungen zurückschreckt und die US-Notenbank über weitere Zinssenkungen öffentlich nachdenkt, zeigt jedoch, dass die Gefahren nicht gebannt sind.

Von der Bundesregierung ist außer dem müden Ruf nach mehr „Transparenz“ nicht viel zu hören. Was aber muss die Politik tun, um die offensichtlichen und systemischen und deshalb immer gefährlicheren Mängel zu korrigieren?

Jahrzehnte galt die Liberalisierung der Finanzmärkte als der Königsweg der Globalisierung, als Schlüssel für mehr Transparenz und Risikostreuung. Jetzt schreckt die Welt auf: Risiken wurde zwar breiter verteilt, aber erkauft mit dem Effekt, dass alle gleichzeitig aussteigen. Wir haben heute nicht mehr, sondern weniger Stabilität, verbunden mit weniger Transparenz. Vor allem die Ausgliederung von Krediten und ihrer Risiken aus den Büchern der Banken über sog. Kreditverbriefungen an kaum lokalisierbare Finanzmarktagenten in aller Welt hat die Verletzlichkeit des Gesamtsystems deutlich erhöht.

Hier muss die Politik re-regulierend gegensteuern. Das Kompetenzgerangel zwischen Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen ist dabei ein nicht unwichtiges Detail des Versagens der Bankkontrolle. Die deutsche Bankenaufsicht muss stärker öffentlich gesteuert und zugleich reformiert werden. Es kann nicht sein, dass die Ausplatzierung von Risiken aus den Büchern zur massenhaften Praxis wird und die Bankenaufsicht aus allen Wolken fällt, wenn es knallt. Verbriefte Kredite müssen ausnahmslos der Beaufsichtigung unterworfen werden. Die Bankenaufsicht muss EU-weit harmonisiert werden, damit Länder wie z.B. Irland nicht durch lasche Kontrollen die Standards anderer EU-Länder unterlaufen. Auf Länderebene sind Regelungen zu treffen, die den Renditedruck der Landesbanken mindern, z.B. durch eine stärkere Ausrichtung auf die regionale Wirtschaftsförderung. Die Verwaltungsräte müssen stärker in die Pflicht genommen werden und z.B. ihr gutachterlich bestätigtes Weisungsrecht gegenüber Management ausüben. Auch über die Haftung des Managements und der Aufsichtsorgane muss geredet werden dürfen.

Die Kreditfinanzierung von Finanzanlagen und Unternehmensaufkäufen muss begrenzt werden, die Eigenkapitalunterlegung von Kreditverbriefungen ist überfällig, Leerverkäufe gehören untersagt, die Rekapitalisierung, d.h. die Übertragung von Schulden der Aufkäufer an übernommene Unternehmen darf nicht fortgesetzt werden.

Die Krise hat die hohe Anfälligkeit der privaten Alterssicherung von den Turbulenzen auf den Finanzmärkten deutlich gemacht: Allein die Pensionsfonds der Dax-Konzerne registrierten durch die Finanzkrise Verluste von bis zu 10 Milliarden Euro. Die Debatte über die Privatisierung der Alterssicherung gewinnt neue Aktualität. Das Engagement von Pensionsfonds und Lebensversicherungen in Private-Equity-Fonds, Hedgefonds und bonitätsschwachen Kreditkonstrukten muss gestoppt werden, um unabsehbare Konsequenzen für die Rentnerinnen und Rentner zu verhindern. Dass die Rücklagen nun auch von Fondsmanagern verzockt werden, zeigt, dass nichts dafür spricht, dass Kapitaldeckungsverfahren die Renten sicherer machen.

Die G8-Initiative zu Hedgefonds ist durch die Finanzkrise zur Lachnummer verkommen. Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, Initiativen für internationale Vereinbarungen anzustoßen, die weitgehend unkontrollierte Praxis der Finanzmarktakteure zu regulieren. Überfällig ist z.B. ein aus Beiträgen der Finanzinvestoren gebildeter europäischer Stabilitäts- und Sicherungsfonds in Anlehnung an den deutschen Einlagensicherungsfonds, damit in Zukunft nicht die Steuerpflichtigen und die Notenbanken haften. Der auf eine halbe Trillion Dollar explodierte Derivatehandel darf nur noch auf regulierten Terminbörsen stattfinden. Das sog. Basel-II-Regelwerk muss die Kreditverbriefungen einbeziehen und endlich auch in den USA gelten.

Der auch bei uns boomende Verkauf notleidender Hypothekenkredite von Banken an für die Betroffenen unbekannte Finanzinvestoren darf nicht ohne Zustimmung der Darlehensnehmer stattfinden. Hedgefonds sind beim Handel und Weiterverkauf von „notleidenden Krediten“ äußerst aktiv und aggressiv, mit schlimmen Folgen für die betroffenen Darlehensnehmer, die skandalösen Fälle gingen durch die Medien. Es ist empörend, dass die Bundesregierung die Hedgefonds jetzt auch noch steuerlich fördern will, das zusätzliche Steuerbonbon für die Fondsmanager („carried interest“) gehört ersatzlos gestrichen. In Großbritannien plant die Regierung gerade, die Steuern für Private-Equity-Geschäfte drastisch zu erhöhen, in den USA fordern Abgeordnete beider großen Parteien, die Steuern für Buyout-Geschäfte der Hedge- und Private-Equity-Fonds mehr als zu verdoppeln! DIE LINKE hat den Antrag gestellt, die Hedgefonds in Deutschland zu verbieten.

Die Praxis der Ratingagenturen, gerade die Finanzprodukte zu bewerten, mit denen sie große Geschäfte machen, ist unerträglich. BaFin-Chef Sanio hat die Ratingagenturen als die „größte unkontrollierte Macht der Finanzmärkte“ bezeichnet. Es soll nicht vergessen werden, dass Standard&Poor’s im Jahr 2002 bei der Bewertung der Hartz-Reformen angedeutet hatte, Deutschlands Rating herabzustufen, falls die Reformpolitik ins Stocken gerät. Eine staatliche Ratingagentur, die unabhängig von Finanzmarktakteuren die Risiken objektiv einschätzt, ist ein Ausweg aus diesem Dilemma.

Mit einer Börsenumsatzsteuer würde die öffentliche Hand Mittel aus dem Spekulationskreislauf abschöpfen, das geht ohne Probleme in Großbritannien und den USA, den „Mutterländern“ des Finanzmarktkapitalismus. Auch die Tobin-Steuer zur Besteuerung von Devisentransaktionen ist aktueller denn je.

Schließlich zeigt die extreme Volatilität der Spekulation mit Zinsdifferenzen zwischen Niedrigzinsländern wie Japan und Hochzinsländern wie USA oder Neuseeland über so genannte carry trades: Die seit langem erhobene Forderung eines Systems fester Wechselkurse, das deren politisch gesteuerte Anpassung an die realen Austauschbedingungen erlaubt, ist richtig. Dabei kann an die Arbeiten der von Paul Volcker geleiteten Bretton-Woods-Kommission von 1994 angeknüpft werden.

Die Finanzkrise dauert an. Hunderte Milliarden Euro an Risiken verbergen sich hinter verbrieften Unternehmenskrediten. Alan Greenspan schätzt, dass Großbritannien in einer noch kritischeren Situation als USA ist, auch dort sinken die Immobilienpreise, auch dort erwartet wegen der zinsvariablen Hypotheken die Hausbesitzer sprunghaft steigende Monatsraten. Die Krise droht dem viel zitierten und bisher fast ausschließlich Export-gestützten Aufschwung das Licht auszublasen, zumal die von der Politik mit zu verantwortende Lohnentwicklung in Deutschland verhindert, dass die Binnenkonjunktur anspringt. Der Ifo-Index fällt das vierte Mal in Folge, der IWF senkt in Folge der Finanzkrise die 2008-Prognose für die Weltwirtschaft und Deutschland um jeweils 0,4 %. die Commerzbank konstatiert: „Der Boom in Deutschland ist zu Ende.“ Die Lehren sind klar: Die Re-Regulierung des Finanzsektors ist überfällig.

Von Oskar Lafontaine

linksfraktion.de, 11. Oktober 2007