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Ungebremst in die Mietenexplosion

Interview der Woche von Heidrun Bluhm-Förster, Caren Lay,

Heidrun Bluhm, wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Caren Lay, verbraucherpolitische Sprecherin, im Interview der Woche über steigende Mieten, die Mietpreisbremse der Koalition, die diesen Namen nicht verdient, Wohnungsnot, Sozialen Wohnungsabu und Luxusbau für Reiche

 

Die »Mietpreisbremse« der Großen Koalition nennen Sie einen "Ettikettenschwindel". Wieso das denn?

Caren Lay: Was die Bundesregierung hier als sogenannte Mietpreisbremse verkauft, ist ein Etikettenschwindel. Sie ist so effektiv, wie mit einer Fahrradbremse einen LKW bremsen zu wollen. Ein zentrales Problem sind die zahlreichen Ausnahmen im Gesetz: So sind zum Beispiel Neubauten von der Mietpreisbremse ausgenommen. Das macht nicht die nur Wohnung im Neubau teuer, sondern durch die Berechnungsweise des Mietspiegels auch die der Oma nebenan.

Das ist aber nur ein Pferdefuß im Gesetz. Ob die Mietpreisbremse überhaupt umgesetzt wird, liegt in der Hoheit der Länder. Daher ist es unwahrscheinlich, dass wir eine flächendeckende Mietpreisbremse bekommen. CDU-regierte Länder können einfach blockieren. Noch dazu ist sie dann beschränkt auf Gebiete mit "angespannten Wohnungsmarkt". Und selbst wenn man dort lebt, wo es sie gibt, sind Mietenexplosionen immer noch möglich. Denn die gesetzliche Erlaubnis, die Mieten 10 Prozent über die örtliche Vergleichsmiete bei Neuvermietung zu erhöhen, kann in der Praxis bedeuten, dass Verdoppelungen der Miete und mehr locker drin sind. Eine  ehemals günstige Wohnung kann dann zu mehr als den ortsüblichen Mieten angeboten werden. Das ist doch absurd.

In vielen Ballungsräumen fehlt bezahlbarer Wohnraum. Ist es da nicht ein gutes Zeichen, dass die Zahl der Baugenehmigungen in den letzten Jahren gerade für Mehrfamilienhäuser deutlich gestiegen ist?

Heidrun Bluhm: Wir kommen aus dem historischen Tief von 148.000 Baugenehmigungen im Jahr 2008. Da sind zweistellige Steigerungsraten leicht möglich. Entscheidend ist aber auch, was gebaut wird. Von den 237.000 Baugenehmigungen 2013 waren die allermeisten für Eigentumswohnungen im Hochpreissegment. Lediglich 11.000 Sozialwohnungen wurden gebaut. Gebraucht würden aber mindestens 150.000 pro Jahr, um wenigstens den Schwund an Sozialwohnungen aufzufangen. Selbst das würde noch nicht ausreichen, um das Angebot an bezahlbarem Wohnraum gerade in Ballungsräumen spürbar zu verbessern. Aktuell besteht in Deutschland ein Bedarf an circa sieben Millionen Sozialwohnungen. Vorhanden sind aber lediglich 1,5 Millionen. Das sagt alles über den Wert der Aussage, die Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland sei deutlich gestiegen.

Die Bundesregierung befürchtet, dass kaum noch neue Wohnungen gebaut werden, wenn die "Mietpreisbremse" auch für Neubauten gilt und hat diese deshalb von der Regelung ausgenommen. Halten Sie die Befürchtung für unbegründet?

Caren Lay: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: 2013 wurden so viele Baugenehmigungen erteilt wie seit 10 Jahren nicht mehr. Ich finde, man sieht es auch. Vielleicht sollte die Bundesregierung mal einen Betriebsausflug machen. Dazu muss sie nicht weit fahren.  Es reicht in Berlin-Mitte vor die Haustür gehen. Dann würden sich ihre Sorgen zerschlagen. Hier, und auch in anderen Städten, wird massenhaft gebaut – nur leider fast immer im Luxussegment. Zumindest den Reichen droht mit Sicherheit keine Wohnungsnot.

Was jedoch eindeutig fehlt, sind Sozialwohnungen. Derzeit können nur 30 Prozent des Bedarfs gedeckt werden. Kein Wunder, denn allein zwischen 2002 und 2012 sind 900.000 Sozialwohnungen in Deutschland weggefallen. Deswegen plädieren wir dringend für einen Neustart im sozialen Wohnungsbau. Mindestens 150.000 neue Sozialwohnungen müssen jährlich entstehen.

Wohnungsbau ist Sache der Länder – sagt die Bundesregierung und will sich nach 2019 komplett aus der  sozialen Wohnraumförderung zurückziehen. Geht das?

Heidrun Bluhm: Nein. Es stünde auch im krassen Widerspruch zu der Ankündigung der Großen Koalition, den Sozialen Wohnungsbau wiederbeleben zu wollen. Vor allem aber stehen dem die objektiv gewachsenen gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen aus dem soziodemografischen und klimatischen Wandel sowie aus dem dauerhaften Zustrom von Flüchtlingen und Asylbegehrenden entgegen. Mit der Föderalismusreform II 2009 wurde die Verantwortung für den Sozialen Wohnungsbau vom Bund auf die Länder übertragen. Der Bund beteiligt sich seither, befristet bis 2019, mit sogenannten Kompensationsmitteln an den Kosten. Die konkrete Verwendung obliegt den Ländern und Kommunen. Das entbindet den Bund aber nicht von seiner gesamtpolitischen Verantwortung, das Wohnen als soziales Grundrecht für alle zu gewährleisten.

Stehen also stärker die Länder und Kommunen in der Pflicht? Welche Modelle gibt es aus Ihrer Sicht angesichts der oft klammen Kassen?

Heidrun Bluhm: Die Kommunen stehen immer in der Pflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Wie gut sie ihren Pflichten nachkommen, hängt maßgeblich von ihrer finanziellen Ausstattung ab und die ist fast überall desaströs. Das liegt aber nicht etwa an schlechter Haushaltsführung, sondern ist das Resultat einerseits jahrelanger Verschiebung von Bundes- und Länderverpflichtungen in Richtung der Kommunen ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich und andererseits dem gleichzeitigen restriktiven  Zwang zur Haushaltskonsolidierung durch die Länder. Kommunen waren oft gezwungen öffentliches Eigentum an Wohnungen, Versorgungsunternehmen, Versorgungsnetzen ganz oder teilweise zu verkaufen und wurden dadurch ihrer kommunalpolitischen Gestaltungshoheit beraubt. Das muss wieder umgekehrt werden.

Welche Möglichkeiten gibt es aus Ihrer Sicht jetzt noch, Mieten bezahlbar zu machen und Mieterinnen und Mieter vor explodierenden Kosten, Verdrängung und Gentrifizierung zu schützen?

Caren Lay: Wir brauchen tatsächlich eine Mietpreisbremse – aber eine, die diesen Namen auch verdient! Dass die Miete nur aufgrund von Neuvermietung bei einer baulich nicht verbesserten Wohnung erhöht werden kann, ist eh unverständlich. Wir fordern eine Begrenzung von Mieterhöhungen, die insgesamt den Rahmen des Inflationsausgleichs nicht übersteigt. Und eine Mietpreisbremse, wenn sie schon so heißt, muss flächendeckend in ganz Deutschland gelten und ohne Ausnahmen. Und wir brauchen eine Deckelung der Modernisierungkosten für die Mieterinnen und Mieter, den so wie es jetzt läuft, trägt sie leider zur Verdrängung bei.
 

linksfraktion.de, 11. November 2014