Zum Hauptinhalt springen

Umverteilung von unten nach oben

Im Wortlaut von Klaus Ernst,

Serie: Ungleichheit in Deutschland, Teil 3


Von Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Wir erleben seit Jahren weltweit eine rasante Zunahme der sozialen Ungleichheit. Gerade erst berichtet die Hilfsorganisation Oxfam, dass 62 der reichsten Menschen, darunter auch sechs Deutsche, so viel besitzen wie die Hälfte der Menschheit. In der Bundesrepublik Deutschland besitzen die reichsten zehn Prozent des gesamten Netto-Privatvermögens mehr als die untere Hälfte. Und allein im Jahr 2014 ist das Vermögen derjenigen, die 30 Millionen Euro und mehr besitzen, um mehr als 200 Milliarden US Dollar gestiegen. Das entspricht fast zwei Drittel des Staatshaushaltes der Bundesrepublik. Oder anders gesagt: Diese Reichen könnten zwei Drittel des Staatshaushalts der Bundesrepublik alleine von ihrem Vermögenszuwachs bezahlen. Das allein ist schon ein Problem, weil mit hohen Vermögen immer auch Macht und Einfluss verbunden sind.

Vermögenszuwachs ungleich verteilt

Die Vermögens- und Unternehmenseinkommen steigen seit Jahren höher als die Löhne. Die ungerechte Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland wird immer ungerechter.
Die Bundesregierung selbst stellt in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 2015 fest, dass sich "effizientes Wirtschaften und gerechte Verteilung in der sozialen Marktwirtschaft nicht trennen" lassen. Dazu gehört – neben einer vernünftigen Besteuerung von Vermögen – auch, dass die Beschäftigten, die die Gewinne für die Unternehmen erwirtschaften, angemessen entlohnt werden. Das bedeutet, dass die Löhne so sehr steigen müssen, dass sie mit der Produktivität und der Preisentwicklung Schritt halten können. Steigen die Löhne langsamer als die Produktivität, kommt der Vermögenszuwachs überwiegend nur den Unternehmen zu Gute.

Beschäftigte ohne Tarifbindung haben das Nachsehen

In den Jahren 2000 bis 2009 stagnierten die Reallöhne nicht nur, sie sanken. Erst in den letzten Jahren stiegen die Löhne wieder moderat. Das Statistische Bundesamt meldete an diesem Donnerstag zwar das größte Lohnplus für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland seit 2008. Die Reallöhne seien im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2,8 Prozent gestiegen. Heißt das: Jetzt wird alles gut? Davon kann keine Rede sein. Nur die außergewöhnlich geringe und ökonomisch ungesunde Teuerungsrate von 0,3 Prozent sorgte dafür, dass unter dem Strich ein Reallohnplus von 2,5 Prozent blieb. Und an dem grundlegenden Dilemma ändert das nichts. Denn die moderaten Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre kommen nur tarifgebundenen Beschäftigten zugute. Die Beschäftigten in Bereichen, in denen es keine Tarifbindung gibt, haben weiterhin das Nachsehen. Ihre Löhne sind 2015 preisbereinigt um 17 Prozent gegenüber den Löhnen im Jahr 2000 gesunken.

Leiharbeit gehört eigentlich verboten

Die Anhebung des Mindestlohns und die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträge wären der richtige politische Schritt, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Doch was die Bundesregierung bisher zu Leiharbeit und Werkverträgen vorgelegt hat, ist reiner Etikettenschwindel. Ein Gesetzentwurf zur Regulierung von Werkverträgen und Leiharbeit, der zum Herbst 2015 angekündigt war, blieb bisher aus. Der Mindestlohn, auf den sich die Bundesregierung seither auszuruhen scheint und dessen Erfolg sie im Jahreswirtschaftsbericht mehrfach hervorhebt, ist deutlich zu niedrig und dazu löchrig. Es gleicht einer Satire, wenn man, wie die Bundesregierung, bei Leiharbeit gleichen Lohn für gleiche Arbeit nach neun Monaten Beschäftigungszeit fordert, obwohl man weiß, dass 54 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse weniger als drei Monate dauern. Es ist nützt ebenso wenig, wenn man die Überlassungsdauer bei der Leiharbeit auf 18 Monate beschränken will, obwohl man weiß, dass nur 13,8 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als 18 Monate dauern. Leiharbeit gehört eigentlich verboten!  Was wir mindestens brauchen, ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Überlassungstag und ein 10-prozentiger Flexibilitätszuschlag bei Leiharbeit wie in Frankreich. Werkverträge ersetzen zunehmend Leiharbeit. Auch hier bleibt die Regierung eine Regulierung schuldig. Was Ministerin Nahles bisher zu der Regulierung von Werkverträgen vorgelegt hat, ist unzureichend. Und selbst dagegen hat die Bundeskanzlerin nun Einspruch eingelegt. Das zeigt, dass sie eigentlich gar keine Regelung will.

Große Koalition hält an Politik der Billiglöhne fest

Die Bundesregierung macht Politik nach dem Motto: Wenn du sie nicht überzeugen kannst, dann verwirre sie. Anders ist es nicht zu erklären, wenn die Bundesregierung öffentlich die Tarifautonomie lobt, sie aber faktisch durch die Tarifeinheit beschneidet und durch Untätigkeit bei Leiharbeit und Werkverträgen aushöhlt. Die Bundesregierung versucht sich auch, wie unlängst in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von uns im Dezember, aus der Verantwortung zu stehlen indem sie argumentiert, dass Lohnpolitik ausschließlich Aufgabe der Gewerkschaften sei. Doch 42 Prozent der Beschäftigten haben überhaupt keinen Tarifvertrag – jedenfalls nicht mehr. Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes im Zuge der Agenda 2010 ist die Tarifbindung in der Bundesrepublik drastisch gesunken. Gleichzeitig hat sich in der Bundesrepublik ein riesiger Niedriglohnsektor etabliert – einer der größten der EU. Die Agenda-"Reformen" haben den Arbeitsmarkt in einem desolaten und zutiefst gespaltenen Zustand hinterlassen. Die Ausnahmeregelungen beim Mindestlohn und die Verzögerungstaktik bei der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen zeigen: Auch die Große Koalition hält an der Politik der Billiglöhne fest. Damit nimmt die Bundesregierung hin, dass die Ungleichheit in diesem Land weiter steigt. Denn selbst in ihrem eigenen Jahreswirtschaftsbericht 2016 geht die Bundesregierung davon aus, dass die Gewinne schneller steigen als die Löhne. Es ist de-facto eine Umverteilung von unten nach oben. Mit sozialer Gerechtigkeit hat das nichts zu tun.

linksfraktion.de, 4. Februar 2016