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Syrische Flüchtlinge © UNHCRFoto: UNHCR

Umfassender Flüchtlingsschutz in Zeiten der Corona-Pandemie

Nachricht von Ulla Jelpke, Gökay Akbulut,

Schutzsuchende in Deutschland sind von den gesundheitlichen Gefährdungen durch den Corona-Virus in besonderer Weise betroffen: Während die Bevölkerung im Allgemeinen zu einer Vermeidung von sozialen Kontakten aufgefordert und dies auch mit Verboten durchgesetzt wird, werden Geflüchtete gesetzlich zu einem engen Zusammenleben mit anderen gezwungen. Die neue Bedrohungslage erfordert schnelle Maßnahmen zum Schutz geflüchteter Menschen. 

In der aktuellen Situation benötigen die Betroffenen ein klares Signal, dass Abschiebungen derzeit nicht vollzogen werden, nicht zuletzt auch mit Blick auf die oft defizitären Gesundheitssysteme in anderen Transit- oder Herkunftsstaaten und zur Vermeidung weiterer Ansteckungen im Zuge von Abschiebungen. Beschränkungen bei der Gesundheitsversorgung, wie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorgehen, sind mit dem Menschenrecht auf Gesundheit unvereinbar und darf es insbesondere in der aktuellen Situation nicht geben, auch statuslose und illegalisierte Menschen benötigen einen sicheren Zugang zu Gesundheitsleistungen, ohne ihre Abschiebung fürchten zu müssen.  

Die ohnehin dramatische und unerträgliche Situation der Geflüchteten in den EU-Hotspots auf den griechischen Inseln muss angesichts der Gefahr einer unkontrollierbaren Massen-Infektion sofort beendet werden. Erst jüngst ist ein sechs Jahre altes Mädchen bei einem Brand im zigfach überbelegten Lager Moria auf Lesbos ums Leben gekommen. „Ärzte ohne Grenzen“ forderte eine umgehende Evakuierung der Hotspots, dem haben sich viele weitere Verbände und insbesondere Kinderschutz-Organisationen angeschlossen. 

In Zusammenarbeit mit den Bundesländern muss die Bundesregierung wirksame Maßnahmen zum Schutz von Geflüchteten ergreifen. Als Vorbild könnte dabei die Regelung der portugiesischen Regierung dienen, allen im Land lebenden Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus also auch Asylsuchenden, eine zunächst dreimonatige Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, die mit entsprechenden Rechten verbunden ist (Arbeitserlaubnis, Sozial- und Krankenversicherung usw.). 

Mindestens müssen jedoch folgende Punkte erfüllt werden:

  • Der Bundesinnenminister erklärt sein Einvernehmen für Abschiebestopp- und Bleiberechtsregelungen und wirkt auf den Erlass solcher Maßnahmen durch die Bundesländer im Sinne eines allgemeinen Abschiebemoratoriums hin; in Bezug auf Kriegs- und Bürgerkriegsländer sollte wegen der andauernden Unzumutbarkeit einer Abschiebung/Ausreise statt einer Duldung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden (§23 AufenthG); noch in Abschiebungshaft inhaftierte Personen werden sofort entlassen. Überstellungen in andere EU-Mitgliedstaaten im Rahmen des Dublin-Systems bleiben auf unabsehbare Zeit ausgesetzt, das BAMF muss deshalb die inhaltliche Asylprüfung übernehmen, statt Verfahren zur Ermittlung des zuständigen EU-Mitgliedstaats und die damit verbundene Unsicherheit für Betroffene und Behörden in eine ungewisse Zukunft zu verlagern.
  • Geflüchtete müssen soweit möglich in dezentralen Einrichtungen und besser noch in privaten Wohnungen untergebracht werden; große Massenunterkünfte sind perspektivisch aufzulösen und Sammelunterkünfte nur insoweit zu nutzen, wie dies in einer Ankunftsphase unvermeidbar ist. In der aktuellen Situation müssen leerstehende Zimmer zur Entspannung der Lage in Sammelunterkünften und zur Wahrung eines Sicherheitsabstands genutzt werden. Behördenbesuche, die mit vollen und engen Wartezimmern verbunden sind, müssen möglichst vermieden werden; Aufenthaltserteilungen oder -verlängerungen sollten per Post erfolgen oder/und die Rechtmäßigkeit des aufenthaltsrechtlichen Status wird allgemein verfügt. Beschränkungen bei der Gesundheitsversorgung oder Kürzungen der Sozialleistungen infolge der restriktiven Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) darf es nicht geben. Vielmehr ist ein unbürokratischer Zugang zu ungekürzten Sozial- und Gesundheitsleistungen nach dem AsylbLG unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus zu gewähren, zum Schutz der Betroffenen und zur Vermeidung einer weiteren Verbreitung des Virus durch unbehandelte Erkrankungen und besonders prekäre Lebenslagen. Geflüchtete müssen mehrsprachige und ihrer besonderen Lage angepasste Informationen erhalten; medizinisch notwendige Quarantäne-Maßnahmen in Sammelunterkünften müssen strikt personenbezogen und verhältnismäßig erfolgen und ausreichend erklärt werden, es darf zu keinen „Kollektiv-Bestrafungen“, etwa durch pauschale Abriegelungen ganzer Einrichtungen, kommen. 
  • Die Aufnahme von Schutzsuchenden aus Griechenland darf sich nicht auf 1.600 ausgewählte unbegleitete Flüchtlingskinder oder besonders Schutzbedürftige beschränken. Angesichts der aktuellen Virus-Gefahr sind vielmehr die sofortige Evakuierung der so genannten Hotspots und eine Verbringung der Menschen aufs griechische Festland erforderlich. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen diese Flüchtlinge, auch entsprechend bestehender familiärer oder sonstiger Bindungen oder vorhandener Sprachkenntnisse, in einem kontrollierten, geschützten Verfahren übernehmen; die Bundesregierung muss mit positivem Beispiel vorangehen und kann sich dabei auf die vielen Aufnahmezusagen offener Städte und Kommunen stützen.