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Überstunden und Entgrenzung: Homeoffice darf für Beschäftigte nicht zur Belastung werden

Nachricht von Jessica Tatti,

Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Homeoffice: Stand, Chancen und Risiken für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ von Jessica Tatti und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag

Zwölf Prozent der Beschäftigten arbeiten zumindest gelegentlich im Homeoffice, 3 Prozentpunkte mehr als 2015. Im Jahr 2016 boten 37,4 Prozent der Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten in der Bundesrepublik Homeoffice an.

Homeoffice ist derzeit ein privilegiertes Arbeitsmodell für hochqualifizierte Spitzenverdiener, insbesondere für Führungskräfte und Beschäftigte der Informations- und Kommunikationsbranche. Daraus lässt sich auch erklären, wieso relativ gesehen mehr Männer Homeoffice-Vereinbarungen haben als Frauen. Beschäftigte mit niedrigen Einkommen oder Qualifikation haben generell nur selten bis gar keine Homeoffice-Optionen. Interessant ist, dass die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten ohne Homeoffice-Vereinbarungen dieses Arbeitsmodell als Möglichkeit ablehnen.

Beschäftigte schätzen am Homeoffice vor allem die Möglichkeit, eine bessere Work-Life-Balance zu schaffen und Fahrtzeiten zur Arbeit zu umgehen. Der Einfluss auf Arbeitsbeginn und –ende ist für Beschäftigte im Homeoffice größer. Beschäftigte mit Kindern haben häufiger Homeoffice-Vereinbarungen als Beschäftigte ohne Kinder. Generell steigt der prozentuale Anteil an Homeoffice-Vereinbarungen mit der Anzahl der Personen, die in einem Haushalt einer/eines Beschäftigten leben.

Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass mit dem Arbeiten im Homeoffice auch Belastungen einhergehen. So leisten Beschäftigte im Homeoffice mehr und längere Überstunden und berichten häufiger von einer Verkürzung der Ruhezeiten als Beschäftigte ohne Homeoffice. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Homeoffice geben an, dass durch Homeoffice die Grenzen von Arbeit und Privatleben verschwimmen.

Jessica Tatti, Sprecherin für Arbeit 4.0 der Fraktion DIE LINKE im Bundestag:

„Homeoffice braucht klare gesetzliche Leitplanken, damit es nicht zum zusätzlichen Stressfaktor für Beschäftigte wird. Die Gefahr, dass durch Homeoffice die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen, ist hoch. Die gesetzlichen Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten müssen auch im Homeoffice eingehalten werden, damit Beschäftigte nicht durch Stress und Überarbeitung krank werden. Arbeitszeiten über acht Stunden hinaus machen nachweislich krank – im Homeoffice genauso wie an einem festen Arbeitsplatz im Betrieb. Überstunden müssen vollständig erfasst und vergütet werden. Homeoffice-Beschäftigte brauchen wie alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen erholsamen Feierabend. Daher brauchen wir ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit und eine Anti-Stress-Verordnung.
Arbeitgeber dürfen Homeoffice-Vereinbarungen nicht ausnutzen, um Arbeitsschutzrechte zu umgehen oder Büroarbeitsplätze abzubauen. Wichtig ist, dass Beschäftigte im Homeoffice freiwillig und nur für einige Stunden pro Woche arbeiten und sie jederzeit die Möglichkeit haben, an einen festen Arbeitsplatz zurückzukehren.“

Homeoffice birgt die Gefahr der Selbstausbeutung. Internationale Studien zeigen, dass Beschäftigte im Homeoffice zwar produktiver sind, als ihre Kolleg*innen im betrieblichen Büro[1]; allerdings war dies in den untersuchten Fällen eher auf eine zunehmende Arbeitsverdichtung (weniger Pausen, längere Arbeitszeiten) und neue Formen des Präsentismus (z.B. krank arbeiten von zuhause aus) zurückzuführen, als auf eine effizientere Arbeitsweise. So arbeiten Beschäftigte im Homeoffice im Schnitt in der Woche mehrere Stunden pro Woche länger und haben auch mehr Überstunden als ihre Kolleg*innen, die ausschließlich im Betrieb arbeiten[2]. Dazu kommt: Überstunden im Homeoffice werden häufig nicht erfasst und bleiben somit unbezahlt. Der Arbeitsstress ist bei Beschäftigten höher, die gelegentlich oder regelmäßig außerhalb des Betriebes arbeiten, als bei Beschäftigten mit festem Arbeitsplatz im Betrieb.[3] Wer zuhause arbeitet, hat zudem keinen fest vorgegebenen Feierabend. Dies kann die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen lassen und dazu führen, dass Beschäftigte für den Arbeitgeber permanent erreichbar sind. Eine Arbeitszeitbefragung der BAUA zeigt, dass Beschäftigte im Homeoffice weniger gut von der Arbeit abschalten können, als Beschäftigte ohne Homeoffice.[4]

Vergleicht man die Ergebnissen der Kleinen Anfrage mit anderen Befragungen und Erhebungen, zeigt sich, dass die Arbeitsverdichtung allgemein zunimmt: Laut der aktuellen Arbeitszeitbefragung der BAuA, machen Beschäftigte im Schnitt vier Überstunden pro Woche[5]. Mehr als ein Viertel aller Beschäftigten (28 Prozent) ist laut BAUA zudem häufig von Pausenausfällen betroffen.[6]

In den vergangenen zehn Jahren haben die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von psychischen Belastungen massiv zugenommen: von 47,9 AU-Tagen im Jahr 2007 auf 109,2 Millionen AU-Tage im Jahr 2016. Das entspricht einer Steigerung von fast 130%.[7] Die IG Metall sieht dafür auch die Globalisierung und den rasanten Wandel in der Arbeitswelt, hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft verantwortlich: „Mit den Folgen von Arbeitsverdichtungen, hohem Zeit- und Leistungsdruck, geringem Handlungsspielraum und unsicheren und prekären Arbeitsverhältnissen sind erhebliche Schäden gerade auch für die psychische Gesundheit der Betroffenen, aber auch hohe Kosten für die Wirtschaft und für unser Sozialsystem verbunden. Psychische und Verhaltensstörungen führen zu 2,9 Milliarden direkten und 1,8 Milliarden Euro indirekten Kosten.“[8] Der „DGB-Index Gute Arbeit 2016“ zeigt einen deutlichen Zusammenhang von ständiger Erreichbarkeit und Länge der Arbeitszeiten mit der Belastungssituation der Beschäftigten. Dabei nehmen Arbeitshetze und Arbeitsintensivierung mit dem Grad der Digitalisierung des Arbeitsplatzes sogar noch zu[9].


Die Antworten der Bundesregierung

Auswertung der Ergebnisse im Detail


[1]nbloom.people.stanford.edu/sites/g/files/sbiybj4746/f/wfh.pdf

[2] Brenke, Karl (2016): Home Office: Möglichkeiten werden bei weitem nicht ausgeschöpft, in: DIW Wochenbericht Nr. 5 2016

[3] Joint ILO – Eurofund Report (2017)

[4] BAUA / Antwort auf unsere Schriftliche Frage im Februar 2019. Zahlen 2017: 44 Prozent der Beschäftigten mit Homeoffice können abends gut abschalten, gegenüber 51 Prozent der Beschäftigten ohne Homeoffice

[5] Vgl. www.baua.de/DE/Services/Presse/Pressemitteilungen/2018/10/pm051-18.html  und www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2398-2.pdf

[6] Vgl. BT-Drs 19/5643

[7] Vgl. BT-Drucksache 19/3895, online unter: dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/038/1903895.pdf

[8] Vgl. www.igmetall.de/docs_0188530_Anti_Stress-Verordnung_ab6297762b343f1ce2cf2275345a3e1b648a983d.pdf

[9] Vgl. http://index-gute-arbeit.dgb.de/++co++70aa62ec-2b31-11e7-83c1-525400e5a74a