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TTIP-Proteste sind längst internationale Bewegung

Interview der Woche von Cornelia Möhring, Alexander Ulrich,

  Foto: flickr.com/Global Justice Now     Am kommenden Samstag, dem 18. April, ist internationaler TTIP-Aktionstag. Cornelia Möhring, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, und Alexander Ulrich, für DIE LINKE Mitglied im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union, erörtern im Interview der Woche, wieso die Anti-TTIP-Bewegung europaweit immer mehr Mitstreiter findet und weshalb der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen so wichtig ist.   Am kommenden Sonnabend ist europaweiter Aktionstag gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Deutschland ist eine Hochburg des Protests, es finden hunderte Kundgebungen und Veranstaltungen zum Thema statt. Hier lehnt auch eine Mehrheit der Bevölkerung das Abkommen zwischen der EU und den USA ab. In anderen europäischen Ländern sieht es anders aus, dort äußern sich deutlich weniger Menschen ablehnend. Woran liegt das?   Alexander Ulrich: Richtig ist, dass die Anti-TTIP-Bewegung in Deutschland besonders stark ist. Ich denke, das hat unter anderem damit zu tun, dass wir hier schon lange vor den TTIP-Verhandlungen eine recht vielfältige Bewegungslandschaft mit Schwerpunkt auf Welthandelsfragen hatten. Richtig ist aber auch, dass es zum Beispiel in Österreich und Großbritannien seit Monaten starke Proteste gibt, dass in Spanien und Italien schlagkräftige Bündnisse entstanden sind, dass es in Frankreich, den Niederlanden und Österreich Parlamentsbeschlüsse gegen den Investorenschutz in TTIP gibt, dass die griechische Regierung das Abkommen vollständig ablehnt, dass die selbstorganisierte Bürgerinitiative gegen TTIP bereits in zwölf EU-Mitgliedsstaaten das Quorum geknackt hat und dass am Samstag ein globaler Aktionstag stattfindet, der auf intensiven Vernetzungsprozessen basiert. All das zeigt, dass hier längst eine internationale Bewegung entstanden ist.    Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, wirft den Deutschen in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa eine »gefährliche Ignoranz gegenüber der wirtschaftlichen Realität« vor. Sie hätten vergessen, worauf sich der Wohlstand Deutschlands gründet. Er meint damit die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft, an deren Erfolg jeder vierte Arbeitsplatz hänge. Ist das Angstmache oder ist da was dran?   Alexander Ulrich: Mit Formulierungen wie „der Wohlstand Deutschlands“ soll der Eindruck erweckst werden, dass wir als Deutsche homogene Interessen hätten. Dem ist nicht so. Die deutsche Exportstärke beruht im Kern auf massivem Lohndumping. Wir haben mittlerweile den zweitgrößten Niedriglohnsektor in der EU. Rund 1,3 Millionen Deutsche sind trotz Arbeit auf Hartz IV angewiesen, weil ihre Löhne unter der Armutsgrenze liegen. Die deutschen Arbeitnehmer gehören also sicher nicht zu den Gewinnern der Exportorientierung. Es geht nicht um den „Wohlstand Deutschlands“, sondern um den „Wohlstand der deutschen Industrieunternehmer im Exportsektor“. Das ist ein Unterschied – und ein gutes Argument gegen TTIP, da dieses Abkommen weiterem Lohndumping und einer Unterwanderung von Arbeitnehmerrechten Tür und Tor öffnen würde.   Bereits am Dienstag treffen sich die G7-Außenminister für drei Tage in Lübeck. Dort soll es um die akuten Krisen, aber auch um langfristige Strategien gehen. Russland ist nicht mehr dabei. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung, auch vor dem Hintergrund der Freihandelsabkommen einerseits und den Sanktionen gegen Russland andererseits?   Alexander Ulrich: Das sind alles Entwicklungen, die ich mit großer Sorge betrachte. Ich denke, Europa ist nicht gut damit beraten, sich unterwürfig als Obamas Lieblingspartner anzubiedern. Frieden und Wohlstand kann es in Europa auf Dauer nur mit und nicht gegen Russland geben. Bewaffnete Drohnen und moderne EU-Eingreiftruppen in Osteuropa brauchen wir genauso wenig wie TTIP. Was wir brauchen sind Außenpolitiker, die Größe und Rückgrat haben und die über genügend Weitblick und Mut verfügen, den geopolitischen Crashkurs von EU und USA zu stoppen. Das G7-Format bietet hier wenig Anlass zum Optimismus.   Am Sonntag lud Ihre Fraktion im Vorfeld des Treffens zur Diskussion der G7-Außenpolitik nach Kiel ein, TTIP und der Widerstand dagegen war eins der Themen. Was regt die Menschen besonders auf?   Cornelia Möhring: Vorherrschend ist die Befürchtung, gewonnene – besser gesagt: mühsam erkämpfte – Rechte und Standards wieder zu verlieren. Europäische und US-amerikanische Konzerne sollen in Investor-Staats-Schiedsverfahren entgangene Gewinne einklagen können. Diese Verfahren fernab unserer Gerichte sind dabei völkerrechtlich bindend. Für das Recht auf Rendite zahlen wir also sowohl mit unseren Steuergeldern, als auch mit unseren demokratischen Rechten. Es ist auch das Ausmaß des Angriffs, das kaum zu begreifen ist. Im Windschatten von TTIP wurden zwei weitere Freihandelsabkommen, CETA und TISA verhandelt. Während das mit Kanada ausgehandelte CETA, bei dem nur der US-amerikanische Markt fehlt, mit TTIP fast identisch ist, werden mit TISA alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge und Dienstleistungen dereguliert und dem Schutzschild der Kommunen entzogen.   TTIP als im Geheimen verhandeltes internationales Abkommen sieht auf den ersten Blick nicht danach aus, als dass einzelne Bürgerinnen und Bürger viel ausrichten können. Die Europäische Bürgerinitiative wurde letztes Jahr einfach abgelehnt. Und es kursieren Rechtsgutachten, nach denen Kommunen sich nicht mit TTIP befassen dürften. Schlechte Karten für wirksamen Protest?   Cornelia Möhring: Ganz im Gegenteil, diese Vorgänge sind doch vielmehr ein Zeichen für die Wirksamkeit der Proteste. Das Rechtsgutachten etwa ist eine Reaktion auf die Aktion von Attac „10.000 Kommunen TTIP frei“. Die staatliche Gegenwehr zeigt also, dass die Regierenden nervös werden. Und sie zeigt, dass diese Gegenwehr weniger wirksam ist als die Proteste. Denn mit jeder Blockade sind neue Initiativen entstanden, mit jeder Vertuschung erhöht sich der Druck auf der Straße. Nach der offiziellen Ablehnung hat sich eine „Selbstorganisierte Europäische Bürgerinnen-Initiative gegen TTIP und CETA“ gegründet, die bereits über 1,6 Millionen Unterschriften in der EU gesammelt hat. Auch der kommende Aktionstag wird die Größe der Bewegung zeigen.   Könnte TTIP also auch Chance sein, basisdemokratische Bewegungen wieder nach vorne zu bringen?   Cornelia Möhring: In den Diskussionen um TTIP sind die basisdemokratischen Bewegungen bereits ganz vorne, aber sie können jetzt noch stärker werden. Vielen Menschen wird gerade klar, wie sehr Entscheidungen, die irgendwo entfernt von ihnen getroffen werden, Auswirkungen auf ihr ganz alltägliches Leben haben. Gleichzeitig wird ihnen vor Augen geführt, was geschieht, wenn ihnen die Mitbestimmungsmöglichkeiten entzogen werden. Die derzeitige Protestbewegung zeigt: Ein Großteil der Menschen will das nicht. Sie wollen selbst über ihre unmittelbaren Lebensbedingungen mitbestimmen. In dieser Hinsicht gewinnt Basisdemokratie wieder an Attraktivität.     linksfraktion.de, 13. April 2015