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Trumps Ausbruch aus dem Gehege

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

Von Stefan Liebich, für DIE LINKE Obmann im Auswärtigen Ausschuss


Die schlechte Nachricht zuerst: 1360 Tage der Präsidentschaft Donald Trumps liegen noch vor uns, mindestens. Dann ist seine erste Amtszeit vorbei, die hoffentlich auch die letzte gewesen sein wird. Die gute Nachricht: 100 Tage sind geschafft!

Zeit zum Nachdenken gönnt der siebzigjährige Multimillionär sich und uns nicht. Immer gegen Mittag schaut man nun in Europa nervös auf sein Smartphone um zu lesen, was er – in den USA geht da gerade die Sonne auf – wieder getwittert hat und welche Krise er diesmal auslöste. Seine Bilanz kann sich sehen lassen: Das Fundament der Beziehungen zu China, die Ein-China-Politik, stellte er kurzerhand infrage, ebenso das Iran-Atomabkommen. Das Nachbarland Mexiko beleidigte und brüskierte er mehrfach, die Annäherung an Kuba fror er ein und 170 Millionen Menschen aus vorwiegend muslimischen Ländern verbot er pauschal die Einreise. Im besten Fall war der Präsident anschließend nur eingeschnappt, wenn die "Lügenpresse", "sogenannte Richter" oder der US-Kongress nicht zu all dem Beifall klatschten, was er da gerade angerichtet hat.

Seit der Wahl Trumps gibt es weltweit eine große Verunsicherung. Es würde schon nicht so schlimm werden, hörte ich unter Berlins Politikern im Januar und Februar häufig. Noch sei jeder US-Präsident eingehegt worden durch Berater, Minister, Checks and Balances und so weiter. Es klang wie lautes Rufen im dunklen Wald.

Doch ein Kriegstreiber?

Und auch unter Linken waren die Reaktionen diffus. Eine seltsame Nachsicht mit der neuen US-Administration war hier und da zu spüren. Es gäbe von Trump sehr unterschiedliche Signale, eben auch ein paar positive, zumindest außenpolitisch, hieß es. Vor allem die Kritik an seiner demokratischen Herausforderin Hillary Clinton oder seinem Vorgänger Barack Obama vernebelte einigen einen klaren Blick auf den 45. Präsidenten der USA. Beide seien Kriegstreiber und Militaristen, deshalb möge man Trump eine Chance geben. Und überhaupt: Hatte sich Trump nicht gegen NATO und Freihandelsabkommen gewandt und sich für bessere Beziehungen mit Russland ausgesprochen?

Inzwischen dürfte jedem klar geworden sein, dass diese Erwartungen falsch waren. Bei einem "wunderschönen Stück Schokokuchen" befahl Trump einen völkerrechtswidrigen Raketenangriff auf ein Land, an dessen Namen – anders als an sein Dessert – er sich anschließend nicht mehr erinnern konnte. Jemand, dessen Wissensstand über internationale Zusammenhänge und Gepflogenheiten so übersichtlich erscheint, wie sein Geduldsfaden dünn ist, hat nun das Kommando über das größte Atomwaffenarsenal der Welt. Die Beziehungen zu Russland befinden sich auf einem Tiefpunkt und die Rüstungsspirale zwischen beiden Ländern beginnt sich immer schneller zu drehen. Die Atomwaffenarsenale werden wieder aufgefüllt und die NATO erlebt einen zweiten Frühling, seit sich auch die deutsche Regierung aus CDU/CSU und SPD dem US-Wunsch gebeugt hat, man möge die Rüstungsausgaben erhöhen.

Schamloses Umverteilungsprogramm von unten nach oben

Trumps ursprüngliche Erkenntnis, die NATO sei obsolet, hat er selbst wieder für obsolet erklärt. Und seit Kanzlerin Merkel dem US-Präsidenten erläutert hat, dass die exportorientierten Unternehmen auf beiden Seiten neue Profite zu erwarten haben, wird auch für das bereits tot geglaubte Freihandelsabkommen TTIP ein Wiederbelebungsprogramm begonnen. Ganz zu schweigen von seinem neuesten Clou, einer auf einer einzigen Din A4-Seite formulierten Steuerreform, die nichts weiter ist als ein schamloses Umverteilungsprogramm von unten nach oben. Dieser Präsident findet nach hundert Tagen im Amt die geringste Zustimmung, die je bei einem US-Präsidenten in seinem Land gemessen wurde, doch seine Beliebtheit bei der eigenen Anhängerschaft ist ungebrochen. Die USA stehen vor einer großen Zerreißprobe.

Aber auch auf unserer Seite des Atlantiks steht nicht alles zum Guten. Wenn, wie gerade in Frankreich, eine Faschistin in der Stichwahl um das Präsidentenamt steht, und viele – auch Linke – den Sieg des neoliberalen Gegenkandidaten für sicher und eine Enthaltung für eine gewitzte Strategie halten, dann mögen sie sich an den Morgen des 9. November 2016 erinnern und daran, was in den letzten 100 Tagen geschehen ist.