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Tricksen mit Zahlen

Im Wortlaut,

In der offiziellen Arbeitslosenstatistik fehlen Hunderttausende

Von Fabian Lambeck

Die LINKE hat sich die aktuellen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit genauer angesehen. Demnach tauchen mehr als 800 000 Arbeitslose in der offiziellen Statistik gar nicht auf. Diese Trickserei hat jahrzehntelange Tradition.

Allmonatliche veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit (BA) die aktuelle Arbeitslosenstatistik. Die Zahlen aus Nürnberg bergen politischen Sprengstoff, den diverse Bundesregierungen immer mal wieder durch statistische Tricks entschärfen. Beinahe schon legendär ist die freche Zahlenkosmetik von Kanzlerlegende Helmut Kohl (CDU). Lange vor dem Fall der Mauer beschloss die von ihm geführte schwarz-gelbe Koalition im Jahre 1986, dass über 58-Jährige einfacher an Arbeitslosengeld kommen sollten. Fortan mussten die Betroffenen nicht mehr jeden Job annehmen und wurden bei den Ämtern deshalb wegen »fehlender Verfügbarkeit« nicht mehr als erwerbslos geführt. Das war keine großzügige Geste, sondern politisches Kalkül: Die Arbeitslosenrate lag 1986 bei fast acht Prozent und im Folgejahr standen Bundestagswahlen ins Haus.

Auch in den 90ern griff Kohls Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) tief in die Trickkiste. Hatte man im Jahre 1997 die ausufernden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) im Osten noch zurückfahren wollen, machte der Minister im Wahljahr 1998 schnell mal 600 Millionen Mark locker und schuf so 100 000 neue ABM-Stellen. Denn wer eine solche Maßnahme durchläuft, fällt aus der Statistik. So konnte Blüm kurz vor der Wahl »Entspannung« auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt vermelden.

Auch unter Rot-Grün wurde weiter getrickst. So strich man 2004 all jene, denen das Amt eine Trainingsmaßnahme vermittelt hatte. Doch als im Januar 2005 die Hartz-IV-Reformen in Kraft traten, war eines der erklärten Ziele, dass die Arbeitslosenstatistik nun ehrlicher ausfallen solle. Weil man plötzlich auch die 380 000 erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger berücksichtige, zählte man in Nürnberg mehr als fünf Millionen Arbeitslose und erreichte damit den höchsten Stand seit 1933. Kein Wunder, dass Kanzler Schröder (SPD) im September 2005 abgewählt wurde.

Angesichts dieser Vorgeschichte sind auch die aktuellen Zahlen aus Nürnberg mit Vorsicht zu genießen. Nach offizieller Lesart galten im Mai 2012 rund 2,85 Millionen Bundesbürger als arbeitslos. Die Arbeitslosenquote sank auf 6,7 Prozent – und damit auf den niedrigsten Stand seit 1992. »Der Arbeitsmarkt bleibt in Fahrt«, freute sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Zwar bremse die Krise im Euro-Raum die Dynamik der letzten Monate, aber grundsätzlich sei der deutsche Arbeitsmarkt stabil, so von der Leyen. So stabil ist er aber gar nicht. Die LINKE hat sich die Zahlen aus Nürnberg genauer angesehen und dabei festgestellt, dass aufgrund statistischer Kniffe mehr als 806 000 Arbeitslose einfach nicht mitgezählt wurden. Wer etwa einen Ein-Euro-Job absolvierte oder sich in einer beruflichen Weiterbildung befand, verschwand aus der Statistik. Ebenso wie jene 138 000 Arbeitslosen, die sich in die Obhut eines privaten Jobvermittlers begeben hatten. Der damalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hatte die Gruppe im Mai 2009 entfernen lassen.

Die eingangs erwähnte 58er-Regelung aus dem Jahre 1986 wurde zwar inzwischen modifiziert, doch trotzdem tauchen 217 000 über 58-Jährige nicht in der offiziellen Statistik auf. Ebenso wie jene beinahe 80 000 Arbeitslosen, die krank geschrieben waren. Zählt man all diese Herausgerechneten zusammen, kommt man auf fast 3,7 Millionen Arbeitslose. Dabei wird jene »stille Reserve« von mindestens 500 000 Menschen, die sich entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, noch nicht einmal berücksichtigt, wie die LINKE in ihrer Stellungsnahme betont.

neues deutschland, 5. Juni 2012