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Teure Zeche statt Reform

Im Wortlaut,

Die Gesetzliche Krankenversicherung bleibt in der Problemzone

Von Silvia Ottow

Die Pläne zur Umgestaltung der Krankenkassenfinanzierung aus dem Bundesgesundheitsministerium haben gestern wie erwartet die Zustimmung der Regierung bekommen. Dabei lösen sie nicht ein einziges Problem der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Klamme Kassen sind seit Jahren das Markenzeichen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Mit Maßnahmen aller Art – Beitragssatzsicherungsgesetz, Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz, Solidaritätsstärkungsgesetz, Gesundheitsstrukturgesetz, Beitragsentlastungsgesetz – versuchten die bisherigen Regierungen, die ausufernden Kosten in den Griff zu bekommen. Vergebens.

Heute sind bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze von 3750 Euro 14,9 Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens des Versicherten für die Krankenkasse zu bezahlen. Versicherte berappen mit 7,9 Prozent davon bereits deutlich mehr als Arbeitgeber mit 7 Prozent. Hinzu kommt ein Zuschuss aus Steuermitteln, der 2011 bei 15,7 Milliarden Euro im Jahr liegen soll und einen Ausgleich für zahlreiche Leistungen darstellt, die nicht zur eigentlichen Aufgabe einer Krankenkasse gehören: Präventionsleistungen für Schulen und Kindergärten, Schwangerenbetreuung, Geburten, die beitragsfreie Mitversicherung von 20 Millionen Familienangehörigen.

In den letzten Jahren wurden verstärkt die Versicherten zur Kasse gebeten, wenn die Ausgaben für Arzneimittel, Krankenhäuser oder Ärztehonorare ausuferten. Das geschah über stetige Beitragssteigerungen – 1992 betrug der Beitragssatz noch durchschnittlich 12,3 Prozent – und darüber hinaus über die Einführung einer Praxisgebühr im Jahr 2004 sowie über Zuzahlungen und Einschränkungen im Leistungskatalog, die dazu führten, dass immer mehr Therapien aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. Auch verschreibungsfreie Arzneimittel fielen aus dem Erstattungskatalog der Kassen. Doch 160,4 Milliarden Euro im Jahr, so hoch waren die Ausgaben 2009, wollen erwirtschaftet sein. Arbeitslosigkeit und die Zunahme prekärer Beschäftigung schwächten das solidarische Umverteilungssystem, aus dem sich Leistungserbringer wie die Pharmaindustrie oder einige Ärztegruppen ungeniert weiter bedienten. So stiegen die Arzneimittelpreise und gleichzeitig das Angebot an überflüssigen Medikamenten. Die Zahl der Ärzte und deren Honorare erhöhte sich, die Leistungen für die Krankenhäuser waren noch nie so hoch wie heute, obwohl jedes fünfte Bett darin gar nicht gebraucht wird. An diesem System, das von vielen Experten als Selbstbedienungsladen bezeichnet wird, hat die sogenannte Reform des Gesundheitswesens nicht gerüttelt. Die Regierung bedachte die Interessen ihrer Lobbyisten aus dem Pharmabereich oder der Privaten Krankenversicherung (PKV), die man sich als Sachverständige ins Haus holte, damit sie bei der Abfassung der Gesetzestexte selbst mit Hand anlegen konnten. Außerdem wurde bei jeder Gelegenheit die demografische Entwicklung als Hauptkostentreiber benannt, obwohl die Menschen nicht automatisch länger krank sind, wenn sie älter werden.

Ab 2011 werden den gesetzlichen Kassen noch mehr Einnahmen fehlen, weil gut Verdienende nicht mehr drei Jahre warten müssen, um zu den Privaten zu wechseln. Die PKV, in der lediglich zehn Prozent der Menschen versichert sind, wird zusätzlich mit den Rabattpreisen für Arzneimittel beschenkt, die von großen gesetzlichen Krankenkassen aufgrund ihrer hohen Versichertenzahlen ausgehandelt wurden.

Neues Deutschland, 23. September 2010